Prognosefehler: Wird die Fed wieder einmal auf dem falschen Fuß erwischt?

Veröffentlicht am 11.02.2025, 08:40

Die (fehlende) Treffsicherheit der Prognosen der Fed hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass sie auf wirtschaftliche und finanzielle Veränderungen zu spät reagiert hat.

Auf der jüngsten Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) korrigierte die US-Notenbank ihre Absichten und entschied sich, den aktuellen Zinssenkungszyklus vorerst zu pausieren. Forbes berichtete dazu:

"Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank (FOMC) hat sich einstimmig dafür ausgesprochen, den Zielkorridor für den Leitzins bei 4,25 % bis 4,5 % zu belassen, teilte die Fed am Mittwochnachmittag nach Abschluss ihrer zweitägigen Sitzung mit. Die Entscheidung unterbricht eine Serie von drei Zinssenkungen, die bis September zurückreichen, als die Fed ihre erste Senkung seit März 2020 vorgenommen hatte.

In der offiziellen Mitteilung des FOMC wurde darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitslosenquote 'auf einem niedrigen Niveau stabilisiert' habe und 'die Inflation weiterhin leicht erhöht' sei. Auffällig ist dabei eine Änderung gegenüber der vorherigen Zinsentscheidung: Der Hinweis darauf, dass die Inflation 'Fortschritte' in Richtung des 2 %-Ziels mache, wurde gestrichen."

Zur Einordnung: Die Fed verfolgt zwei offizielle Ziele – Vollbeschäftigung und Preisstabilität. Ihre Entscheidung, die Zinssenkungen auszusetzen, bezog sich ausdrücklich auf beide Mandate. Diese sind nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend, sondern auch für die Stabilität des Finanzsystems. Eine niedrige Arbeitslosenquote und eine kontrollierte Inflation schaffen ein Umfeld, das wirtschaftliche Aktivität begünstigt, während eine stabile Geldpolitik das Finanzsystem durch gesunde Kreditvergabe und niedrige Ausfallraten stützt.

Allerdings zeigt die Vergangenheit, dass sich die Fed mit wirtschaftlichen Prognosen oft schwer tut. Ihre Fähigkeit, das künftige Wachstum korrekt einzuschätzen, ist – gelinde gesagt – ausbaufähig. Die folgende Tabelle zeigt den Durchschnitt der Konjunkturprognosen der Fed aus dem Jahr 2011 im Vergleich zum tatsächlichen BIP.

Das Problem liegt auf der Hand: Je größer die Abweichung zwischen Prognose und Realität, desto höher das Risiko, dass die Fed mit ihrer Geldpolitik falsch reagiert – insbesondere in Krisenzeiten.

Fed BIP Schätzung vs. tatsächliche Daten

Unerwartete Faktoren

Das größte Problem für die Federal Reserve besteht darin, dass Prognosen unzuverlässig werden, sobald unerwartete Ereignisse auftreten, die den Konsum beeinträchtigen können. Das ist heute relevanter denn je, da der private Konsum fast 70 % der US-Wirtschaft ausmacht. Interessanterweise steigt die Verschuldung der privaten Haushalte seit dem Jahr 2000 zwar weiterhin stark an, doch führt sie nicht mehr zu einem vergleichbaren Anstieg der Wirtschaftstätigkeit.

Anders gesagt: Haushalte verschulden sich zunehmend, um ihren Lebensstandard zu halten, anstatt ihn – wie zwischen 1980 und 2000 – zu verbessern.

PCE vs BIP vs Verschuldung

Das ist ein entscheidender Punkt. Die Fed setzt darauf, dass steigende Vermögenspreise das Vertrauen der Verbraucher stärken und so die Wirtschaft ankurbeln. Doch während die Asset-Preise tatsächlich gestiegen sind, haben die unteren 90 % der Haushalte kaum davon profitiert. Ihr Anteil am wirtschaftlichen Wohlstand hat sich nicht wesentlich verbessert – ein Thema, auf das wir bereits in unserem Artikel "Rückkehr des bullischen Überschwangs" hingewiesen haben.

Inflationsbereinigtes Nettovermögen der privaten Haushalte

Deshalb bewegt sich das nominale Wirtschaftswachstum weiterhin auf den langfristigen Trend von 2 % zu und könnte in den kommenden Jahren sogar darunterfallen.

Ein wesentlicher Grund dafür ist die hohe Verschuldung: Sie lenkt Kapital weg von produktiven Investitionen hin zum Schuldendienst und bremst so das Wachstum in allen Einkommensschichten.

Gesamtverschuldung pro USD des BIP

Da wirtschaftliches Wachstum letztlich von Produktion und Konsum abhängt, ist die mangelnde Ausweitung des wirtschaftlichen Wohlstands ein klares Zeichen dafür, dass die aktuellen Prognosen der Fed möglicherweise erneut zu optimistisch sind – insbesondere, was die Stärke des Arbeitsmarktes betrifft.

