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Die Abhängigkeit des DAX vom Euro – ein Mythos?

Veröffentlicht am 22.08.2017, 10:58
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Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

in der Börse-Intern behandeln wir nicht nur das aktuelle Börsengeschehen, sondern werfen ab und zu einen Blick auf einige der beliebten Börsenregeln. Diese „Regeln“, die als uns als Richtschnur dienen sollen, stellen sich jedoch manchmal nur als Mythos heraus. An dieser Stelle soll es nun um die Abhängigkeit des DAX vom Euro gehen.

So die Theorie

Folgendes dürften Sie selbst in den großen Nachrichtensendungen bereits öfters gehört haben: Sobald der DAX in die eine oder andere Richtung ausbricht, während gleichzeitig der Euro in die entgegengesetzte läuft, wird die Bewegung des Index damit begründet, dass der starke/schwache Euro den DAX dämpft/beflügelt.
Dahinter steckt die ökonomische Theorie, dass Deutschland als Exportland wirtschaftlich stark vom Wechselkurs abhängt. Ein Beispiel dazu: Nehmen wir an, der Wechselkurs USD/EUR liegt bei 1,05. Dann muss ein Importeur aus den USA für ein 100 Euro teures Produkt 105 Dollar aufbringen. Wertet der Euro auf, steigt der Kurs auf, sagen wir, 1,20 USD/EUR, muss er plötzlich bereits 120 Dollar für dasselbe Produkt bezahlen. Der höhere Preis könnte die Nachfrage nach deutschen Produkten negativ beeinflussen – vor allem dann, wenn es dasselbe Produkt in den USA für 115 Dollar geben würde.

Entsprechend werden bei einer schwachen Währung die heimischen Produkte auf dem Weltmarkt günstiger. Je stärker dabei das Land exportorientiert ist, desto stärker der Effekt.

Die reale Welt sieht es anders

Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das aber ganz anders aus. Denn ein Blick auf den Chart DAX /EUR/USD zeigt, dass es keinen eindeutigen, beziehungsweise nachhaltig statistischen Zusammenhang zwischen dem Kursverlauf des DAX und dem EUR/USD-Wechselkurs gibt:
DAX vs. USD/EUR
(Quelle: MarketMaker)

Eigentlich sollten der DAX (schwarz) und der USD/EUR-Wechselkurs (rot) parallel zueinander verlaufen (schwacher Euro = starker Dollar). Außer in einer Phase ab 2015 bis 2016 (siehe gelbe Markierung) ist aber kein wirklicher Gleichlauf zu erkennen.
Eher das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein. In mehreren langen Zeiträumen liefen die beiden Kurven komplett entgegengesetzt. Wie zum Beispiel in den Jahren 2006 und 2007 bzw. in der Zeit von Mitte 2012 bis Anfang 2014 (siehe blaue gekreuzte Pfeilpaare), als der DAX trotz des hohen Euro-Kurses einfach weiter anstieg. Auch die aktuellen Kursverluste des DAX werden gerne mit dem starken Euro begründet. Betrachtet man aber die beiden Kurven, wirkt der Rückgang des DAX eher wie eine zufällige Schwankung in die gleiche Richtung, als eine direkte Folge des Euro-Kursanstiegs.

Der Nikkei zeigt wie es geht

Dafür, dass die zugrundeliegende Theorie aber nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, gibt es passendes Beispiel. Und zwar die Abhängigkeit des Nikkei zum Yen (siehe folgender Chart).
Nikkei vs. USD/JPY
(Quelle: MarketMaker)

Seit 2005 (dem gleichen Zeitraum wie im obigen DAX-USD/EUR-Chart) folgt der Nikkei dem US-Dollar/Yen-Kurs auf Schritt und Tritt. Da macht ihn zum Paradebeispiel eines währungsabhängigen Index. Vor 2005 sah das aber noch etwas anders aus und auch seit Anfang 2017 driften die beiden Kurven auch wieder auseinander.

