Der unerwartet starke Preisanstieg in der vergangenen Woche führte letzten Mittwoch zu einem plötzlichen Ausverkauf bei US-Treasuries, nachdem der Verbraucherpreisindex per Berichtsmonat Oktober um 6,2 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen war. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe kletterte daraufhin um mehr als 11 Basispunkte auf 1,56 %. Am Dienstag hatte sie noch bei 1,41 % gelegen.
Nach dem Feiertag am Donnerstag legte die Zehnjahresrendite am Freitag um weitere 2 Basispunkte zu und näherte sich 1,58 %. Gestern überschritt sie dann die Schwelle von 1,6 %.
Angesichts der Ungewissheit, in welche Richtung sich die Geldpolitik entwickeln wird, dürften die Anleger weiterhin verunsichert bleiben und somit die Volatilität anhalten. Werden die Zentralbanken endlich auf die stetig steigende Inflation reagieren, die sich als nicht so vorübergehend erweist, wie sie behauptet haben?
Die Händler halten sich noch zurück und sind hin- und hergerissen zwischen zwei gegensätzlichen Szenarien - die Inflation führt entweder zu einer Straffung der Geldpolitik und/oder eine Verlangsamung der Wirtschaft.
Für solche Situationen gibt es ein wohlbekanntes Wort. Der Begriff "Stagflation", der sich aus den Begriffen "Stagnation" und "Inflation" zusammensetzt, taucht in Kommentaren und Gesprächen immer häufiger auf. Ihre plötzliche Rückkehr wird sogar als "Black Swan" bezeichnet, eine Anspielung auf überraschende Entwicklungen, die oft zu unverhältnismäßigen Reaktionen an den Märkten führen
Nassim Nicholas Taleb, der den Begriff geprägt und die Theorie entwickelt hat, erwartet von den Anlegern nicht, dass sie vorhersagen, was per se unvorhersehbar ist, sondern dass die Finanzmärkte robust genug sind, um die daraus resultierenden Verluste zu verkraften. Leichter gesagt als getan.
Doch keine "chronische" Inflation wie in den 70er Jahren?
Trotz der Beteuerungen des Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank, Philip Lane, dass die heutige Situation nicht mit der "chronischen" Inflation vergleichbar sei, die die Stagflation in den 1970er Jahren begleitete, sehen einige Analysten ähnliche Entwicklungen wie heute - eine Federal Reserve, die bereit ist, die Inflation zu tolerieren, um Arbeitsplätze zu schaffen, massive Staatsausgaben (der Vietnamkrieg damals und COVID-19 heute) und eine durch Knappheit verursachte Inflation (der Ölschock in den 1970er Jahren).
Sowohl die Fed als auch die Europäische Zentralbank verfolgen inzwischen einen flexibleren Ansatz für die Inflation. Die US-Zentralbank gab ihrer Vorliebe für Akronyme nach und nannte ihre neue Politik "Flexible Average Inflation Targeting" oder FAIT. Die EZB verlagerte ihr Inflationsziel von unter, aber nahe 2 % auf ein vages mittelfristiges 2%-Ziel.
Die derzeitige Situation stellt diese beiden neuen Richtlinien auf die Probe, und ihr Erfolg hängt davon ab, ob die politischen Entscheidungsträger Recht behalten, dass die Inflation vorübergehend ist. Der Wunsch mag Vater des Gedankens sein, aber die Anleger fragen sich, ob die Notenbanker nicht einfach falsch liegen.
Die Achterbahnfahrt der 10-jährigen Treasury-Rendite spiegelt diese Unsicherheit der Anleger wider. Die Rendite der Referenzanleihe erreichte im Oktober fast 1,7 %, bevor sie in der vergangenen Woche auf 1,4 % einbrach und nun wieder über 1,6 % gestiegen ist und sich weiter gen Norden orientiert.
Die Renditen der Eurozonen-Staatsanleihen folgten am Montag dem Anstieg der Treasuries, auch wenn der Anstieg durch die geringe Emissionstätigkeit gebremst wurde. Die Anleihekäufe der EZB verringern das Angebot weiter. Einem Analysten der Danske Bank (CSE:DANSKE) zufolge wird Deutschland gerade einmal Anleihen im Wert von 16 Milliarden Euro emittieren und damit kaum die 15,5 Milliarden Euro aus fällig werdenden Schuldtiteln abdecken, während die Anleihekäufe der EZB im Wert von mehr als 25 Milliarden Euro einen Markt aushungern, der auf der Suche nach sicheren Häfen ist.
Die EZB-Vertreter bleiben bei ihrer Meinung, dass es pandemiebedingte Engpässe sind, die das Wachstum bremsen und die Inflation anheizen. Die Anleger glauben das nicht, und die Geldmärkte rechnen inzwischen mit zwei Zinserhöhungen der EZB vor Ende 2022.