BRÜSSEL/BERLIN (dpa-AFX) - Im Streit um die deutschen Ökostrom-Rabatte geht die EU-Kommission auf Berlin zu. Die Brüsseler Behörde will für zahlreiche Industriezweige eine Sonderbehandlung erlauben. Genau 65 Branchen listet ein Entwurf der neuen EU-Beihilfe-Leitlinien zur Ökostrom-Förderung auf, der dem Informationsdienst dpa Insight EU in Brüssel vorliegt und über den unter anderem die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' berichtet hatte. Für diese Branchen sollen Ausnahmen gelten, weil sie viel Strom verbrauchen und sich im internationalen Wettbewerb behaupten müssen.
Die Liste umfasst unter anderem klassische Sektoren wie die Aluminium-, Stahl- und Zinnindustrie, denen Brüssel schon länger eine Sonderrolle einräumt. Aber auch Keramik-Hersteller, Produzenten von Glasfasern oder sogar von Lederkleidung und Fruchtsäften zählen dazu.
EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia sieht die Ausnahmen für energieintensive Betriebe von der Ökostrom-Finanzierung im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sehr kritisch. Seiner Ansicht nach verzerren diese den Wettbewerb. Deshalb hatte der EU-Kommissar im Dezember ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland eröffnet.
Nun scheint Almunia aber zu Kompromissen bereit zu sein. 'Wir versuchen herauszufinden, welche Sektoren dies bekommen und welche Begünstigungen wir vorsehen können', sagte er am Dienstag im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments in Brüssel.
Es stünden noch zwei Sitzungen mit Branchenvertretern sowie Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten - darunter Deutschland - an. Man bewerte dabei den Stromverbrauch und die Wettbewerbssituation. 'Nach diesen beiden Kriterien stellen wir dann eine Liste von Sektoren auf', erklärte Almunia. Er bekräftigte, eine Entscheidung über die künftigen EU-Richtlinien müsse bis zum 9. April fallen.
Die Rabatte für die energieintensive Industrie summieren sich in Deutschland auf mehr als fünf Milliarden Euro. Knapp 2100 deutsche Unternehmen erhalten 2014 diese Vergünstigungen bei den Kosten für den Ökostrom-Ausbau. Firmen mit sehr hohem Verbrauch zahlen nur 0,05 Cent Ökostrom-Umlage pro Kilowattstunde, die Bürger aber 6,24 Cent.
Großverbraucher könnten künftig mit 20 Prozent der regulären Umlage nach dem EEG belastet werden, berichtete das 'Handelsblatt'. Wie die dpa aus Verhandlungskreisen erfuhr, sollen Firmen, die in bestehenden eigenen Kraftwerken selbst Strom für ihre Fabriken produzieren, zudem im Grundsatz weiterhin von der Umlage befreit bleiben. Eine endgültige Einigung zwischen Almunia und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) wird in den nächsten Tagen erwartet.b/DP/stb