Die stärkere Korrelation hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Exportwerte stärker im Index vertreten sind und sich damit deutlicher auswirken können. Schließlich gibt es mit Beiersdorf, Lufthansa (DE:LHAG) oder den Energieversorger E.On und RWE (DE:RWEG) einige Unternehmen im DAX, deren Auslandsgeschäfte eher gering ausfallen.

Anfälligkeit der Exportunternehmen

Um also dieser Sache genauer auf den Grund zu gehen, schauen wir uns deshalb den DAX-Export-Werte-Index an, in dem die Deutsche Börse (DE:DB1Gn) die zehn exportstärksten deutschen Großunternehmen gebündelt hat (siehe folgender Chart):
DAX-Exportwerte vs. USD/EUR und Weltwirtschaft
(Quelle: MarketMaker, Economic Cycle Research Institute)

Der sogenannte DAXplus Export Strategy ist hier als schwarze Kurve und der USD/EUR-Kurs als Rote (diesmal im unteren Chartteil) dargestellt. Aber ähnlich wie beim DAX zeigt sich auch hier kein wirklicher Gleichlauf, sondern teilweise sogar das Gegenteil. Während der langen Rally von 2003 bis 2007 wertete der Dollar ab (siehe rote Kurve unten) und der Euro stieg (in der Spitze 2008 bis auf 1,60 USD). Weder die deutschen Exportwerte noch der der DAX insgesamt waren davon irgendwie beeindruckt, sondern stiegen munter weiter an (siehe grünes Rechteck).

Worauf es wirklich ankommt

Aber es ist auch noch eine andere Kurve (blau) eingezeichnet, die deutlich besser mit dem DAX korreliert. Diese bildet den Leading Indicator der US-Wirtschaft auf Basis der Berechnungen des ECRI-Instituts ab. Es handelt sich also um einen Frühindikator wie den bekannten ISM-Index aus den USA (bzw. das ifo-Geschäftsklima oder die ZEW-Konjunkturerwartungen in Deutschland). Sie gibt in dieser Betrachtung das globale Konjunkturklima wieder. Da die USA noch die größte Volkswirtschaft der Welt sind und außerdem der größte Exportmarkt für Deutschland, macht diese Korrelation auch Sinn.
Hier zeigt sich, dass sich die Kurse des Exportwerte-Index eher nach dem weltweiten Wirtschaftsklima als dem Euro-Kurs richten. So korrelierte der Exportwerte-Index mit dem Leading Indicator des ECRI zu gut 53 %. Die Korrelation mit dem Euro-Kurs betrug dagegen nur 17%. Kein Wunder also, dass Zweifel über den großen Einfluss des Wechselkurses auf die DAX-Kurse gerechtfertigt sind.

Zumal auch die Art der Hauptexportprodukte eine Rolle spielen. In Deutschland sind das neben Autos vor allem Maschinen und Anlagen. Und wenn Siemens (DE:SIEGn) irgendwo in der Welt eine Kraftwerksturbine verkauft, dann ist dies mit monatelangen Vorbereitungs-, Produktions- und Installationszeiten verknüpft. Ein Anstieg des Euro wird dieses Projekt nicht großartig beeinflussen, zumal man sich gegen solche Währungsrisiken auch gut absichern kann.

Noch mehr Gründe

Dazu gibt es noch zwei weitere Gründe die für den geringeren Einfluss des Wechselkurses auf die heimische Wirtschaft sprechen. Erstens bleiben allein etwa 37% der deutschen Exporte im Euroraum. Frankreich ist z.B. unser zweitgrößter Exportpartner. Hier entfällt also das Wechselkursrisiko. Unter anderem war das auch mal einer der Gründe für die Einführung des Euros.
Dazu kommen viele andere europäische (Nicht-Euro-)Länder, die den Euro als Handelswährung akzeptieren, ebenso wie andere (kleinere) Handelspartner in der Welt. Entsprechend größer dürfte das abgewickelte Exportvolumen in Euro sein. (Dieser zusätzliche „Binnenmarkt“ fehlt Japan, dies wird einer der Gründe für die oben gezeigte extreme Abhängigkeit des Nikkei vom Yen sein.)
Und zweitens profitieren die deutschen Importeure von einem starken Euro. Sie können Waren dadurch günstiger einkaufen. Besonders relevant ist dies für die Rohstoffe, die meistens noch auf Dollarbasis verrechnet werden. Dadurch wird ihr Export-Preisproblem bei steigendem Euro durch Kostenvorteile etwas aufgefangen.

