Wir haben eine interessante Korrektur hinter uns. Während die Stimmung am Markt eher pessimistisch war, nutzten viele Kleinanleger den Rücksetzer als Kaufgelegenheit.
Das ist insofern interessant, als Kleinanleger lange Zeit als „Contrarian-Indikator“ galten – sie neigten dazu, impulsiv zu handeln und sich von Emotionen leiten zu lassen. Typischerweise führte das dazu, dass sie „hoch kauften und tief verkauften“ – genau das Gegenteil einer erfolgreichen Anlagestrategie. Doch dieses Verhalten scheint sich verändert zu haben.
Ich habe bereits mehrfach darüber geschrieben, wie sich das Verhalten von Kleinanlegern verändert hat – weg vom panischen Verkauf bei Korrekturen hin zu Käufen aus Angst, etwas zu verpassen (F.O.M.O.).
Die "Fear of Missing Out" (F.O.M.O.) ist kein neues Phänomen. Bereits 1996 untersuchte der Marketingstratege Dr. Dan Herman dieses Verhalten erstmals wissenschaftlich.
„Die Angst, etwas zu verpassen (FOMO) ist das Gefühl der Befürchtung, dass man entweder nicht ausreichend informiert ist oder Gelegenheiten verpasst – seien es soziale Interaktionen, neue Erfahrungen, bedeutende Ereignisse oder finanzielle Chancen. FOMO ist eng mit der Angst vor Reue verbunden und kann dazu führen, dass Menschen impulsiv handeln, um vermeintlich lukrative Gelegenheiten nicht zu versäumen.“ – Wikipedia
In den letzten Jahren hat sich F.O.M.O. zu einem weit verbreiteten Phänomen entwickelt – insbesondere unter jüngeren Kleinanlegern. Mit der Robinhood-App in der Hand und einer Mitgliedschaft bei WallStreetBets im Rücken stürzen sie sich auf riskante Marktchancen. Und warum auch nicht? Schließlich hat die US-Notenbank (Fed) in der Vergangenheit immer wieder in den Markt eingegriffen und so ein Klima geschaffen, in dem Risiken oft scheinbar folgenlos blieben.
Das Prinzip des „moralischen Risikos“
Wie definiert sich moralisches Risiko genau?
„Ein fehlender Anreiz, sich vor Risiken zu schützen, wenn man vor deren Folgen bewahrt wird – zum Beispiel durch eine Versicherung.“
Nach mehr als einem Jahrzehnt wiederholter geldpolitischer Interventionen hat sich die ursprüngliche F.O.M.O. der Kleinanleger von der „Angst, etwas zu verpassen“ in die „Angst, die Talsohle zu verpassen“ verwandelt.
Deshalb wird heute jedes Wort der Fed genau analysiert. Die massiven Eingriffe der Notenbank haben über die Jahre einen perversen Anreiz geschaffen: Anleger sind bereit, extreme Risiken einzugehen, weil sie darauf vertrauen, dass die Fed im Ernstfall eingreifen wird.
Beispiele für dieses Verhalten gab es in den letzten Jahren zuhauf – von spekulativen Börsengängen, SPACs und Kryptowährungen im Jahr 2021 bis hin zu gehebelten Einzelaktien-ETFs und Zero-Day-Optionen im Jahr 2024. Die Erwartung bleibt: Sollte es zu einem Einbruch kommen, wird die Fed einspringen und das Schlimmste verhindern.
Mit anderen Worten: Viele Kleinanleger handeln, als hätte die Fed ihnen eine Versicherung gegen Verluste ausgestellt.
Deshalb überwiegt die Angst, eine Chance zu verpassen, das Bedürfnis, sich aus riskanten Märkten zurückzuziehen.
Genau dieses Muster sehen wir derzeit an den Märkten.
Ich habe Angst, aber ich verkaufe nicht
Es war daher kaum verwunderlich, dass viele Anleger nervös wurden, als der Markt in der vergangenen Woche in den Korrekturbereich eintrat – definiert als ein Rückgang von etwa 10 %.
Unser zusammengesetzter Index, der sowohl das Verhalten von Kleinanlegern als auch von institutionellen Investoren erfasst, zeigt deutlich: Die Angst war real.
Wie ersichtlich, erreichte die Standardabweichung der Netto-Bullenstimmung ihren tiefsten Stand seit der Marktkorrektur von 2022 – ein Niveau, das zuletzt während der Finanzkrise zu beobachten war.
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Dass Kleinanleger bereits nach einer vergleichsweise milden Marktkorrektur so pessimistisch wurden, ist eine seltene Erscheinung. Normalerweise neigen sie dazu, erst bei stärkeren Einbrüchen nervös zu werden.
Charles Rotblut von der American Association of Individual Investors hat genau diesen Punkt hervorgehoben. Seiner Analyse zufolge spiegelt die aktuelle Stimmung eine ungewöhnlich starke Unsicherheit wider – ein Hinweis darauf, wie sehr sich die Marktpsychologie im Laufe der letzten Jahre verändert hat.
Und genau hier wird es spannend.
Man könnte annehmen, dass eine derart ausgeprägte Bärenstimmung dazu führt, dass Anleger ihr Aktienrisiko deutlich reduzieren. Doch die Realität zeichnet ein ganz anderes Bild.
Wie die Daten zeigen (siehe unten), weicht die tatsächliche Portfolioallokation der A.A.I.I.-Investoren erheblich von ihrer Stimmungslage ab. Trotz der pessimistischen Grundhaltung bleibt die Aktienquote weiterhin hoch, während die Cash-Bestände nach wie vor auf einem niedrigen Niveau verharren.
