Die deutschen Autobauer – einst der Grundpfeiler der Wirtschaft, das Aushängeschild für „Made in Germany“. Deutsche Autos waren der Goldstandard der Autoindustrie, ganz Asien träumte davon, einmal einen neuen Mercedes besitzen zu können. Ein mythisches Wesen, das ultimative Statussymbol. Doch die Zeiten änderten sich: Finanzkrise, Abgasnormen und Umweltbewusstsein, Diesel-Gate und Manager, die den Zeitenwandel verschliefen. Seit 20 Jahren treten die Aktienkurse der deutschen Größen BMW (DE:BMWG), Volkswagen (DE:VOWG) und Daimler auf der Stelle, während sich der Wert von Tesla (NASDAQ:TSLA) in den letzten 2 Jahren verzehnfachte. Inzwischen liegt der Marktwert von Tesla beim 5-fachen des kombinierten Wertes von VW, BMW und Daimler bei einem 20-tel des Umsatzes. Sind die klassischen Autokonzerne nun endgültig abgeschrieben?
Hohe Investitionen
Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen von Daimler und BMW in % des Cashflows.
In unseren ESG-Daten findet sich auch eine Aufstellung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Nachdem man die frühen Entwicklungen der Mobilitätswende noch weitgehend an sich vorbeigehen ließ, begann man ab 2012 mit voller Konzentration sich auf die veränderten Gegebenheiten einzustellen. Die Restrukturierung und Neuausrichtung lasteten schwer auf den Bilanzen. Steigende Kosten, Einbruch von Margen und Wachstum. Insbesondere Daimler traf es hart.
Hoffnungsschimmer im Cashflow
Daimler: Entwicklung von Cashflow, Kosten und Margen.
Dementsprechend kamen auch die Aktienkurse trotz der wohlgesonnenen Börsen nicht vom Fleck. Doch es zeichnet sich Besserung ab. Der Cashflow, häufig ein Frühindikator, des letzten Jahres zeichnet deutliche Hoffnungsschimmer für bessere Zeiten. Auch die Aktienkurse konnten sich in den letzten 12 Monaten ungewöhnlich gut entwickeln. In diesem Bereich kann man zurzeit eine Dynamik entdecken, die das letzte Jahrzehnt vermisst wurde. Durchaus logisch, bei eingehenderer Betrachtung. Die Ungewissheit der letzten Jahre, wohin das neue Zeitalter der Mobilität marschiert, ist größtenteils verflogen. Vieles wurde versucht und mehr oder minder verworfen (bspw. Carsharing), anderes hat sich durchgesetzt (bspw. Autonomes Fahren). Damit sind die Risiken wie auch die Chancen kalkulierbar geworden und der Sektor in der breite ein deutlich attraktiveres Investment.
Charttechnische Musik
Die Kursentwicklung von VW, Daimler und BMW in den letzten 20 Jahren. BMW mit einem technisch attraktiven Setup, Daimler mit starkem Momentum aus dem Corona-Crash.
Dabei haben die Deutschen ihre Zeit und Investitionen durchaus genutzt. Laut ersten Berichten könnten sie Tesla in puncto autonomem Fahren noch in diesem Jahr zumindest formal überholen. Sollte das entsprechende Gesetz bis dahin verabschiedet worden sein, möchte Daimler noch in diesem Jahr die S-Klasse mit einem Assistenzsystem ausstatten, dass es dem Fahrer in bestimmten Situationen explizit erlaubt, dem Auto die volle Kontrolle zu überlassen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. In Sachen Fahrunterstützung und Notfallassistenz hat Tesla zwar noch die Nase vorn, aber dieser Vorsprung ist inzwischen auf wenige Punkte geschrumpft.
Growth oder vielleicht doch Value
Russel 3000 Value vs Growth.
Dazu kommt, dass sich das Value-Umfeld Lebenszeichen von sich gibt. Nach einem Jahrzehnt Hype auf Growth-Aktien wird zurzeit einmal mehr der Versuch gestartet den Trend in Richtung Value-Werten wie eben den günstigen und stabilen Dividendenzahlern VW, BMW und Daimler umzuschwenken. Fazit Die deutsche Autoindustrie ist nicht am Abgrund, im Gegenteil. Einiges spricht dafür, dass die schlimmsten Jahre vorbei sind und die Zukunft deutlich besser aussieht als die Vergangenheit. Tesla dürfte sich als ein gleichberechtigter Spieler zu den etablierten Großen gesellen. Bei einem Wert von 750 Mrd. für Tesla und 62 Mrd. für Daimler ist eine Preisanpassung wahrscheinlich. Nicht zuletzt als Diversifikation in einem Portfolio voll von Amazon (NASDAQ:AMZN), Google (NASDAQ:GOOGL) und Netflix (NASDAQ:NFLX) sind die deutschen Autobauer eine interessante Wahl, um gegen einen Schwenk von Growth zu Value abzusichern.
Dabei ist die Wahl des Wertes so individuell wie ihre Fahrer. VW, der Größte und Stärkste der Drei, kam vergleichsweise gut durch die Krise und macht sich für einen Ausbruch aus der Seitwärtsbewegung des letzten Jahrzehnts bereit. Stabil und ruhig, der Golf. BMW schiebt sich volatil gegen alle Widrigkeiten vorwärts und zeigt ein recht interessantes technisches Setup mit dem Ausbruch aus der Flaggenkonsolidierung seit 2015. Schön zu handeln mit einem Stop Loss bei 60 – 65 € und einem Ziel in Richtung 3-stelligkeit, wenn nicht deutlich höher. Technisch fein, der 3er. Daimler hatte es am schwersten getroffen, hat am meisten in die Neuausrichtung investiert und zeigt sich in der Erholung nach Corona klar am stärksten. Latent größenwahnsinnig aber bei Erfolg sind die Sterne das Ziel, die S-Klasse. Auch Elon Musk passt übrigens wunderbar in diese Analogie. Unfassbar schnell aber ein Fehltritt und einem fliegt es um die Ohren: die Rakete.
Lars Wißler besitzt Aktien der Daimler AG (DE:DAIGn), Volkswagen AG und BMW AG. PWP Leeway besitzt keine der erwähnten Aktien.
Autor: Lars Wißler, PWP Leeway, Geschäftsführer.
Zuerst erschienen auf Leeway am 21.02.2021.