“Im Zweifel, kehre zurück zu den Wurzeln” ist ein ständiger Refrain in der Geschäftswelt und im Privatleben. Und nirgendwo scheint das derzeit mehr zuzutreffen, als am Ölmarkt, wo die brennende Frage bleibt: hatten die Händler die wahrscheinlichen Folge der US-Sanktionen gegen die iranischen Ölexporte übertrieben? Und wichtiger, untertreiben sie jetzt? Oder legen sie den Fokus auf die falschen Gesichtspunkte?
Die Veränderung der Mengen am Ölmarkt im vierten Quartal “ist klein im Vergleich zum Ausmaß des Stimmungswandels und der Folgen des Ausverkaufs auf die Preise,” sagte die Londoner Beratungsgesellschaft Energy Aspects unter Bezug auf die Volatilität am Markt, die das fünf Monate währende Drama um das Ölembargo gegen den Iran begleitete.
In einem der wildesten Marktumschwünge aller Zeiten, stiegen die Ölpreise in einem Zeitraum von fünf Monaten zunächst um rund 20% an und verloren dann alles wieder in weniger als fünf Wochen. Die Entwicklung begann mit dem Schritt Präsident Donald Trumps, erneut Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, nachdem er ein Abkommen seines Amtsvorgängers Obama aufgekündigt hatte, das der Islamischen Republik Ölexporte im Gegenzug für Beschränkungen ihres Nuklearprogramms ermöglichte.
Die anfängliche Rallye wurde von Ängsten über den Wegfall von bis zu 3 Mio Fass am Tag an iranischen Ölexporten ausgelöst. Der nachfolgende Ausverkauf kam, nachdem Saudi-Arabien versprochen hatte, soviel Öl wie notwendig zu fördern, um jegliche Lücken, die die Sanktionen im Angebot reißen könnten, zu füllen. Der Bärenmarkt wurde verstärkt durch gewaltige wöchentliche Einspeisungen von Öl in die amerikanischen Vorratslager und der Rekordproduktion an Schieferöl in den Vereinigten Staaten sowie die Ausgabe von Befreiungen durch die Trump-Administration, die es acht Ländern erlauben werden, auch nach dem Inkrafttreten der Sanktionen in dieser Woche weiter Öl aus dem Iran zu importieren.
Fehlgeleitete Stimmung?
Energy Aspects sagte, ein unterschätztes Element des Preisrutsches am Ölmarkt war, dass Trump die Benzinpreise an US-Tankstellen vor den gerade beendeten US-Zwischenwahlen am Dienstag niedrig halten wollte—ein Ziel, das nicht ohne einen Rückgang der Rohölpreise selbst zu erreichen war.
Und vor den Sondergenehmigungen dieser Woche, hatten die Ölbullen “schon das Handtuch geworfen” sagten die Berater. Und weiter:
“Niemand nahm ernsthaft bei seinen Berechnungen null iranische Exporte an. Die meisten Kalkulationen berücksichtigten einige Genehmigungen und/oder Schmuggel.”
Anstatt also darüber zu grübeln, ob der Markt auf die Angst vor einer Angebotsverknappung durch die Sanktionen überreagierte, ist die relevante Frage, ob sich die Berechnungsgrundlagen verändert haben, sagte die Firma:
“Handelt es sich lediglich um ein Problem mit der Stimmung und der Wahrnehmung, die von einer weiteren Diskrepanz herrühren, als die Exporte aus dem Nahen Osten in diesem Sommer stiegen, bevor die iranischen Exporte fielen?”
Als der Ausverkauf noch nicht vorbei zu sein scheint, denken einige Händler, dass US West Texas Intermediate (WTI) unter 60 USD das Fass fallen könnte, nachdem es noch Anfang Oktober ein Vierjahreshoch von 77 USD erreicht hatte und der Benchmark für den internationalen Markt, Brent, auf unter 70 USD absacken könnte, während er vor lediglich einem Monat noch mit 86 USD seinen höchsten Preis seit 2014 erreicht hatte.
Von der Ölflut zur Benzinflut
Andere glauben nicht, dass der Markt weiteren schweren Preisrückgängen entgegensieht.
“Wir geben zu bedenken, dass ein Einbruch unter 60,40 USD das Fass, weitere CTA-Verkäufe nahelegen würde,” sagte TD Securities in einer Mitteilung unter Bezug auf Ölhandelsfonds. Der kanadische Bankbroker weiter:
“Wir wiederholen unseren positiven Ausblick, dass die Sanktionen zu einer asymmetrischen Risikoverteilung geführt haben, die stark höheren Preisen zuneigt. Während Geldmanager sich vor den US-Zwischenwahlen weiter zurückhalten könnten, vermuten wird, dass ein Wendepunkt vor der Tür steht. Zur gleichen Zeit erwarten wir, dass CTA-Verkäufe an Benzin an Schwung verlieren werden.”
Energy Aspects stimmt überein, dass eine Ölschwemme unwahrscheinlich ist, da Saudi-Arabien und anderen Mitglieder der Organisation Erdölexportierender Länder “vorausschauend sicherstellen werden, dass der Markt nicht überversorgt wird”.
Aber es könnte einen hohen Überschuss an Benzin geben, wenn die US-Raffinerie ihre derzeitige Instandhaltungsphase beenden und ihre Produktion nicht beschränken, warnte die Firma. Ein Überangebot an Benzin könnte im kommenden Winter schlimmer werden, wenn die Nachfrage saisonal zurückgeht, sagt Energy Aspects. Und weiter:
“Einige erwägen sogar die Umwandlung von Diesel- in Benzintanks…zur Aufbewahrung von Treibstoff in Sommerqualität. Das bedeutet, dass während Winterbenzin jetzt einen Boden finden könnte, es ein Risiko gibt, dass jeglicher Preisauftrieb im Sommer 2019 durch diese Vorräte zu einem schnellen Ende kommen würde.”