Als Kapitalmarktanalyst bin ich meistens auf Fremd- und Sekundärquellen angewiesen. Das gilt insbesondere für Amerika, den wichtigsten Finanzmarkt der Welt. Daher bin ich froh, Freunde in den USA zu haben, um vor Ort und ungefiltert zu erfahren, wie dort die Stimmung vor allem jetzt vor den Wahlen ist.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen
Im Sommer bin ich regelmäßig in New York und Florida und besuche bei dieser Gelegenheit auch sehr gerne meine Freunde. Wie ich haben sie beruflich mit Wirtschaft und Finanzen zu tun und interessieren sich auch für Europa. Ihre offenen Meinungen bieten mir tiefere Einblicke in die amerikanische Seele. Interessanterweise sind meine Leute in New York im Fell gefärbte Demokraten und Harris-Anhänger, während jene in Florida kein Hehl aus ihrer klaren Sympathie für die Republikaner und Trump machen. So erhält man ein breites politisches Stimmungsbild.
Die politische Schlammschlacht hat stark zugenommen, da mit der Nominierung von Kamala Harris/Tim Walz aus dem sicher geglaubten Wahlsieg von Donald Trump/J.D. Vance wieder ein offenes Rennen geworden ist. Meine New Yorker Demokraten freuen sich wie über ein Stück New York Cheesecake. Ohnehin denkt jede Seite, dass mit der Wahl der anderen Seite Amerika „untergehen“ wird.
Zu meinem Straßen-Research gehören aber auch die Gespräche mit Taxifahrern, Kellnern oder Verkäufern, die, wahrscheinlich genervt von meinen Fragen, mir dennoch ein Stimmungsbild geben.
Inflation als Hauptthema
Die hohen Preise in Amerika für beispielsweise Sprit sind nach meiner Wahrnehmung das wichtigste Wahlkampfthema. Dabei geht es vor allem um die gefühlte Inflation, die - so hörte ich es immer wieder - die tatsächliche Inflation weit übertrifft.
Auch ich musste beim Einkauf im Supermarkt immer wieder feststellen, dass die Preise für die gleichen Produkte im gleichen Supermarkt, in dem ich jedes Jahr in Florida einkaufe, teilweise dramatisch gestiegen sind. Und ein Besuch im Diner ist mittlerweile Luxus. Mit der amtlichen Inflationsrate kommt man da bestimmt nicht hin.
Trump versucht daraus Kapital zu schlagen und brandmarkt die aktuelle Regierung, der Frau Harris als Vizepräsidentin angehört, als teuerste aller Zeiten. Um das Image als Inflations-Sündenbock loszuwerden, setzt das demokratische Lager auf Preiskontrollen. Für meine republikanischen Freunde ist das „sozialistisches“ Teufelszeug.
Auch ich bin kein Freund von Preiskontrollen. Wenn die Margen der Unternehmen zu sehr fallen, wird das Angebot verringert, was erst recht zu steigenden Preisen führt. Einen Punkt hat Kamala Harris aber bei illegalen Preisabsprachen. Ebenso schädlich sind Großfusionen bei Lebensmittelkonzernen, die wegen ausbleibender Konkurrenz natürlich zu steigenden Preisen führen. Die Kartellbehörden müssen hier eingreifen und marktwirtschaftliche Angebotsvielfalt zulassen.
Ein Dauerthema, mit dem ich bei meinen Leuten in Florida immer anecke, sind Importzölle. Amerikanischer Kapitalismus ohne Wettbewerb ist doch - so meine geäußerte Meinung - wie Hamburger ohne Ketchup. Meine Gegenüber haben zwar den Mund verzogen, doch habe ich ihr Schweigen als stille Zustimmung interpretiert.
Außerdem führen Zölle zu mehr importierter Inflation. Dafür mögen die Demokraten die Republikaner kritisieren, aber protektionistische Neigungen können auch sie nicht leugnen. Doch zeigten sich alle für Sanktionen offen, wenn sie als Reaktion auf unfaire Handelspraktiken z.B. in China erfolgen. Man muss nicht für freien Welthandel stehen, wenn die andere Seite mauert.
Good bye amerikanische Preis- und Finanzstabilität?
Große Diskussionen löste meine Kritik an republikanischen Plänen aus, die Unabhängigkeit der US-Notenbank anzutasten. Meine Freunde in Florida verweisen darauf, dass niedrigere Zinsen und Währungsabwertungen einer amerikanischen Rezession entgegenwirken und vor allem die Auseinandersetzung mit dem Konkurrenten China vereinfachen. Man müsse Peking ähnlich entgegenwirken wie damals den Sowjets. Meine scherzhafte Anmerkung, mit einer willfährigen Fed und einem weichen Dollar nähere sich Amerika venezolanischen Zuständen an, kam nicht gut an.
Doch liebäugeln auch meine Demokraten-Freunde in New York mit der Modern Monetary Theory. Üppige Konjunktur- und Sozialprogramme sollen von der Fed als Staatsfinanzierer hemmungslos durchgewunken werden. Am Ende steigen aber nur die Preise und nehmen den Menschen die beabsichtigte Kaufkraft wieder weg.
In puncto Haushaltsdisziplin ist von beiden Seiten nichts Gutes zu erwarten, im Gegenteil. Harris will die staatlichen Leistungen hochfahren und Trump will die Steuern senken und die Wirtschaft deregulieren, um über verbesserte Standortbedingungen die Reindustrialisierung zu fördern. Wall Street wäre die zweite Variante sicherlich lieber.
Wie auch immer, da die Wahlchancen am 5. November - auch bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Repräsentantenhaus und zum Senat, wo 33 der 100 Mitglieder neubestimmt werden - nun ausgeglichener sind als noch vor Wochen, werden wohl weder die Roten noch die Blauen durchregieren können. Wahl- werden nicht zu Regierungsprogrammen und die große blaue oder rote Revolution bleibt zugunsten der Kompromissfindung aus. Das ist beruhigend.
Ist Europa mit Kamala Harris besser dran als mit Donald Trump?
Natürlich wurde in New York und Florida ebenso über Europa gesprochen. Über die politischen Zustände und vor allem die Wirtschaftsschwäche Deutschlands, die mit der mangelnden Medaillenausbeute bei Olympia korreliert, ist man sichtlich irritiert. Dem konnte ich nicht widersprechen.
Einig war man sich bei Demokraten und Republikanern, dass Europa auch von einer Präsidentin Harris nicht viel zu erwarten habe. Europa müsse sich endlich selbst um seine geopolitischen und wirtschaftlichen Geschicke kümmern. „There is no free lunch“.
Jeder ist sich selbst der nächste und nicht nur ein Trump-, sondern ebenso ein Harris-Amerika stehen direkt neben sich. Noch so freundliche Worte der demokratischen Kandidatin sollten in Deutschland nicht fehlinterpretiert werden. Wie bei einer Tafel Schokolade kommt es nicht auf die hübsche Verpackung an, sondern ob der Inhalt schmeckt. Wer Vollmilchschokolade erwartet, könnte enttäuscht sein, wenn es nur die Bittervariante gibt.
Mit amerikanischem Bier und großartigen Barbecues haben wir uns jeweils freundschaftlich bis zum nächsten Jahr verabschiedet.
Fortsetzung des Straßen-Researchs folgt 2025.
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