Von Sex, Drugs and Rock`n Roll hörte man in Deutschland in den letzten Jahrzehnten, wenn die Gallagher-Brüder von Oasis Hotelzimmer zertrümmerten oder Sophia Thomalla einen neuen Tattoo-Partner gefunden hatte. 2019 ist alles anders. Wirecard-Aktien (DE:WDIG) sind Small-Talk-Thema und Börse auf einmal spannend.
Sich für Aktien zu interessieren wäre in Deutschland im Grunde logisch und vernünftig. Auf dem Sparbuch gibt es keine Zinsen, dafür zeigt der Wirtschaftskalender beim Broker etoro für die nächsten Wochen etliche Aktien an, die Dividendenrenditen von fünf Prozent oder mehr liefern. Storys wie Münchener Rück (DE:MUVGn), BMW (DE:BMWG), Allianz (DE:ALVG) oder die gute, alte Telekom (DE:DTEGn) könnten finanziell sexy sein. Geredet wird aber nur über eine Aktie – Wirecard.
Die Datenbank der Börse München spuckt dabei wenig spektakuläre Rahmendaten aus: Ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 44, eine Dividendenrendite von 0,2 Prozent, die der Rede nicht wert ist, garniert mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von hohen neun und einem international vergleichsweise mikrigen Börsenwert von 13 Milliarden. Trotzdem bringt Wirecard alles mit, was man braucht, um sexy, spannend und aufregend zu sein. Die Aktie ist hoch volatil, schwankt teilweise an einem Tag prozentual so sehr wie der DAX im ganzen Jahr. Der Vorstandschef ist umstritten, die Firma begann einst als Bezahldienst für Onlinespiel und Pornoseiten. Dazu war man in den vergangenen Jahren wiederholt mit fragwürdigen Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht worden, allerdings ist Wirecard und Vorstandschef Braun bislang nichts nachgewiesen worden.
Kampf der Vorwürfe
Seit Wochen befindet man sich jetzt aber im Schlagabtausch mit der Zeitung FT, welcher auch via Twitter und die sogenannten sozialen Medien ausgetragen wird. Für Freunde der Psychologie ist die Aktie ein Fest. Wenn immer die Euphorie in Sachen Entlastung der Vorwürfe rasant steigt, dürfen Antizykliker sich gehebelt mit Turbos wie der WKN CP7523auf die Short-Jagd machen. Wann immer die Aktie die 100-Euro von unten sieht, spätestens dann setzen Comeback-Freunde auf den Turbo-Bull der Societe Generale (PA:SOGN) mit Hebel 5 und WKN ST8Y8R. Dieses Spiel könnte noch so weitergehen bis der Prüfer EY sein positives Testat, sprich seinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk unter den Jahresabschluss gesetzt hat.
Manche Anleger setzen auch auf die hohe Volatilität und die damit verbundenen günstigen Rahmenbedingungen und kaufen spekulative Optionsscheine mit Barrieren wie die WKN HX7PX8. So oder so – zu Wirecard hat fast jeder eine Meinung. So wie die Truppe von der Bundeswehr, die uns letzte Woche in Garmisch beim Skifahren über den Weg lief und die beim Wort „Wirecard“ sofort in eine Diskussion einstieg. Auch Taxifahrer diskutierten mittlerweile Wirecard, selbst auf Studentenpartys ist „WDI“ ein Thema wo man früher wohl eher Fußball-Ergebnisse oder die Instagram-Qualitätsbeiträge einer Heidi Klum oder Lena Meyer-Landrut kommentiert hätte.
Wo liegt die Wahrheit?
Das Kuriose an der ganzen Geschichte – vielleicht hat am Ende jeder ein bisschen Recht. Im Börsenbrief von Feingold Research fragte jüngst ein Leser, ob „Wirecard denn die neue Comroad oder ein zu Unrecht attackierter Konzern“ sei. Zur Erinnerung – Comroad war am neuen Markt einst ein Betrugsfall. Womöglich liegt die Wahrheit am Ende ein bisschen in der Mitte. Denn die FT fährt schwere Geschütze auf, schon seit Wochen, die mitunter durchaus plausibel klingen. Gleichzeitig konnte Wirecard bisher gut gegenhalten. Vielleicht bleibt am Ende etwas hängen, was den Konzern per se aber nicht aus der Bahn wirft. So etwas gab es zwar schon einmal im DAX. Man erinnert sich an MLP, die wegen strittiger Bilanzpraktiken angezählt wurden. Doch soweit ist es bei Wirecard noch nicht und schließlich gilt auch bei für viele noch so spannenden Aktien mit „Geschmäckle“ die Unschuldsvermutung. Eines zeigt Wirecard ohnedies aber auf jeden Fall – wie man die Deutschen für Aktien begeistern kann.