FRANKFURT (dpa-AFX) - Das Leben in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr so stark verteuert wie nie seit Gründung der Bundesrepublik. Kräftig gestiegene Preise für Energie und Lebensmittel trieben die Jahresinflation 2022 auf 7,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag anhand einer ersten Schätzung mitteilte. Zum Jahresende verlor die Inflation in Deutschland auf hohem Niveau an Tempo. Dabei machte sich nach Angaben Statistischer Landesämter auch die einmalige Soforthilfe für Gas- und Fernwärmekunden bemerkbar. Die Kosten für die Abschlagzahlung im Dezember übernimmt der Bund. Ökonomen-Stimmen zu der Entwicklung:
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank (ETR:CBKG)
"Abgesehen von Energie dürfte der Preisanstieg in diesem Jahr hartnäckig hoch bleiben. Nicht zuletzt wegen des zögerlichen Agierens der EZB sind die Inflationserwartungen der Deutschen für die kommenden fünf Jahre Umfragen der Bundesbank zufolge mittlerweile auf 5,0 Prozent gestiegen (Median). In einem Umfeld entankerter Inflationserwartungen dürften die Gewerkschaften deutlich höhere Lohnsteigerungen und die Unternehmen höhere Absatzpreise einfacher durchsetzen."
Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank
"Die Gaspreisbremse beschert der Inflation im Dezember erst mal nur ein Zwischentief. Im Januar wird es erstmal wieder nach oben gehen, bevor die Inflationsraten dann im Jahresverlauf langsam fallen werden. Mehr und mehr geht es aber nicht mehr darum, ob die Inflationsrate überhaupt wieder sinkt, sondern wie stark sie zurückgeht. Bis wir wieder richtige Preisstabilität haben, wird es im besten Fall ein bis zwei Jahre dauern."
Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)
"Mit den Dezemberzahlen verdichtet sich die Vermutung, dass der Hochpunkt der Inflation hinter uns liegt, zur Gewissheit. Das vermag jedoch nur bedingt zu beruhigen. Erstens ist die Inflation auch im Dezember inakzeptabel hoch. Zweitens ist der Rückgang zumindest teilweise auf die Maßnahmen der Fiskalpolitik zur Dämpfung der Auswirkungen des Energiepreisanstiegs zurückzuführen. Subventionen können indes keine dauerhafte Antwort auf Inflationsdruck sein. Und drittens legen die Preise für Dienstleistungen und für Nahrungsmittel im Vorjahresvergleich weiter deutlich zu. Der Kampf gegen im Vorjahr entfachte Inflation bleibt ein Marathonlauf, kein Sprint."
Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)
"Die Teuerungswelle scheint den Zenit überschritten zu haben, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass der deutliche Rückgang im Dezember auf Sonderfaktoren zurückzuführen ist. Insbesondere die Gaspreisbremse mit der staatlichen Übernahme der Abschläge für Gaskunden im Dezember macht sich hier bemerkbar und so ist die Interpretation im Hinblick auf den unterliegenden Inflationsdruck erschwert. Die kommenden Monate bringen hier hoffentlich mehr Klarheit."
Michael Heise, Chefökonom beim Vermögensverwalter HQ Trust
"Die Zeiten zweistelliger Inflationsraten wie im Oktober und November vergangenen Jahres sind aller Voraussicht nach überwunden. Spürbar gedrückt werden dürfte die Jahresinflationsrate im März, da dann der extrem starke Anstieg der Preise im März 2022 aus der Berechnung herausfällt und weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen greifen. Da der Inflationsrückgang vor allem durch niedrigere Preise für Kraftstoffe und Heizöl sowie durch staatliche Soforthilfen bei Gas und Fernwärme herbeigeführt wurde, ist er kein Signal der Entwarnung für die Geldpolitik der EZB."
Thomas Altmann, Analyst beim Vermögensverwalter QC Partners
"Freude über die rückläufige Inflationsrate ist natürlich erlaubt. Eine Kursänderung der EZB darf aber niemand erwarten. Erstens muss die Inflationsrate in der gesamten Eurozone fallen. Und zweitens müssen viele weitere Rückgänge folgen, bis die Inflation auch nur in die Nähe des EZB-Ziels von zwei Prozent kommt. Zumindest das Risiko, dass die EZB stärker erhöht als bisher im Markt eingepreist, hat heute abgenommen. Und das ist in diesen Zeiten schon eine gute Nachricht."
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment
"Die Gas- und Strompreisbremse sowie eine verbesserte Versorgungslage dürften sich weiter preisdämpfend bemerkbar machen. Auch bei anderen Preisbestandteilen ist eine Beruhigung zu erwarten, weil mit einer fortgesetzten Entspannung bei Lieferketten und Produktionsengpässen Angebot und Nachfrage besser ins Gleichgewicht finden. Für die Europäische Zentralbank gibt es trotzdem viel zu tun. Aufgrund des anhaltend hohen absoluten Inflationsniveaus und der hartnäckig hohen Kerninflation wird sie noch bis weit in den Frühling hinein an ihrem geldpolitischen Straffungskurs festhalten.