- Ein Jahr nach dem Börsengang hat die RIVN-Aktie den Markt enttäuscht
- Insgesamt ist das Geschäft von Rivian jedoch auf Kurs
- Konjunkturelle und makroökonomische Risiken halten die meisten Investoren von Wachstumswerten ab, die übrigen sollten RIVN in Betracht ziehen
Rivian Automotive Inc (NASDAQ:RIVN) ging am 10. November 2021 an die Börse. Im Rahmen des größten Börsengangs des Jahres sammelte Rivian 12 Mrd. USD ein. Die RIVN-Aktie wurde bei 78 USD ausgegeben und schloss am ersten Handelstag bei über 100 USD.
Am Dienstag - etwas mehr als ein Jahr später - schloss RIVN bei 35,15 USD und lag damit 65 % unter dem Schlusskurs des ersten Tages. Dieser Einbruch könnte vermuten lassen, dass Rivian die Anleger enttäuscht hat.
Quelle: Investing.com
Das ist aber nicht wirklich der Fall. Bis jetzt hat das Unternehmen seine Versprechen weitgehend eingehalten.
Was die RIVN-Aktie belastet, sind vielmehr der generelle Abverkauf bei Wachstumswerten und die steigenden Risiken außerhalb des Unternehmens. Keiner dieser kurzfristigen Faktoren kann oder darf ignoriert werden. Anleger, die bereit sind, langfristig zu planen und diese kurzfristigen Risiken zu stemmen, sollten RIVN nach diesem Abverkauf zumindest in Betracht ziehen.
Warum sich für Rivian nichts geändert hat
Als Rivian vor einem Jahr an die Börse ging, waren die mittelfristigen Aussichten recht klar. Rivian würde noch einige Zeit Verluste machen, während das Unternehmen die Produktion seiner R1-Verbraucherplattform und der kommerziellen elektrischen Lieferwagen hochfährt.
Der Großinvestor Amazon.com (NASDAQ:AMZN) will den Großteil der Produktion der e-Lieferwagen übernehmen. Der Auftragsbestand von 55.400 Vorbestellungen (Stand: 31. Oktober letzten Jahres) soll den Auslieferungen bis etwa Ende 2023 entsprechen. Von dort aus wird Rivian den Verkauf hochfahren, die Produktpalette erweitern und weiter in Richtung Rentabilität navigieren.
Dieser Plan steht im Großen und Ganzen noch. Erst letzte Woche hat Amazon seine Flotte von Rivian-Fahrzeugen vorgestellt und das Ziel bekräftigt, bis zum Ende des Jahrzehnts 100.000 Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Die Zahl der Vorbestellungen hat sich in den ersten drei Quartalen des Jahres 2022 mehr als verdoppelt. Ein Analyst hat nachgerechnet und festgestellt, dass sich die Bestellraten tatsächlich beschleunigt haben.
Die Jahresprognose für die Produktion von 25.000 Fahrzeugen wurde Anfang des Jahres bekanntgegeben und nach dem dritten Quartal bekräftigt. Rivian hatte einige kleine Fehltritte, einschließlich eines Rückrufs im letzten Monat, aber nichts, was bei einem neuen Hersteller überraschen würde.
Es scheinen noch keine neue Modelle geplant zu sein. Die Produktionskapazität steigt. Das Unternehmen tut, was es angekündigt hat. Viele Konkurrenten - insbesondere im gewerblichen Bereich - können das nicht von sich behaupten.
Rivian hat sogar eine Partnerschaft mit Mercedes-Benz (ETR:MBGn) vereinbart, um den europäischen Markt zu erobern. Und die Fahrzeuge erhalten begeisterte Kritiken.
Es sieht immer noch so aus, als sei das Unternehmen auf dem besten Weg, einen beträchtlichen Marktanteil im Segment der Elektrofahrzeuge zu gewinnen, das gilt für Lkw, SUVs und Nutzfahrzeuge. Das sind genau die Prognosen, die der Markt sah, als RIVN im letzten Jahr auf eine Bewertung von weit über 100 Mrd. USD kletterte.
Seitdem hat sich einiges verändert
Natürlich ist diese Bewertung von mehr als 100 Mrd. USD ein wesentlicher Grund dafür, dass RIVN seit dem Höchststand mehr als zwei Drittel an Wert eingebüßt hat. Diese Bewertung lag weit über der von Ford (NYSE:F) und General Motors (NYSE:GM) - ein guter Teil des künftigen Erfolgs (und mehr) war bereits eingepreist.
Die Annahme, dass RIVN jetzt eine Kaufempfehlung ist, weil die Aktie rund 70 % billiger notiert, setzt zunächst voraus, dass der frühere Preis "richtig" war. Dafür gibt es keine Garantien. Wenn man bedenkt, wie breit und steil der Abverkauf bei Wachstumsaktien verlief und wie gering der Anteil der für die Öffentlichkeit verfügbaren RIVN-Aktien unmittelbar nach dem Börsengang war, könnte man denken, dass der Optimismus einfach zu groß war.
Der Rückgang auf 35 USD könnte daher eher eine notwendige Korrektur als eine Kaufgelegenheit sein. Angesichts der Tatsache, dass es bei Rivian noch viel zu tun gibt, können realistische Investoren natürlich sehr unterschiedlicher Ansicht darüber sein, wie die langfristige Bewertung des Unternehmens aussehen sollte.
Darüber hinaus gibt es ein makroökonomisches Problem. Rivian hatte bereits mit den Auswirkungen der Inflation zu kämpfen und musste im März eine Preiserhöhung von 20 % rückgängig machen. Eine Rezession in den USA würde zum Inflationsdruck noch dazu kommen und das mittelfristige Wachstum des Unternehmens möglicherweise dämpfen. Sie könnte sich auch auf die Risikobereitschaft auswirken, die notwendig ist, um die Aktie über Wasser zu halten.
Diese kurzfristigen Risiken stehen konkret im Raum. Und sie können sich langfristig auswirken. Etablierte Konkurrenten wie Ford und GM sind möglicherweise besser dafür aufgestellt, ein unbeständiges Umfeld zu meistern, da sie über stärkere Bilanzen, längere Kundenbeziehungen und eine bessere Skalierung verfügen.
Dennoch ist Rivian eine interessante Investment-Story. Ein weltweit führender Hersteller von Elektrofahrzeugen hätte eine Bewertung, die weit über der derzeitigen Marktkapitalisierung von Rivian von rund 32 Mrd. USD liegt. Die Schlüsselfragen sind hier, ob Rivian zu einem führenden Unternehmen wird und wie viel höher die Bewertung noch werden kann. Bislang hat das Unternehmen seine Versprechen gehalten, aber wie gesagt – es gibt für Rivian noch viel zu tun.
Offenlegung: Vince Martin ist derzeit in keinem der hier genannten Wertpapiere investiert.