Das Inflationsrisiko sorgt seit einigen Jahren regelmäßig für Schlagzeilen in den Mainstream-Medien. Das ist wenig überraschend – denn nach der Pandemie 2020 schoss die Teuerungsrate deutlich in die Höhe. Grund dafür war, dass die Verbraucherausgaben (= Nachfrage) durch massive Konjunkturpakete angekurbelt wurden, während gleichzeitig die Produktion (= Angebot) weitgehend stillstand.
Um zu verstehen, warum es dazu kam, lohnt sich ein Blick zurück auf unser kürzliches Thema "Grundzüge der Ökonomie".
In der Ökonomie spricht man von Inflation, wenn die Preise für Waren und Dienstleistungen allgemein steigen. Solche Preissteigerungen können unterschiedliche Ursachen haben: Veränderungen in der tatsächlichen Nachfrage (= Nachfrageschocks – etwa durch Steuerpolitik, Geldpolitik oder eine Rezession), Veränderungen im Angebot wie etwa bei Energiekrisen (= Angebotsschocks) oder auch durch sich selbst verstärkende Inflationserwartungen.
Klar ist: Angebot und Nachfrage sind die beiden zentralen Faktoren in der Inflationsgleichung.
Denn laut den Grundregeln der Ökonomie entstehen Preise dort, wo Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen – also dort, wo die Menge an verfügbaren Gütern und Dienstleistungen zur Nachfrage der Verbraucher passt.
Die wirtschaftliche Darstellung macht dieses Grundprinzip deutlich – es ist eines der ersten Dinge, die man in einem Einsteigerkurs in Ökonomie lernt.
Kein Wunder also, dass die Inflation im Jahr 2020 vor allem die Folge eines eingeschränkten Angebots bei gleichzeitig stark steigender Nachfrage war.
Ein zentraler Treiber war dabei der sprunghafte Anstieg der direkten Konjunkturhilfen für private Haushalte. Diese Maßnahmen führten zu einem historisch hohen Anstieg der Ersparnisse – was wiederum eine künstlich verstärkte Nachfrage erzeugte. Der sogenannte "Pig in the Python"-Effekt war dabei deutlich zu beobachten.
In den darauffolgenden zwei Jahren hat sich dieser Liquiditätsüberschuss wieder langsam aufgelöst und ist zum vorherigen Wachstumstrend zurückgekehrt.
Weil das Wirtschaftswachstum typischerweise mit rund 12 Monaten Verzögerung auf Veränderungen bei den Sparquoten reagiert, könnte sich das Wachstumstempo 2025 weiter abschwächen.
Genau dieser „Verzögerungseffekt“ ist ein entscheidender Punkt in der Argumentation dafür, dass nach wie vor ein „Inflationsrisiko besteht“.
Weil Inflation im Kern eine Folge von Angebot und Nachfrage ist, wirkt sich der Rückgang der überschüssigen Geldmenge direkt auf die künftige wirtschaftliche Aktivität aus. Der Inflationsanstieg nach 2020 hatte weniger mit einem Anstieg der Staatsschulden oder der Geldpolitik der Fed zu tun – vielmehr war es der kurzfristige Schub an Liquidität, ausgelöst durch Direktzahlungen an die Haushalte, der die Preise in die Höhe trieb.
Solange es kein neues Infrastrukturpaket oder weitere direkte Anreize für Verbraucher gibt, dürfte das Inflationsrisiko daher tendenziell weiter sinken.
„Aber Lance – Zölle sind doch inflationär.“
Nicht unbedingt – und das aus zwei Gründen. Und beide haben mit dem Verhalten der Verbraucher zu tun.
Denn der Verbraucher ist der Schlüssel, wenn es um Inflation geht.
Die Annahme ist verständlich: Wenn man auf ein Produkt, eine Ware oder Dienstleistung eine Steuer erhebt, steigen die „Kosten“ – und damit auch die Preise für Konsumenten. Das klingt logisch, greift aber zu kurz.
Denn:
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Zölle treffen zunächst einmal die Hersteller – nicht direkt die Endverbraucher.
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Und: Inflation, zum Beispiel gemessen über den Verbraucherpreisindex (VPI), wird auf der Konsumentenseite erfasst – nicht am Anfang der Produktionskette.
In unserem Artikel "Zölle sind kein Inflationsrisiko" sind wir genau auf diesen Punkt eingegangen und haben gezeigt, warum Zölle nicht automatisch zu höheren Verbraucherpreisen führen.
Der Nachfrageboom nach der Pandemie, gestörte Lieferketten und massive fiskal- sowie geldpolitische Maßnahmen haben in den letzten Jahren für außergewöhnlich hohe Unternehmensmargen gesorgt.
