Wie heißt es so schön: Man muss vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht. Aktienanleger, die sich eine Neuausrichtung der Geldpolitik der Federal Reserve (Fed) wünschen, sollten ihre Logik überdenken und sich die Charts genauer ansehen.
Die zweitgrößte Bankenpleite in den USA und der Notverkauf der Credit Suisse (NYSE:CS) lassen Spekulationen aufkommen, dass die US-Notenbank ihre Zinsstrategie ändern könnte. Es scheint bei solchen Überlegungen nicht wichtig zu sein, dass die Inflation heiß läuft und hartnäckig auf hohen Niveaus bleibt, während die Fed ihre Entschlossenheit betont hat, die Zinsen trotz der aktuellen Krise „länger höher“ zu halten.
Die Anleger kaufen wie die Pawlowschen Hunde, sobald die Pivot-Glocke läutet. Ihre Konditionierung kann sich als schmerzhafter Irrtum erweisen, wenn man den Lehren der Vergangenheit glaubt.
Kein gutes Omen
Seit 1970 hat die Fed in neun Situationen die Fed Funds Rate deutlich gesenkt. Der durchschnittliche maximale Markteinbruch vom Beginn jeder Zinssenkungsperiode bis zum Tiefpunkt des Marktes betrug 27,25 %.
In den letzten drei Zinssenkungszyklen kam es an den Aktienmärkten zu überdurchschnittlichen Verlusten. In sechs weiteren Fällen war der Einbruch nur in einem Fall (1974-1977) stärker als der Durchschnitt.
Warum also sind die jüngsten Drawdowns extremer ausgefallen als die vor 1990? Vor 1990 war die Fed aktiver. Sie ließ es nämlich nicht zu, dass sich die Zinssätze zu weit über oder unter den natürlichen Zinssatz der Wirtschaft bewegten. Die hohe Inflation in den 1970er und frühen 1980er Jahren zwang die Fed zweifellos zur Wachsamkeit. Höhere Zinssätze trugen dazu bei, Spekulationsblasen unter Kontrolle zu halten.
In den letzten 20 Jahren agierte die Fed in einem Umfeld niedriger Zinsen. Das nachstehende Schaubild zeigt, dass die realen Renditen, d. h. die Renditen abzüglich der Inflationserwartungen, seit 40 Jahren tendenziell rückläufig sind. Von der Pandemie bis zum Beginn der Zinserhöhungen durch die Fed im März 2022 entwickelte sich die 10-jährige Realrendite häufig negativ.
Wenn die Zinssätze niedrig sind, kommt es immer wieder zu Spekulationen. Wie wir am eigenen Leib erfahren haben, hat dieses spekulative Verhalten, das von der Fed-Politik in den Jahren 2020 und 2021 ausging, dazu geführt, dass konservative Banker genau wie aggressive Hedgefonds überzogene Risiken eingingen. Auch wenn man diese Strategien nicht gut findet - welche Alternativen gab es denn? Eine negative Realrendite ist nicht gut für die Gewinne.
Machen wir an dieser Stelle einen kurzen Umweg in die Welt der Theorie, um zu verstehen, wie die Höhe der Zinssätze die Spekulation antreibt.
Die elegante Lösung des Wicksellschen Modells
Vor einiger Zeit haben wir die Logik des berühmten schwedischen Wirtschaftswissenschaftlers Knut Wicksell vorgestellt. Das Modell des Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert besagt, dass es zwei Zinssätze gibt, die den Zustand einer Volkswirtschaft beschreiben, das sogenannte Wicksellsche Modells:
Zum einen gibt es den „natürlichen Zins“, der die strukturelle Wachstumsrate der Wirtschaft widerspiegelt (die damit wiederum die Wachstumsrate der Unternehmensgewinne widerspiegelt). Die natürliche Wachstumsrate ist die Kombination aus dem Wachstum der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und dem Wachstum der Produktivität. Zum anderen geht Wicksell von der Annahme aus, dass es einen „Marktzins“ oder die Kosten des Geldes in der Wirtschaft gibt, die jeweils durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden.
Wicksell betrachtete die Divergenz zwischen dem natürlichen und dem Marktzins als den Mechanismus, der den Wirtschaftszyklus bestimmt. Wenn eine Divergenz zwischen dem natürlichen und dem Marktzins ungewöhnlich lange anhält, führt dies zu einer schwerwiegenden Fehlallokation von Kapital.
Fazit:
Nach Wicksell muss eine optimale Politik darauf abzielen, den natürlichen Zinssatz und den Marktzinssatz so weit wie möglich anzugleichen, um Fehlallokationen zu vermeiden. Wenn aber die kurzfristigen Marktzinsen unter dem natürlichen Zinssatz liegen, reagieren smarte Anleger entsprechend. Sie nehmen hohe Kredite zu einem niedrigen Zinssatz auf und kaufen bestehende Anlagen mit einigermaßen vorhersehbaren Erträgen und kürzeren Zeithorizonten. Finanzanlagen steigen im Wert, während sich langfristige, Cashflow-orientierte Investitionen mit risikoreicheren Aussichten schwertun.
