Europas Industrie leidet unter hohen Gaspreisen – und rechnet schon mit dem nächsten deutlichen Preisanstieg noch in diesem Winter. Hoffnung macht der Erdgasboom im Schwarzen Meer.
Die winterlichen Bedingungen sind nicht zu übersehen: Im westlichen Schwarzen Meer wenige Kilometer vor der türkischen Küste sind die letzten herbstlichen Luftmassen einem feucht-kalten Luftstrom aus Nordosten gewichen. Das Offshore-Team des Gasunternehmens Trillion Energy (ISIN: CA89624B3020, WKN: A3EVV5) arbeitet davon unbeeindruckt weiter – die Ingenieure sind aus ihrer kanadischen Heimat ohnehin härtere Bedingungen gewohnt.
Gasfelder wie SASB produzieren Erdgas für Europa
Trillion Energy fördert Erdgas im Schwarzen Meer. Genauer: Auf dem SASB Gasfeld. Das kanadische Unternehmen betreibt die Plattform und besitzt 49 % der Anteile. 51 % gehören dem staatlichen türkischen Mineralölkonzern TPAO.
Zuletzt konnte ein operativer Meilenstein abgeschlossen werden. Dem Team gelang es, 2 3/8 Velocity String Tubing ("VS") in vier bestehenden Bohrlöchern zu verlegen, darunter drei Long Reach-Bohrlöcher auf der Akcakoca-Plattform des SASB-Gasfelds. Dies soll die Wasserbelastung reduzieren und die Produktion und Gesamtausbeute der Brunnen steigern.
"Mit den neuen Verrohrungssträngen sollten die Brunnen über einen längeren Zeitraum bei einem niedrigeren Brunnenkopfdruck produzieren können", erläutert Trillion Energy CEO Arthur Halleran.
Trillion Energy plant derzeit die nächste Phase des Betriebs, bei der das VS an zwei Tripod-Bohrungen betrieben wird und alle Bohrungen stimuliert werden. Das Ziel: Die produzierenden Lagerstätten reinigen, Druck aufbauen und die Produktion steigern.
"Die Drosselgrößen werden angepasst, um die Wasserproduktion zu minimieren und die Gasproduktion zu maximieren", erklärt Halleran. Das Unternehmen hat Stickstoff in einige Bohrungen injiziert, um Wasseransammlungen auszuspülen.
Erdgasboom zieht viele Unternehmen an
Trillion Energy nur eines von vielen Unternehmen, die dem Run auf Erdgas ins Schwarze Meer gefolgt sind. Neben dem kanadischen Explorer und seinem Partner TPAO sind auch Arar Petrol, Park Place Energy Limited, Thrace Basin Natural Gas Corporation Turkey, Petrogas, Atli Makina, Marsa Turkey BV und Transatlantic Petroleum vor Ort.
Über SASB hinaus gibt es weitere große Gasfelder in der Region – etwa Sakarya im Besitz von TPAO. Das Feld wurde 2020 entdeckt und verfügt Schätzungen zufolge über Gasreserven im Umfang von 700 Mrd. Kubikmeter. Sakarya gilt als Hauptgrund dafür, dass die Türkei ihre Erdgasproduktion im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 112,55 % auf 807,28 Millionen Kubikmeter steigern konnte.
Der Boom ist zum einen auf Entdeckungen in den letzten Jahren zurückzuführen. Zum anderen ist die Türkei bestrebt, ihre Rolle auf den Energiemärkten auszubauen. Doch der Hauptgrund ist weder angebotsseitiger noch strategischer Natur, sondern sehr profan: Europa fehlt es an Gas.
Vor allem die energieintensive Industrie bereitet sich auf einen neuen Gaspreisschock vor, weil die Vorräte aufgrund der kälteren Witterung zur Neige gehen, der Wettbewerb mit Asien um Flüssigerdgas ausgesprochen intensiv ist und zum Jahreswechsel die Lieferungen aus Russland noch einmal geringer ausfallen, weil fortan kein Gas mehr durch die Ukraine fließt.
Europas Industrie fürchtet neuen Gaspreis-Schock
Seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs 2022, als die Gaspreise mit fast 350 EUR pro Megawattstunde (MWh) ihren Höhepunkt erreichten, haben dutzende von Unternehmen in ganz Europa Fabriken geschlossen oder ihre Kapazitäten heruntergefahren.
