Ein Blick in den Börsengarten

Veröffentlicht am 02.12.2014, 10:25
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Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

Anleger – insbesondere jene mit langfristigem Horizont – haben sehr viel mit Landwirten gemeinsam. Diese müssen ebenfalls weit über den Augenblick hinausdenken, denn ihre Arbeit unterliegt bestimmten Zyklen und sie sehen sich mitunter unerwarteten Ereignissen gegenüber. Gewitter entspannen die Lage
Wenn Sie kein Landwirt sind, aber vielleicht einen eigenen Garten haben, kennen Sie sicher auch die folgende Situation: Trotz schönstem Wetter gehen Ihre Blicke immer wieder sorgenvoll zum Himmel, weil es nämlich schon viel zu lange viel zu trocken ist.

Sorgenvoll bleibt Ihr Blick auch, als endlich dicke Wolken aufziehen, denn nach der langen Schönwetterperiode könnte ein kräftiges Unwetter drohen, das nicht nur den erhofften Regen bringt, sondern auch die Erträge schmälert. Die Wolken lösen sich zwar auf und es fallen ein paar Tropfen, aber für eine echte Entspannung der Lage war das viel zu wenig…

Ein zwiespältiges Gefühl

Genau das gleiche zwiespältige Gefühl überkommt viele Anleger derzeit beim Blick auf die Börse. Dass die Kurse nach kurzer Korrektur gleich wieder kräftig ansteigen, ist ja prinzipiell erfreulich. Aber eine Bereinigung der überkauften und überbewerteten Situation wurde dadurch bisher nicht erreicht. Und so wächst einfach die Gefahr, dass ein stärkeres Unwetter größeren Flurschaden anrichtet.

Die jüngste bemerkenswerte Erholung, die teilweise sogar schneller verlief als der Einbruch zuvor, hinterlässt also ein zwiespältiges Gefühl. Die einfache Erklärung ist, dass die „starken“ Hände den „schwachen“ die Aktien abgenommen haben. Aber diese Erklärung gab es auch schon bei allen anderen Korrekturen seit 2012 Offensichtlich werden also auch die ehemals Starken irgendwann schwach. Und was ist, wenn irgendwann keiner mehr einspringt?

Vorerst steht – zumindest in Europa – noch die EZB als Gärtner mit dem Wasserschlauch bereit, um das schlimmste „Austrocknen“ zu verhindern. So sorgten unter anderem Äußerungen von EZB-Präsident Draghi auf einer Bankentagung in Frankfurt am Freitag vor einer Woche dafür, dass die europäischen Märkten einen kräftigen Sprung nach oben machten. In der Folge lief der DAX wieder an die 10.000-Punkte-Marke heran.

Die EZB will weiter „gießen“

Draghi bekräftigte erneut den unbedingten Willen der EZB, bei Bedarf mit allen verfügbaren Mitteln noch stärker an den Finanzmärkten zu intervenieren und über Wertpapierkäufe – auch den umstrittenen Kauf von Staatspapieren – mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Nun kann man spekulieren, ob die EZB auf ihrer bevorstehenden Sitzung am kommenden Donnerstag (4.12.) schon weitere konkrete Maßnahmen beschließen wird. Die Reaktion der Märkte könnte auf entsprechende Erwartungen der Anleger hindeuten. Rückenwind für mögliche weitere Schritte erhielt die EZB jedenfalls auch durch die jüngsten Inflationsdaten.

So betrug der Preisanstieg im Euroraum im November nur noch 0,3 %. In Deutschland waren es zwar 0,6 %, aber beides ist aus Sicht der EZB viel zu niedrig! Damit steigt also tatsächlich die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB in dieser Woche neue Maßnahmen beschließen könnte. Zu erwarten ist jedoch zumindest eine starke verbale Intervention der EZB in diese Richtung. Das alles mag die Börsianer erfreuen. Aber eine weitere Lockerung der Geldpolitik der EZB dürfte kurzfristig eher die Finanzmärkte als die Wirtschaft stimulieren. Das würde die Diskrepanzen zwischen fundamentaler und charttechnischer Lage weiter vergrößern. Oder – um im eingangs erwähnten Bild zu bleiben: Weil die Sonne immer stärker vom Himmel strahlt, trocknet der Boden trotz sporadischen Gießens weiter aus…