Die zweite Hälfte der Jahre 2020 und 2021 liefern den Beweis für Wicksells Theorie. Trotz reger Wirtschaftstätigkeit und steigender Inflation beließ die Fed die Zinsen bei Null und stockte ihre Bilanz (QE) noch stärker auf als während der Finanzkrise. Die Spekulationen, die sich aus der Tatsache ergaben, dass die Zinssätze deutlich unter dem natürlichen Zinssatz lagen, waren unübersichtlich.
Mit welchen prozentualen Verlusten ist diesmal zu rechnen?
Da der Markt während des im März 2022 beginnenden Zinserhöhungszyklus schon eine erhebliche Talfahrt erlebt hat – können wir hoffen, dass wir einen großen Teil der mit einer Zinssenkung verbundenen zinsbedingten Effekte bereits hinter uns haben?
Das nachstehende Schaubild zeigt den maximalen Verlust seit Beginn der Zinserhöhungszyklen. Der durchschnittliche Verlust während Zinserhöhungszyklen beträgt 11,50 %. Der S&P 500 verzeichnete während des aktuellen Zyklus einen Einbruch um fast 25 %.
Es gibt bei der Formulierung von Erwartungen noch zwei weitere Überlegungen dazu, was der nächste „Fed-Pivot“ für die Aktien bringt.
Der nachstehende Chart zeigt zunächst die maximalen Verluste während der Zinssenkungsphasen und die Einjahresrenditen nach der letzten Zinssenkung. Von Mai 2020 bis Mai 2021, dem Einjahreszeitraum nach der letzten Zinssenkung, stieg der S&P 500 um mehr als 50 %. Das ist dreimal so viel wie der Durchschnitt von 16 % während der acht vorangegangenen Episoden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der maximale Verlust während des aktuellen Zinserhöhungszyklus überdurchschnittlich hoch ausfiel.
Die Bewertungen sind der zweite Grund dafür, dass die jüngsten Rückgänge bei einem Fed-Pivot schlimmer ausfallen als vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Der nachstehende Chart zeigt, dass die letzten drei Zinssenkungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, als die CAPE10-Bewertungen über dem historischen Durchschnitt lagen. Die früheren Ereignisse fielen immer mit unterdurchschnittlichen Bewertungen zusammen.
Die derzeitige CAPE-Bewertung ist nicht so extrem wie Ende 2021, liegt aber etwa 50 % über dem Durchschnitt. Auch wenn der Markt bereits etwas korrigiert hat, können die Bewertungen immer noch auf den Durchschnitt oder darunter zurückgehen - so wie in den Jahren 2003 und 2009.
Es ist schwierig, Rückschlüsse in Bezug auf den Einbruch im Jahr 2020 zu ziehen. Eine beispiellose Fiskal- und Geldpolitik trug wesentlich dazu bei, die Stimmung anzuheizen und die Aktienkurse in die Höhe zu treiben. Mit Blick auf die Inflationsrate und die Uneinigkeit der Entscheidungsträger halten wir es für unwahrscheinlich, dass die Fed-Mitglieder und Politiker im Falle eines stärkeren Marktrückgangs bei ihren fiskalischen und monetären Motoren plötzlich Vollgas geben.
Fazit
Die US-Notenbank hat ihren Wunsch, die Inflation auf ihr 2%-Ziel zu bringen, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Wenn sie so extrem und so schnell umschwenkt, wie es der Markt derzeit prognostiziert, ist etwas kaputt gegangen. Gegenwärtig wäre eine schwerwiegende negative Entwicklung der Bankenkrise oder eine sich rasch verschlechternde Wirtschaftslage erforderlich, um eine solchen Fed-Pivot zu rechtfertigen. Wenn tatsächlich etwas kaputtgeht - sei es in Gestalt einer Krise oder einer Rezession, ist das überhaupt kein gutes Zeichen für die Unternehmensgewinne und Aktienkurse.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, den man im Hinblick auf einen Fed-Pivot beachten sollte. Wenn die Fed die Leitzinsen senkt, wird sich die Inversion der Renditekurve wahrscheinlich umkehren und die Kurve wird zu einer normalen positiven Steigung zurückkehren. Historisch gesehen sind Inversionen der Renditekurve, wie wir sie sehen, erst einmal Warnsignale für eine Rezession. Wenn sich jedoch Inversionen von Renditekurven umkehren, ist das sehr häufig ein Zeichen dafür gewesen, dass eine Rezession bevorsteht.
Der nachfolgenden Chart zeigt zwei interessante Renditekurven von US-Staatsanleihen. Jede Versteilung beider Kurven, wie sie in allen vier Fällen sowie in anderen Fällen vor 1990 zu beobachten ist, ging mit einer Rezession einher.
In den letzten zwei Wochen ist die Renditekurve der 2-Jahres -10-Jahres-Treasury um 60 Basispunkte steiler geworden!