Scholz` Werk und Habecks Beitrag haben Deutschland dick in die Miesen gebracht. Als kranker Mann Europas muss man sich betiteln lassen. Doch der heimische Aktienmarkt sieht bestens aus. Wie passt das zusammen?
Es ist schon ein kurioses Stück Börsengeschichte. Deutschland steht mit beiden Beinen im Rezessionssumpf und nimmt man die Inflation dazu, so ist das reale Wachstum ein einziges Desaster. Allerdings nur dann, wenn man auf Länderebene und auf das BIP schaut. Bei den Firmen im DAX 40 sieht es anders aus und trotzdem reiben sich viele Anleger verwundert die Augen. Der DAX liegt bei rund 16.000 Punkten, somit genau 100 Prozent über dem Tief vom März 2020 – wie kann das bloß sein? Ist ein Aktienindex nicht einigermaßen das Abbild der Wirtschaft im Land? Antwort – eher nein.
Erklärung naheliegend
Denn wie kann es sein, dass der DAX weiter in Sichtweite seines Rekordhochs notiert, während gleichzeitig die Konjunkturdaten aus Deutschland ein zunehmend rezessives Bild zeichnen? Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich zwar nicht einfach auflösen, aber man kann es erklären. Wie schon in den 90er Jahren ist Deutschland wieder einmal der „kranke Mann Europas“, aber das heißt nicht, dass auch der Aktienmarkt leidet. Denn die meist hausgemachten Probleme hierzulande wirken sich kaum noch auf die international aufgestellten DAX-Konzerne aus. Entscheidend für die Blue Chips der ersten Liga ist der Zustand der Weltwirtschaft. „Mittlerweile liegt der Auslandsanteil am Umsatz der 40 Indexmitglieder bei über 80 Prozent. Vor rund 30 Jahren waren es noch rund 50 Prozent“, findet Vanyo Walter vom Broker RoboMarkets ein Argument für den scheinbar hoch bewerteten DAX.
It`s the export – stupid
Kein anderes westliches Industrieland ist stärker von der Weltwirtschaft abhängig. „Unternehmen wie Adidas (ETR:ADSGN) oder HeidelbergMaterials erwirtschaften sogar mehr als 90 Prozent ihres Umsatzes im Ausland“, so der RoboMarkets-Experte. An Adidas, Bayer (ETR:BAYGN), Puma (ETR:PUMG), Zalando (ETR:ZALG) oder Infineon (ETR:IFXGn) sieht man auch, dass weniger BIP-Entwicklungen in Deutschland als vielmehr interne Probleme oder Fortschritte und Verhalten der Konsumenten den Kurs bestimmen. Es überrascht daher nicht, dass die Analysten an ihren sportlichen Gewinnerwartungen festhalten und sich von der konjunkturellen Abkühlung in Deutschland wenig beeindrucken lassen.
Gewinne sprudeln
Die Gewinnprognosen für die kommenden zwölf Monate liegen sogar auf Rekordniveau, was dem DAX aus fundamentaler Sicht in die Karten spielt. „Ein wesentlicher Grund sind die nach wie vor starken Margen: Die Einkaufspreise der Unternehmen sinken stärker als die Verkaufspreise“, rechnet Salah-Eddine Bouhmidi vom Broker IG vor. In der Eurozone kletterten die Verbraucherpreise zuletzt um 5,3 Prozent, während die Erzeugerpreise um satte 7,6 Prozent unter dem Vorjahresniveau lagen.
Anschluss ist verloren
Vor diesem Hintergrund ist es fast schon verwunderlich, dass der DAX in den letzten Monaten den Anschluss an die Wall Street verloren hat und seit April in weiten Schwüngen um die 16.000er Marke seitwärts pendelt. Aus Bewertungssicht ist diese Ruhephase natürlich positiv zu sehen, denn mit einem DAX-KGV von 11,5 ist der Markt nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch im historischen Vergleich günstig bewertet. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre wurde ein Faktor von 14 aufgerufen. Demnach wäre der DAX erst im Bereich von 19.200 Punkten fair bewertet, also gut 20 Prozent über dem aktuellen Niveau. Versüßt wird die Bilanz durch eine attraktive Dividendenrendite von 3,6 Prozent, die deutlich über dem Niveau der US-Indizes liegt und auch die 10-jährige Bundesanleihe klar übertrifft. „Wichtig ist beim KGV natürlich immer die Entwicklung des „G“, merkt Stefan Riße vom Fondshaus Acatis an. Will heißen, dass die Gewinne nicht sinken sollten, da sonst das günstige KGV Makulatur ist.
Historische Vergleiche
Bei den meisten Einzelwerten sehen die Relationen im historischen Vergleich ebenfalls attraktiv aus. „Aktien wie Continental (ETR:CONG), Deutsche Telekom (ETR:DTEGn), HeidelbergMaterials, Infineon, Merck (ETR:MRCG) und VW (ETR:VOWG) werden mit einem Abschlag von rund 30 Prozent auf ihr 10-Jahres-KGV gehandelt“, so der IG-Experte Bouhmidi. Anders sieht es bei den Versicherern aus, aber auch die beiden Automobilhersteller BMW (ETR:BMWG) und Mercedes-Benz (ETR:MBGn) sind zumindest aus Bewertungssicht eher fair gepreist.
Der Mix macht es
Auch wenn die Kurse, wie so oft im Spätsommer, noch nicht stark gefallen sind, gibt es durchaus Schnäppchen, die das Potenzial haben, den Markt längerfristig zu schlagen. Voraussetzung ist natürlich, dass die Weltwirtschaft weiter brummt und nicht durch eine zu straffe Geldpolitik der Notenbanken abgewürgt wird. Andernfalls sind die hohen Gewinnprognosen hinfällig und es drohen schmerzhafte Abwärtsrevisionen. Aber die Börse war schon immer ein Ort, an dem Mut langfristig belohnt wurde.