Prognosefehler und ihre Folgen: Wenn die Geldpolitik falsch gesteuert wird

Ein entscheidender Treiber für nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist die Beschäftigung. Wie bereits in "Wie der Arbeitsmarkt den Aktienmarkt beeinflusst" erläutert, spielt sie eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung.

„Auch wenn die [jüngsten] Gesamtzahlen solide wirkten, zeigen die zugrunde liegenden Daten klare Warnsignale: Die Nachfrage nach Arbeitskräften geht zurück. Anleger sollten diese Entwicklung genau im Blick behalten, denn der Zusammenhang zwischen Beschäftigung, Wirtschaft und Markt ist nicht zu übersehen. Oft wird unterschätzt, wie eng Wirtschaftstätigkeit und Unternehmensgewinne miteinander verknüpft sind – doch die Fakten sprechen eine klare Sprache.

Beschäftigung ist der Motor einer konsumgetriebenen Wirtschaft. Bevor Menschen konsumieren können, müssen sie erst Einkommen erzielen – und genau hier liegt der Schlüssel zu Unternehmensgewinnen und Marktbewertungen.“

Produktionszyklus

Der Produktionszyklus spielt eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und die Inflationserwartungen. Ohne einen stabilen Arbeitsmarkt bleibt es schwierig, das Wachstum der Wirtschaft aus eigener Kraft voranzutreiben. Zwar können höhere Staatsausgaben kurzfristig eine schwächelnde Konsumnachfrage ausgleichen, doch diese Strategie hat ihre Grenzen. Je länger sie angewendet wird, desto stärker steigt die Staatsverschuldung – ein Preis, der langfristig die Stabilität der Wirtschaft belasten kann.

Da die Beschäftigung das Fundament des Wirtschaftswachstums bildet, birgt die aktuelle Einschätzung der Fed zur Stärke des Arbeitsmarktes ein erhebliches Risiko für die Genauigkeit ihrer Prognosen. Nach der letzten FOMC-Sitzung griffen Analysten schnell das Argument der "starken Beschäftigung" auf, um die Zurückhaltung der Fed bei weiteren Zinssenkungen zu erklären.

"Diese Entwicklung markiert eine neue Phase im Lockerungszyklus der Fed. Angesichts des soliden Wirtschaftswachstums und des robusten Arbeitsmarktes kann sich die Notenbank einen geduldigeren Ansatz leisten – vor allem in einem Umfeld erhöhter Unsicherheit in den Daten und der Politik. Der Zinssenkungszyklus ist noch nicht beendet, doch der FOMC wird weitere Fortschritte bei der Inflation sehen wollen, bevor die nächste Senkung erfolgt. Das zeigt sich auch daran, dass die Fed ihren Verweis auf Fortschritte bei der Inflation gestrichen hat." – Lindsay Rosner, Goldman Sachs (NYSE:GS)

Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass die Fed meist erst auf wirtschaftliche Entwicklungen reagiert, anstatt ihnen zuvorzukommen. Oftmals untergraben neue wirtschaftliche Realitäten ihre früheren Prognosen, was dazu führt, dass die Notenbank mit ihren geldpolitischen Anpassungen zu spät kommt.

Fed Funds vs Krisen

Die tatsächliche Lage am Arbeitsmarkt

Es könnte sich bald wieder zeigen, dass die Einschätzung der US-Notenbank zur Stärke des Arbeitsmarktes zu optimistisch ist.

"Wir glauben, dass die Fed am Ende auf der falschen Seite der Prognose stehen wird. Der Beschäftigungszuwachs ist bei weitem nicht so ‚stark‘, wie es in dieser Erklärung heißt. Die neuen Arbeitsplätze entfallen fast ausschließlich auf Teilzeitstellen, während die Einstellungsraten auf einem absoluten Tiefstand sind. Gleichzeitig nehmen die Anträge auf Weiterbeschäftigung deutlich zu, und Verbraucherstudien deuten auf einen spürbaren Vertrauensverlust in den Arbeitsmarkt hin." – David Rosenberg, Rosenberg Research

Er hat damit einen wichtigen Punkt angesprochen. Die folgende Grafik zeigt die kumulative Veränderung der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung in den vergangenen Jahren.

Kumulative Veränderung  Vollzeit- vs. Teilzeitbeschäftigung

Wie bereits erwähnt, sind stabile Arbeitsplätze eine wesentliche Voraussetzung für steigenden Konsum und wirtschaftliches Wachstum. Besonders die Vollzeitbeschäftigung spielt hier eine zentrale Rolle, da sie höhere Einkommen, Sozialleistungen und finanzielle Stabilität für Haushalte bedeutet. Historisch gesehen gab es immer eine Verbindung zwischen Höchstständen bei der Vollzeitbeschäftigung im Verhältnis zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen und schwächeren zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen – sowie einem nachlassenden Inflationsdruck. Eine Ausnahme bildete das Jahr 2020, als die pandemiebedingten Entlassungen vorübergehend zu einem Anstieg der Vollzeitstellen führten.