Wie die folgende Grafik zeigt, gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Entwicklung der Unternehmensgewinne. Und immer dann, wenn es starke Abweichungen von dieser Korrelation gab, standen größere Ereignisse dahinter – etwa die „Finanzkrise“ oder die wirtschaftliche Erholung nach der Rezession.
Unternehmen reagieren auf steigende Kosten in ihrem Geschäft – etwa für Löhne, Sozialleistungen, Rohstoffe oder Energie –, indem sie versuchen, diese Kosten in ihre Verkaufspreise einzukalkulieren, um ihre Margen zu sichern.
Entscheidend dabei: Höhere Inputkosten lassen sich nur dann an die Verbraucher weitergeben, wenn die Nachfrage nach den entsprechenden Produkten oder Dienstleistungen das verfügbare Angebot übersteigt.
In den Jahren 2020 und 2021 war genau das der Fall: Die Verbraucher waren bereit, das Geld aus den staatlichen Hilfsprogrammen auszugeben – und die Unternehmen konnten den Großteil der gestiegenen Kosten auf die Verkaufspreise umlegen.
Mittlerweile sind diese überschüssigen Ersparnisse jedoch weitgehend aufgebraucht. Die Konsumbereitschaft geht zurück – und damit auch die Inflation. Unternehmen können höhere Kosten nicht mehr so einfach weitergeben, was sich direkt negativ auf ihre Gewinnmargen auswirkt.
Wie bereits gezeigt: Wenn die Inflation sinkt, geht auch das Wachstum der Unternehmensgewinne zurück.
Diesen letzten Satz sollte man sich wirklich bewusst machen.
Denn bei der Frage, wie groß das Inflationsrisiko tatsächlich ist, steht die Aktivität der Verbraucher im Mittelpunkt – sie ist der entscheidende Treiber für inflationäre Impulse.
Wenn man die Unternehmensgewinne um die Inflation bereinigt und im Zwei-Jahres-Durchschnitt betrachtet, wird dieser Zusammenhang besonders deutlich.
Wie man sieht, haben angebotsseitige Preistreiber – etwa Zölle – nur dann eine inflationssteigernde Wirkung, wenn Unternehmen diese höheren Kosten auch an die Konsumenten weitergeben können.
Im Jahr 2020 war genau das der Fall: Die Verbraucher waren zahlungskräftig, die Nachfrage hoch, und die Inflation stieg sprunghaft an.
Heute ist das Bild ein anderes: Die Nachfrage hat nachgelassen, die Inflation ist rückläufig. Das bedeutet auch, dass Unternehmen einen immer größeren Teil der Kostensteigerungen selbst tragen müssen – ihre Rentabilität sinkt, und das zeigt sich gesamtwirtschaftlich in Form einer rückläufigen Inflation.
Und hier kommt der entscheidende Punkt:
Unternehmen schaffen keine Inflation. Sie reagieren lediglich auf Veränderungen der Nachfrage – und passen dann Preise und Produktion an, um ihre Rentabilität zu sichern. Wenn die Nachfrage nachlässt, senken Unternehmen nicht selten die Preise oder reduzieren ihr Angebot.
Wie zu erwarten, sind es also die Verbraucher, die das Inflationsrisiko vorantreiben – und zwar gemessen über den Verbraucherpreisindex (VPI). Das Verbrauchervertrauen spielt dabei eine zentrale Rolle. Es entscheidet letztlich darüber, ob Inflation überhaupt entstehen kann.
Und genau da liegt das Problem: Den Verbrauchern fehlt aktuell das Vertrauen.
Trotz aller Diskussionen darüber, ob Zölle die Inflation anheizen könnten – wenn die Konsumenten nicht bereit oder schlicht nicht in der Lage sind, höhere Preise zu zahlen, bleibt die Inflation gedämpft.
Wie wir bereits im Kommentar der letzten Woche ("Der US-Verbraucher ist am Limit") angesprochen haben, zeigen sich beim Verbraucher inzwischen deutliche Anzeichen von finanziellem Stress.
Vor allem Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen geraten zunehmend unter Druck. Die Ersparnisse, die während der Pandemie aufgebaut wurden, sind inzwischen weitgehend aufgebraucht – und viele greifen nun zu hochverzinsten Krediten, um laufende Ausgaben zu decken.
Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auch eine aktuelle Zahl der Federal Reserve Bank of Philadelphia: Im dritten Quartal 2024 lag der Anteil der aktiven Kreditkartenkonten, bei denen nur die Mindestzahlung geleistet wurde, bei 10,75 % – ein Allzeithoch.
Diese Statistik ist nicht nur ein Warnsignal in Sachen finanzieller Stabilität. Sie zeigt auch deutlich: Viele Haushalte steuern direkt auf eine ernstzunehmende Liquiditätskrise zu.
Hinzu kommt, dass das Vertrauen der Verbraucher in den Arbeitsmarkt weiter sinkt – ein weiterer Hinweis darauf, dass sich die wirtschaftliche Lage eintrübt.
Und das ist entscheidend: Arbeitsplätze schaffen Einkommen – und ohne Einkommen gibt es keinen Konsum.
Wenn Menschen ihren Job verlieren, Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder ihre Einkommen stagnieren, wird es schwierig, die Konsumnachfrage zu steigern.
In einem solchen Umfeld ist es kaum vorstellbar, dass die Nachfrage spürbar anzieht – und ohne starke Nachfrage bleibt auch das Inflationsrisiko gering.
Um das Ganze noch greifbarer zu machen, lohnt sich ein Blick auf die persönlichen Konsumausgaben (PCE) – denn sie machen fast 70 % der gesamten Wirtschaftsleistung aus.
Und auch hier zeigt sich ein klares Muster: Wenn das Vertrauen der Verbraucher sinkt, geht historisch gesehen auch der Konsum zurück.
Das bedeutet: Schwaches Verbrauchervertrauen ist nicht nur ein Stimmungsindikator – es hat ganz reale Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.
Deshalb ist es auch wenig überraschend, dass die Inflation eng mit dem Verbrauchervertrauen verknüpft ist.
Wenn das Vertrauen sinkt, geben die Menschen weniger aus – und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen geht zurück.
Dieser Rückgang in der wirtschaftlichen Aktivität spiegelt sich auch in den aktuell deutlich gedämpften Inflationsrisiken wider.
Fazit
Der finanzielle Stress, unter dem viele Verbraucher aktuell stehen, zeigt sich nicht nur in einzelnen Indikatoren – er spiegelt sich zunehmend auch in den Ergebnissen der Unternehmen und in den Aussagen ihrer Führungskräfte wider.
Doug McMillon, CEO von Walmart (NYSE:WMT), sprach in der jüngsten Telefonkonferenz offen darüber, dass viele Kundinnen und Kunden „knapp bei Kasse“ sind. Sie zeigten „Verhaltensweisen, die auf Stress schließen lassen“, etwa indem sie selbst bei Alltagsartikeln die Ausgaben zurückfahren. Besonders deutlich wurde er mit der Aussage: „Bei vielen Kunden ist das Geld weg, bevor der Monat vorbei ist.“
Auch Todd Vasos, CEO von General (NYSE:DG), zeichnete ein ähnliches Bild. Seinen Angaben zufolge kämpfen viele Kunden mehr denn je. Manche sähen sich inzwischen gezwungen, selbst auf eigentlich unverzichtbare Dinge wie Medikamente oder Hygieneartikel zu verzichten, um sich Lebensmittel und Kraftstoff leisten zu können. Seine Worte: „Diese Kunden gehen Kompromisse ein, wie wir sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben.“
Ähnlich äußerte sich auch Jane Fraser, CEO von Citi (NYSE:C). Sie beobachtet, dass Verbraucher „vorsichtiger werden“ und ihre Ausgaben zunehmend auf kleinere, günstigere Käufe beschränken. Dieses Verhalten deutet auf eine defensive Konsumhaltung hin – ein Muster, das man häufig in rezessiven Phasen sieht. Und es kann zugleich auch deflationäre Tendenzen verstärken.
Wenn sich das Konsumverhalten in der Breite von „Wollen“ zu „Müssen“ verschiebt, bleibt das nicht ohne Folgen für die gesamte Wirtschaft.
Unterm Strich: Die Inflationsrisiken erscheinen aktuell angesichts der nachlassenden Konjunktur und der Turbulenzen an Aktien- und Anleihemärkten – die ihrerseits das Verbrauchervertrauen belasten – deutlich abgeschwächt.
Könnte sich das ändern? Ja, aber dafür bräuchte es neue Konjunkturpakete, einen spürbaren Anstieg der Staatsausgaben oder eine wesentlich lockerere Geldpolitik der Fed. Momentan ist keines dieser Szenarien in Sicht.
Das eigentliche Risiko für die Wirtschaft ist daher nicht ein möglicher Anstieg der Inflation – sondern ein weiterer Rückgang des Verbrauchervertrauens, der letztlich in eine Rezession münden könnte.