von Robert Zach
Investing.com - Das aktuell am Markt dominierende Thema ist wohl der historische Einbruch der Ölpreise. Wegen des Nachfrageeinbruchs im Zuge der Coronavirus-Pandemie sowie dem Preiskrieg der Saudis mit Russland kollabierte der Preis für Erdöl phasenweise auf den tiefsten Stand seit 2002. Mit der Hoffnung auf eine Einigung zwischen Russland und Saudi-Arabien auf eine baldige Produktionsbeschränkung verzeichneten die beiden Ölsorten Brent und WTI in der vergangenen Woche den größten Tageszuwachs ihrer Geschichte.
Stand jetzt ist für Donnerstag eine Videokonferenz der Opec+ anberaumt, auf der Produktionskürzungen zum Abbau des chronischen Überangebots am Ölmarkt diskutiert werden dürften. Eine ausgemachte Sache ist aber weder der Termin in vier Tagen (der bereits einmal verschoben wurde) noch eine Einigung auf eine Drosselung der Förderung, schließlich wollen die Russen nur daran mitwirken, wenn auch die USA ihre Produktion herunterfahren. Dies sei laut Geoffrey Smith, Analyst bei Investing.com, aber nur schwierig zu bewerkstelligen.
"Solange es keine formelle Zusage auf eine Drosselung der US-Produktion gibt, wird es für Russland und Saudi-Arabien schwierig sein, sich auf Förderkürzungen zu einigen", erklärte er. Schließlich mache die Struktur des US-Marktes - mit freiem Wettbewerb und einem ausgefeilten Kartellrecht zum Schutz der US-Ölförderer - es Washington praktisch unmöglich, sich an einer koordinierten Förderreduzierung zu beteiligen, so Smith.
"Es ist sicherlich positiv zu interpretieren, dass alle Seiten nun höhere Preise wollen, aber die Mechanismen, um diese zu erreichen - insbesondere in einer Welt, in der das Coronavirus die Nachfrage nach Öl weltweit um mindestens 20 Millionen Barrel pro Tag einbrechen lässt - sind immer noch eine extreme Herausforderung", erklärte er.
Derzeit belaufen sich die Spekulationen am Markt auf eine Kürzungsmenge von 10 Millionen Barrel bis 15 Millionen Barrel pro Tag. Die ING schätzt die Chancen auf eine Einigung in dieser Größenordnung aber als gering ein, was den Ölpreis erneut belasten dürfte.
"Alles andere würde den Markt wahrscheinlich enttäuschen, da die Erwartungen in der vergangenen Woche gestiegen sind und sich die Nachfragesituation verschlechtert hat", sagte Warren Patterson, Rohstoffexperte bei der niederländischen Großbank.
Fitch Solutions rechnet derweil mit einem Rückgang der Sorte Brent in den einstelligen Bereich, wenn die wichtigsten Ölproduzenten keinen Deal erreichen. Die Analysten glauben, dass ein Nachfragerückgang und ein Anstieg des Angebots zu einem Überschuss von mehr als 20 Millionen Barrel Öl pro Tag führen könnte. Das würde den Ölmarkt "unter extremen physischen Druck setzen", schrieben sie in einem Bericht am Freitag.
"Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass die nominale Lagerkapazität überschritten wird, ist es möglich, dass das schiere Ausmaß des Überangebots die globalen Logistikketten überfordert und Brent in den einstelligen Bereich abstürzt", fügten die Analysten hinzu.
Und selbst wenn die Opec+ eine Einigung erzielen sollte, rechnen die Analysten von Capital Economics mit keinem nachhaltigen Anstieg der Ölpreise. Voraussetzung dafür sei eine Aufhebung der Virus-bedingten Eindämmungsmaßnahmen und eine damit einhergehende Erholung der Nachfrage, hieß es in ihrem Wochenrückblick am Freitag.
Unterdessen gibt es mehr und mehr Anzeichen dafür, dass die Marktkräfte mittelfristig das US-Ölangebot nach unten bringen könnten. Wie Baker Hughes am Freitag mitteilte, sank die Zahl der aktiven Ölbohrungen in den USA letzte Woche um 62 auf 562. Es war der größte Rückgang seit 2015. In den letzten drei Wochen sank die Zahl um 121.
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