Vollzeitbeschäftigung als prozentualer Anteil der Arbeitnehmer vs. BIP

Die Daten bestätigen diese Zusammenhänge. Ein niedriger Anteil an Vollzeitbeschäftigten im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung geht häufig mit einer Abschwächung der Konsumausgaben einher. Wenn die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen nachlässt, sinkt in der Regel auch die Inflation.

Vollzeitbeschäftigung vs. PCE vs.  VPI

Die zuletzt schwächeren Wirtschaftsdaten könnten der Fed daher zusätzliche Argumente liefern, ihre Zinspolitik vorerst unverändert zu lassen. Ihre Erwartung einer stabilen Beschäftigung und Inflation könnte sich jedoch als Fehleinschätzung erweisen – insbesondere wenn spätere Datenkorrekturen ein deutlich fragileres Bild des Arbeitsmarktes offenbaren.

Ein alter Irrtum der Fed

Die Gefahr, sich zu sehr auf vergangene Daten zu verlassen, kann zu politischen Fehlentscheidungen führen – mit erheblichen Folgen für Finanzmärkte, Wirtschaftswachstum und Verbrauchervertrauen.

Auch wenn aktuelle Wirtschaftsdaten solide erscheinen, spiegelt sich dieses Bild nicht zwangsläufig in der Stimmung der Verbraucher wider. Ein Blick auf deren Einkommenserwartungen für das kommende Jahr zeigt, dass die Unsicherheit wächst. Michael Lebowitz bringt es auf den Punkt:

"Die Arbeitsmarktdaten wirken auf den ersten Blick stabil, doch es gibt Anzeichen für eine Stagnation. Die Zahl der fortlaufenden Anträge auf Arbeitslosenunterstützung steigt stetig und liegt auf dem höchsten Stand seit über drei Jahren. Gleichzeitig ist die JOLTS-Einstellungsquote auf einem Zehnjahrestief. Zwar bleibt die Zahl der Entlassungen gering, doch Unternehmen halten sich mit Neueinstellungen zurück. Diese Entwicklung sollte der Fed zu denken geben – denn wenn Verbraucher ein schwächeres Arbeitsmarktumfeld wahrnehmen, könnten sie anfangen, weniger auszugeben und mehr zu sparen. Besonders besorgniserregend ist, dass auch die Erwartungen an die Beschäftigung deutlich zurückgehen. In der Vergangenheit führte dies oft zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote."

Erwartetes reales Haushaltseinkommen pro Jahr

Der zunehmende Anteil an Teilzeitbeschäftigung, die nachlassende Dynamik am Arbeitsmarkt und die wachsende Zahl der fortlaufenden Arbeitslosenmeldungen deuten auf eine Abschwächung hin. In der Vergangenheit hat die Fed den Arbeitsmarkt oft überschätzt und dadurch Zinssenkungen hinausgezögert, die eigentlich notwendig gewesen wären. Sollte sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtern, wird sie gezwungen sein, ihren Kurs anzupassen.

Ein weiteres Problem sind die steigenden Kreditkosten. Während die Schulden der Verbraucher zunehmen, bleibt das Lohnwachstum hinter den Erwartungen zurück. Viele Haushalte sind dadurch stärker auf Kredite angewiesen, um ihren Lebensstandard zu halten. Doch je länger die Zinsen hoch bleiben, desto größer wird der Druck auf das verfügbare Einkommen. Sollte dies die Konsumausgaben stärker dämpfen als erwartet, könnte die Inflation schneller zurückgehen, als die Fed es bislang einkalkuliert hat – mit potenziellen Risiken für die wirtschaftliche Stabilität.

Die Folgen einer fehlerhaften Einschätzung durch die Fed reichen jedoch weit über Beschäftigung und Konsum hinaus. Eine zu späte Reaktion auf eine konjunkturelle Abkühlung kann die Marktvolatilität verstärken, Unternehmensinvestitionen ausbremsen und eine wirtschaftliche Abschwächung noch verschärfen. Die Vergangenheit zeigt: Die Fed handelt oft erst, wenn die Lage sich bereits verschlechtert hat, anstatt präventiv gegenzusteuern. Anleger sollten sich dieser Risiken bewusst sein und darauf vorbereitet sein, dass eine veränderte Geldpolitik die Markttrends maßgeblich beeinflussen könnte.

Aktuell mag es gerechtfertigt erscheinen, dass die Fed an einer restriktiven Geldpolitik festhält. Doch spätere Revisionen könnten ein deutlich schwächeres wirtschaftliches Bild zeichnen, als derzeit angenommen. Falls sich die historischen Muster wiederholen, besteht das Risiko, dass die Fed erst dann umsteuert, wenn es eigentlich schon zu spät ist.

Die Herausforderung, die Zukunft zuverlässig vorherzusagen, bleibt eine der schwierigsten Aufgaben der Fed – und doch eine, die sie nicht unterschätzen darf.

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