Viele Trader dürften gestern der Eröffnung des offiziellen Börsenhandels in den USA sehnsüchtig entgegengefiebert haben – so auch ich. Denn jeder Blick auf die Handelsbildschirme wirkte auf mich gestern Vormittag wie verschenkte Zeit. Selten ließ sich eine derart geringe Handelsaktivität und somit Volatilität beobachten. Beim DAX musste man oft mehrere Sekunden auf den nächsten Kurs warten. Für aktive Trader ist das äußerst frustrierend. Zumal es auch vorgestern schon nur extrem schleppend vorwärts ging. Pünktchen für Pünktchen bewegten sich die Kurse lediglich.
Angesichts der rasanten Kursgewinne, die sich zuvor an den Aktienmärkten beobachten ließen, mag für viele Anleger ein wenig Ruhe erwünscht sein. Für aktive Trader ist das aber extrem unbefriedigend. Und daher dürfte die Enttäuschung auch groß sein, als auch der US-Handel kaum mehr Schwung in den Handel brachte. Bei mir war es jedenfalls so.
Stillstand bei der Achterbahnfahrt
Vor allem, weil ich nach den extrem starken Aufwärtsbewegungen der US-Indizes auf einen ähnlich starken Rücksetzer gehofft hatte. Das aktuelle Marktgeschehen fühlt sich für mich an wie eine Achterbahnfahrt. In einem rasanten Tempo ist es bergauf gegangen. Und nun erwartet man nach einem kurzen Bogen eine ebenso rasante Abwärtsbewegung. Doch aktuell befinden sich die Märkte an der obersten Stelle des Bogens, wo man das Gefühl hat, die Achterbahn würde stillstehen. Zwar ging es bei den Aktienindizes in den USA gestern leicht abwärts, aber auch dabei bewegen sich die Kurse nur Pünktchen für Pünktchen. Sie bröckeln derart langsam ab, dass es zumindest mir wie Stillstand vorkommt.
Statt abwärts noch einmal aufwärts?
Und dabei gilt aus charttechnischer Sicht, dass solche moderaten Gegenbewegungen den vorherigen Trend bestätigen. Häufig enden diese relativ schnell und der vorherige Trend setzt sich fort. Im aktuellen Fall ist also mit bald erneut steigenden Kursen zu rechnen, sofern die Abwärtsbewegungen nicht langsam Fahrt aufnehmen.
US-Aktien trotz Korrektur durchgehend hoch bewertet
Mit Blick auf die US-Indizes stelle ich mir allerdings die Frage, zu welchen Kursen die Anleger noch bereit sind, Käufe zu tätigen. Denn die fundamentale Bewertung ist nach wie vor recht hoch. Die dreimonatige Korrektur von Ende Juli bis Ende Oktober hat nicht ausgereicht, um die überkaufte Marktlage – vor allem der US-Technologieaktien – ausreichend abzubauen.
Die folgende Grafik der Berenberg Bank aus einer vorgestern veröffentlichten Analyse zeigt, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 durch die mehrmonatige Korrektur zwar von einem Hoch bei rund 20 deutlich nachgegeben hatte, es dabei aber oberhalb des langfristigen Durchschnitts von 17,0 blieb und inzwischen sogar wieder auf 18,9 geklettert ist.
(Quelle: Berenberg Bank)
Der Grund dafür ist, dass die Kurse deutlich stärker gestiegen sind als die Gewinne der Unternehmen bzw. die Gewinnerwartungen der Analysten.
Steigende Aktienkurse bei sinkenden Gewinnerwartungen
Zuletzt hatte ich am 27. Oktober über folgende Daten von LSEG (ehemals Refinitiv) berichtet (siehe „Die Berichtssaison läuft bislang durchschnittlich“):
(Quelle: LSEG)
Am vergangenen Freitag hat LSEG aktuelle Zahlen veröffentlicht:
(Quelle: LSEG)
Beim Vergleich der beiden Tabellen zeigt sich, dass die inzwischen endende Berichtssaison zum 3. Quartal 2023 für die Unternehmen des S&P 500 insgesamt noch etwas besser ausgefallen ist als es sich Ende Oktober abgezeichnet hatte. Beim Umsatzwachstum blieb es zwar im Durchschnitt bei einem Plus von 1,4 %, das Gewinnwachstum verbesserte sich aber noch von 4,3 % auf 6,6 %. Doch rechtfertigt dies eine Kursexplosion der US-Indizes von rund 10 %?
Ich würde die Frage klar mit „Nein!“ beantworten. Zumal die Analysten ihre Gewinnerwartungen für die folgenden 4 Quartale bis einschließlich dem 3. Quartal 2024 reduziert haben. Lediglich für das 4. Quartal 2024 sowie das 1. Quartal 2025 sind sie optimistischer. Aber diese Zeiträume liegen so weit in der Zukunft, dass man dem nur eine untergeordnete Bedeutung beimessen sollte.
Fazit
Wir haben es also beim S&P 500 mit sinkenden Gewinnerwartungen und zugleich steigenden Aktienkursen zu tun, wodurch das überdurchschnittlich hohe KGV des Aktienindex wieder gestiegen ist. Daher kann ich derzeit nur charttechnische Gründe für die aktuelle Aufwärtsbewegung finden (siehe auch „Ein langfristiges Elliott-Wellen-Szenario für den Nasdaq 100“). Diese sind aber nur begrenzt positiv. Und daher würde ich bei US-Aktien weiterhin nur bedingt auf steigende Kurse setzen, wenn überhaupt.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus