Investing.com – Gestern zeichnete sich bereits ab, dass die Kryptobörse FTX zumindest vorübergehend nicht mehr in der Lage sein wird, die Auszahlungsanfragen seiner Kunden zu bearbeiten. Der selbst herausgegebene FTT-Token verlor mit der offiziellen Ankündigung, dass die Auszahlungen gestoppt werden, mehr als 80 Prozent an Wert, was die Lage für den CEO Sam Bankman-Fried aussichtslos machte.
Der Token wurde als Sicherheit für Kredite in Höhe von Milliarden von Dollar hinterlegt, mit denen das Wachstum vorangetrieben werden sollte. Das Kartenhaus, welches auf dem FTT-Token aufgebaut wurde, bricht aktuell in sich zusammen und die Nutzer der Kryptobörse FTX haben nur noch die zweifelhafte Hoffnung, dass sie von einer anderen Kryptobörse übernommen werden.
Während der Coinbase (NASDAQ:COIN) CEO Brian Armstrong versichert, dass er keine geschäftlichen Beziehungen zu FTX und der Tochtergesellschaft Alameda Research unterhält, sieht das bei Binance anders aus.
Der CEO Changpeng Zhao (CZ) hält einen beträchtlichen Teil der im Umlauf befindlichen FTT-Token. Vor dem Absturz waren diese mehr als 500 Millionen Dollar wert und CZ drohte damit diese abzustoßen, denn er wolle Sam Bankman-Fried (SBF) nicht länger unterstützen.
SBF erklärte noch vor einigen Monaten, dass er den US-Wahlkampf mit bis zu einer Milliarde Dollar unterstützen wird. Damit hätte er sich politischen Einfluss erkauft und der Konkurrent CZ sah seine Bemühungen auf dem US-Markt gefährdet. Die Situation verschärfte sich hinter den Kulissen scheinbar dermaßen, dass er nicht mehr bereit war FTT zu halten.
Zum aktuellen Zeitpunkt sieht es danach aus, als ob Binance die Geschäfte von FTX übernimmt, womit CZ zum mächtigsten Mann in der Kryptoindustrie aufsteigen würde.
Doch mit der Übernahme von FTX durch Binance ist die Situation noch lange nicht bereinigt. Alameda Research ist auf dem DeFi-Markt ein großer Market-Maker und sollte es hier zu Zahlungsausfällen kommen, könnten ganze Ökosysteme ins Wanken geraten, ähnlich wie bei dem Crash der Terra-Blockchain.
Selbst wenn sich SBF und CZ handelseinig werden, steht noch lange nicht fest, ob dieser Deal wirklich zustande kommt. Die Regulierungsbehörden haben dabei auch noch ein Wörtchen mitzureden und Binance befindet sich bereits im Visier des US-Justizministeriums, wie Reuters berichtete. Es geht um nichts Geringeres als Verstöße gegen die Bestimmungen des Geldwäschegesetzes.
Dr. Thibault Schrepel, der an der Stanford University mit dem Projekt „Computational Antitrust“ mehr als 50 Kartellbehörden zur Zusammenarbeit bewegt, sagte zu dem anvisierten Deal:
„Beim nächsten Mal sollten Sie vor dem Posten überprüfen, ob Ihr Tweet mit den Kartellgesetzen überhaupt konform ist“.
Der Circle CEO Jeremy Allaire spricht sogar bereits von Lehmann-Brothers-Moment:
„Am Ende ist es für mich als jemand, der seit zehn Jahren in dieser Branche tätig ist, enttäuschend. Eine Technologie, die als Reaktion auf die Lehman-Brothers-Pleite von 2008 entstanden ist, ist zu ihrer eigenen Version derselben verkommen. Lehman Brothers war der Ausgangspunkt für die weltweite Finanzkrise von 2008.“
Wie groß die Ansteckungsgefahr ist, zeigt vor allem Solana, denn der aktuelle SOL/USD Kurs verliert mehr als 35 Prozent an Wert. Bitcoin (-10 %), Ethereum (-16 %), Cardano (-6 %), Ripple (-15 %), Dogecoin (-17 %), Shiba Inu (-11 %), sie alle kennen nur noch eine Richtung – bergab.
Aufstieg und Fall von Sam Bankman-Fried
Sam Bankman-Fried nutzte den Kryptomarkt für seinen kometenhaften Aufstieg. Von kleinen Arbitrage-Krypto-Deals mit Bitcoin, Ethereum & Co bis zum Multimilliardär. Er war auf dem Bloomberg-Vermögensindex ganz weit vorn mit dabei. Seine Anteile an FTX und Alameda Research wurden gestern noch mit 6,2 und 7,4 Milliarden Dollar bewertet. Mittlerweile ist SBF nicht mehr in der Liste der 500 vermögendsten Menschen der Welt zu finden, während FTX und Alameda nur noch mit einem symbolischen Dollar bewertet werden.
Die Kryptoindustrie hat jedoch weit mehr als nur einen Multimilliardär verloren. Für sie ist es ein weiterer erheblicher Vertrauensverlust. Es wurde erneut der Beweis erbracht, dass man aus den Fehlern der alteingesessenen Finanzindustrie nichts lernt.
Zu groß ist die Gier nach schnellem Reichtum und keiner weiß, wen es als nächsten erwischt. Im Mai führte SBF noch Gespräche zur Rettung von Unternehmen, die im Zuge des Terra-Kollapses am Abgrund standen, nur um 6 Monate später selbst abgewickelt zu werden.
Von Marco Oehrl
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