Mit anderen Worten: Auch wenn die Anleger besorgt sind, lassen sie sich in ihrem Anlageverhalten nicht davon abhalten, investiert zu bleiben.
Die Anleger fürchten eine Marktkorrektur – doch anstatt ihr Risiko aktiv zu reduzieren, bleiben sie investiert. Der Grund? Die Angst, etwas zu verpassen.
In der Vergangenheit führte ein Marktabschwung oft dazu, dass Anleger ihre Aktienallokation reduzierten und stattdessen in Bargeld oder sicherere Anlagen flüchteten. Heute ist das nicht der Fall. Trotz wachsender Unsicherheit halten viele ihre Positionen, anstatt sich abzusichern.
Ein möglicher Grund dafür könnte die Erwartung sein, dass die Fed ihren geldpolitischen Kurs plötzlich ändert. Ich vermute, dass Investoren heute weniger Angst vor weiteren Kursrückgängen haben, sondern vielmehr davor, die Talsohle zu verpassen – und damit die nächste Rallye.
Ähnlich wie Pawlows Hunde, die darauf konditioniert wurden, auf ein Signal hin zu reagieren, haben Anleger über Jahre hinweg gelernt, dass "Rücksetzer Kaufgelegenheiten sind". Nun warten sie darauf, dass die Fed "die Glocke läutet" – sprich, mit neuen Stimuli oder Zinssenkungen eingreift.
Man könnte sogar sagen: "Diesmal ist alles anders."
Stimmungstief signalisiert Bodenbildung
Historisch gesehen haben Kleinanleger oft als zuverlässiger Contrarian-Indikator gedient. Immer dann, wenn ihre Stimmung entweder extrem optimistisch oder äußerst pessimistisch war, war es oft ein guter Zeitpunkt, genau das Gegenteil zu tun.
Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man den "smart" vs. "dumb" Geldindikator im Vergleich zum Markt betrachtet. Die aktuelle Marktlage spiegelt dieses Muster wider: Die Grafik von Sentimentrader.com verdeutlicht, dass das Vertrauen der Kleinanleger in Aktien derzeit sehr niedrig ist, während professionelle Anleger deutlich positiver gestimmt sind.
Diese Konstellation legt nahe, dass die jüngste Korrektur sich möglicherweise ihrem Tiefpunkt nähert – es sei denn, wir befinden uns bereits in einem tieferen Korrekturzyklus.
Derzeit gibt es eine große Zahl von Anlegern, die noch nie einen echten Bärenmarkt erlebt haben. Ihre gesamte Anlageerfahrung ist geprägt von einer Zeit, in der die Fed immer wieder interveniert hat. Daher überrascht es nicht, dass viele trotz der jüngsten Marktrückgänge investiert bleiben. Selbst an der Wall Street ist die Angst, etwas zu verpassen, spürbar – die Hoffnung auf eine weiche Landung der Wirtschaft hält viele Investoren im Markt.
Die entscheidende Frage – und das größte Risiko für Anleger – ist, wann sich die Angst, etwas zu verpassen, in die Angst, dabei zu sein, verwandelt.
Ein solches Umschwenken der Marktstimmung ist derzeit jedoch unwahrscheinlich. Die extrem negative Anlegerstimmung deutet vielmehr darauf hin, dass wir uns aus einer Contrarian-Perspektive in einer Phase befinden, in der sich kaufenswerte Gelegenheiten ergeben könnten – zumindest für kurzfristige Handelsmöglichkeiten. Übertreibungen treten typischerweise dann auf, wenn sich alle Marktteilnehmer auf der gleichen Seite des Trades befinden. Wenn der Pessimismus so weit verbreitet ist wie jetzt, kann eine plötzliche Erholung zu einem schnellen Stimmungsumschwung führen.
Fazit: Fokus auf Strategie, nicht auf Schlagzeilen
Anleger sollten sich nicht von Medienberichten oder kurzfristigen Marktbewegungen leiten lassen, sondern eine fundierte Portfoliostrategie verfolgen. Chancen sollten genutzt werden, doch gleichzeitig gilt es, langfristige Risiken im Blick zu behalten.
Zweifellos gibt es viele Gründe, sich in den kommenden Monaten um die Märkte zu sorgen. Doch kurzfristig können sich die Märkte unvorhersehbar entwickeln, selbst wenn die fundamentalen Daten anderes vermuten lassen. Wie bereits erwähnt:
"Es ist immer wichtig, unerwartete Ereignisse zu berücksichtigen, die eine bestehende Strategie in Frage stellen können. Unsere aktuelle Vorsicht bedeutet nicht, dass wir diese Haltung dauerhaft beibehalten werden."
Die nächsten Wochen und Monate dürften für Anleger herausfordernd bleiben. Wahrscheinlich bewegen sich die Märkte in einer engen Handelsspanne, in der weder Optimisten noch Pessimisten klare Vorteile haben. Aus diesem Grund bleiben wir bei einer überdurchschnittlich hohen Bargeldquote und halten eine Untergewichtung in Aktien und Anleihen aufrecht.
Letztendlich haben Marktprognosen wenig Wert. Das Beste, was ein Anleger tun kann, ist, die aktuelle Marktlage objektiv zu analysieren, die Risiken zu verstehen und mit Bedacht zu agieren.
Überlassen Sie die extrem optimistischen oder pessimistischen Einschätzungen den Medien – die Realität liegt meist irgendwo dazwischen.