Der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit drosselt die industrielle Gasnachfrage: Der Gasbedarf der EU liegt 17 % unter dem Fünfjahresdurchschnitt der Jahre vor der Pandemie. Und dennoch liegt der Erdgaspreis am Handelsplatz TTF aktuell rund 60 % höher als im Februar.
Svein Tore Holsether, CEO des Düngemittelunternehmens Yara, warnte bereits im Oktober: "Es ist wichtig, uns daran zu erinnern, dass wir uns noch immer auf einem viel höheren Niveau befinden als andere Schlüsselregionen wie die USA, der Nahe Osten und Russland". Dies belegt ein Blick auf den nordamerikanischen Knotenpunkt Henry Hub: Dort wird Gas zu 3,095 Dollar/mmBtu gehandelt wird, was 10,02 Euro/MWh entspricht. Die ICE gibt den aktuellen TTF-Preis mit 45 EUR an.
Allein der Wegfall russischer Gaslieferungen zum Jahreswechsel könnte einen neuen Preisschub auslösen. Russisches Gas macht noch immer einen wesentlichen Teil der Versorgung aus: Nach 14,8 % im vergangenen Jahr stieg der Anteil im Jahresverlauf wieder an.
BoA Analyst: Gaspreis in Europa könnte auf 70 EUR pro MWh steigen
Francisco Blanch von der Bank of America (NYSE:BAC) prognostiziert, dass der Angebotsschock den Gaspreis in der EU von derzeit fast 50 EUR/MWh im nächsten Jahr auf 70 EUR/MWh treiben könnte. Im Vergleich dazu betrug der durchschnittliche Gaspreis in der EU in den fünf Jahren vor der Pandemie 17,58 EUR/MWh, wie aus LSEG-Daten hervorgeht.
Vor allem in Verbindung mit einer längerfristig kalten Witterung drohen die Vorräte knapp zu werden. Derzeit sind die Gasvorräte in der EU zu 85 % gefüllt – 10 Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr.
Die Hoffnung vieler Europäer auf mehr US-LNG nach der Amtsübernahme Donald Trumps könnte derweil enttäuscht werden. Joe Biden hatte im Januar die Genehmigung neuer LNG-Exporte in Länder, mit denen die USA kein Freihandelsabkommen unterhalten, ausgesetzt und dies mit dem Umweltschutz begründet. Donald Trump will die Aussetzung der LNG-Genehmigungen rasch aufheben.
Doch der Effekt dieser Maßnahme könnte sich in Grenzen halten. Brad Crabtree, stellvertretender Minister des Energieministeriums, erläuterte kürzlich bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus, die Unterbrechung betreffe nur sieben LNG-Projekte mit einer Kapazität von etwa 5,6 Milliarden Kubikfuß. Seit dem Amtsantritt seien jedoch Exporte von 48 Milliarden Kubikfuß genehmigt worden.
Gasproduzenten profitieren von Preissteigerungen und Versorgungsengpässen
Gasproduzenten wie Trillion Energy gehören absehbar zu den Gewinnern der Gasverknappung in Europa. "Die Abhängigkeit Europas von importiertem Gas und der Wettbewerb mit Asien bei LNG-Lieferungen tragen weiter zu potenziellen Preissteigerungen und Versorgungsengpässen bei", konstatierte CEO Halleran Anfang Dezember.
Nach der Installation der VC-Strings nahmen die Bohrlöcher Guluc-2 und West Akcakoca-1 die Produktion wieder auf. Bei beiden Bohrlöchern kam es zuvor zu Produktionsproblemen, die zu Ausfallzeiten aufgrund von Wasseransammlungen in den vorherigen 4 1/2-Rohren führten.
Trillion Energy ist zuversichtlich, die Produktion bei SASB weiter zu steigern. Um die Platzierung der Produktion am Markt müssen sich die Kanadier nicht sorgen. Selbst, wenn es den bestehenden Take-Or-Pay-Vertrag für die Lieferung von Gas aus SASB nicht gäbe: Die Nachfrage übersteigt das Angebot absehbar für lange Zeit.