Die USA – das alte und neue Zugpferd der Weltwirtschaft

Zuletzt konnten die Maßnahmen der EZB jedenfalls keinen neuen Schwung mehr in die Wirtschaft des Euroraums bringen. So wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum im dritten Quartal nur um 0,8 % (im Vergleich zum Vorquartal, annualisiert). Deutschland kam sogar nur auf einen Zuwachs von 0,4 %. Beides ist de facto eine Stagnation, zumal im Vorquartal jeweils ein minimaler Rückgang der Wirtschaft zu verzeichnen war.

Noch schlechter steht Japan da, das mit einem erneuten und diesmal unerwarteten Minus von 1,6 % nun offiziell in die Rezession zurückfiel (zwei negative Quartale in Folge). Auch China und andere Schwellenländer fallen aufgrund eher schwacher als moderater Wachstumsraten derzeit als Wachstumsmotoren für die Weltwirtschaft aus.
Und so ruhen alle Hoffnungen auf den USA, die als altes und neues Zugpferd der Weltwirtschaft eine flächendeckende „Bewässerung“ zukommen lassen soll. Immerhin verzeichneten die USA zuletzt ein deutlich stärkeres BIP-Wachstum als alle anderen Wirtschaftszentren weltweit – im dritten Quartal um stattliche 3,9 %. In den beiden vorangegangenen Quartalen war das Wachstum in den USA zwar insgesamt eher durchwachsen, aber dennoch ist die US-Wirtschaft inzwischen offenbar am weitesten der Krise entwachsen.

ISM-Index deutet weiter hohes Wachstum an

Nach der gestrigen, besser als erwartet ausgefallenen Veröffentlichung des ISM-Index für November (rotes Ende der schwarzen Kurve in der folgenden Grafik) hält die US-Wirtschaft weiter dieses hohe Niveau. Das Kalkül von Anlegern und Ökonomen ist, dass dadurch auch die Nachfrage aus den USA auf dem Weltmarkt hoch bleibt oder sogar weiter wächst.
ISM vs. ifo
Quellen: ifo-Institut, Institute for Supply Management

Angesichts eines schwachen Euro (= niedrige Preise auf dem Weltmarkt) und niedriger Ölpreise (= sinkende Energiekosten) wäre das vor allem für die exportorientierten Unternehmen aus Europa ein Segen. Damit sollten sich auch Stimmung und Lage der deutschen Unternehmen wieder signifikant verbessern. Beides befindet sich – im Gegensatz zu den USA – seit Jahresanfang auf Talfahrt, wie das ifo-Geschäftsklima für Deutschland zeigt (blaue Kurve in der Grafik). Erst im November kam es nach sechs Rückgängen des Index in Folge zu einem zarten Anstieg.

US-Konjunkturdaten im Blickpunkt

Daher sind neben eventuellen Schritten der EZB für europäische Anleger vor allem die US-Konjunkturdaten von Interesse. Außer dem gestrigen ISM erwarten wir dazu in dieser Woche zwei weitere wichtige Veröffentlichungen: Zum einen werden die Verkaufszahlen zum Thanksgiving-Wochenende zeigen, wie gut Stimmung und Kauflaune der Verbraucher in den USA sind und ob die Unternehmen dadurch den erwarteten Schub fürs vierte Quartal erhalten (mehr dazu im heutigen Steffens Daily).
Zum anderen werden am Freitag die Arbeitsmarktdaten für November bekanntgegeben. Auch diese werden weiteren Aufschluss über die Verfassung der US-Wirtschaft und den für sie so wichtigen Konsum geben.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass eine weiter erstarkende US-Wirtschaft eine wachsende globale Nachfrage schafft und damit bald der dringend benötigte „Regen“ (in Form von Aufträgen und Umsatz- und Gewinnanstieg) auf die Felder der hiesigen Wirtschaft fällt. Dann könnten auch deren zarte Pflänzchen – wie schon die Bäume an der Börse – im Anschluss kräftig in den Himmel wachsen. Die Anleger diesseits und jenseits des Atlantiks wären dann vermutlich vor den gröbsten Unbilden eines Börsengewitters beschützt.

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