Dazu kommt noch, dass viele „Exporte“ im Zuge der Globalisierung eigentlich gar nicht mehr exportiert werden. So steht zum Beispiel das größte Werk von BMW (DE:BMWG) inzwischen in den USA. Der „Exportmarkt“ USA wird also von den USA aus beliefert. Dadurch werden nicht nur die Umsätze, sondern auch die Kosten in US-Dollar verrechnet. Das Wechselkursrisiko ist damit verringert worden.

Bilanzrisiko bleibt

Ein Risiko, das aber nicht ganz beseitigt werden kann, ist das Bilanzrisiko. Denn bei Umsätzen, die in anderen Währungen erzielt werden, wird einem starken Euro auch ein geringer Euro-Betrag in der hiesigen Bilanz verbucht. Und das trotz gleicher Stückzahlen (z.B. bei Autos) und gleichen Preisen. Um sich dagegen abzusichern, gibt es die Möglichkeit des Währungs-Hedging. In der Praxis führt aber auch das gerne zu Problemen. Deshalb stehen auch in den neuesten Quartalsberichten, dass die Unternehmen „währungsbereinigt“ (also auf Basis der Wechselkurse des Vorjahres) ihre Umsätze zwar stark steigern konnten, ihnen die ungünstige Wechselkursentwicklung unterm Strich trotzdem weniger oder sogar ein kleines Minus bescherte.
Die Faustregel bleibt aber dennoch bestehen: Eine Änderung des EUR/USD-Wechselkurses um 1 % beeinflusst die deutschen Exporte nur um 0,5 %. 0,3% wenn man den Ökonomen der Commerzbank (DE:CBKG) glauben möchte. Je nach Unternehmen ändert sich dieses Verhältnis natürlich. Der Bayer-Konzern geht bei einer Aufwertung des Euro um 1% von einem Umsatzrückgang von 0,64 % aus. Der bereinigte operative Gewinn vor Abschreibungen würde sogar um fast 0,8% leiden. Bei BASF (DE:BASFN) ist es wieder anders. Sollte der Euro im Laufe des Jahres um einen Cent von dem Niveau abweichen, welches vom Konzern erwartet wurde, rechnet BASF mit einem Gewinnrückgang von 0,1 %.

Die Auswirkungen auf den Kurs des DAX sind dann nochmal schwächer. Darum ist die Korrelation zwischen DAX-Kurs und Wechselkursentwicklung des Euro so schwach ausgeprägt. Dazu kommen dann noch weitere Faktoren, die ebenfalls eine Rolle spielen.

Fazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass die deutschen Exporte durchaus von dem Euro-Kurs beeinflusst sind und dass sich das auch auf den DAX auswirken kann. Die Effekte sind jedoch deutlich schwächer, als gemeinhin angenommen. Das gilt sowohl für die Aktienkurse der Unternehmen bzw. den DAX insgesamt. Entscheidender für den DAX bleibt die weltweite Konjunktur, die derzeit noch gut läuft.

Jetzt stellen Sie sich aber vielleicht die Frage, wieso Sie auch in der Börse-Intern lesen, dass ein Anstieg des Euro den DAX unter Druck gebracht hat? Der Grund dafür liegt im zeitlichen Rahmen. Kurzfristig ist es, entgegen der oben genannten Zusammenhänge, nämlich oft wirklich so. Der Grund für das eigentlich unlogische Verhalten liegt möglicherweise in der weiten Verbreitung dieses Mythos und seine mediale Präsenz. Und wie Sie wissen, werden Börsen kurzfristig oft mehr von dem beeinflusst, was die Anleger glauben, als von den wirtschaftlichen Fakten.

Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert

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