Der Blick aus Zürich
Manchmal kommen die Fäden der Zeitgeschichte wie durch Zufall alle an einem Punkt zusammen. Deutschland und die USA bekommen Anfang des kommenden Jahres eine neue Regierung, die in beiden Fällen konservativer als die Vorgänger sein werden. Aus Sicht der Börse ist aber nur eine von Bedeutung.
Merz verspricht Deutschland eine „grundlegende“ Kurskorrektur in der Migrations-, Sicherheits-, Außen- und Wirtschaftspolitik. Der Kanzlerkandidat betont, dass die Antwort nicht sein kann, das Bürgergeld weiterzuführen. Konkrete Inhalte bleibt er jedoch schuldig und strahlt damit so viel Tiefgang aus wie der originelle CDU-Wahlkampfslogan „Wieder nach vorne“.
Die konkrete Agenda des von allen Seiten erwarteten Wahlsiegers ist so dünn, dass sie schon transparent ist. Und beschränkt sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: 1) Arbeit muss sich wieder lohnen. 2) Deutschland wieder sicherer machen. Aber wie?
Dass beide Punkte die Menschen berühren, steht außer Zweifel. Der Plan zur Umsetzung ist jedoch entscheidend und hier bleibt die CDU nur im Vagen. Zum Punkt 1 zieht sich die Partei auf den Grundsatz zurück: Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten gehen. Alles andere ist nicht gerecht, weswegen die CDU es ändern will. Doch wie? Darüber schweigt man sich aus. Auch zum Punkt 2 - der gesunkenen Sicherheit in Deutschland – hält man Details zurück. Man setze auf moderne Techniken wie KI-gestützte Gesichtserkennung und elektronische Fußfesseln. Also auf Techniken, die bereits heute eingesetzt werden.
Bundestagswahl bietet Frankfurt nichts
Aus Sicht der Börse ist da nichts drin. Die Wirtschaft ächzt unter einer sich stetig ausweitenden Bürokratie- und Regulierungswut, wobei Berlin und Brüssel darum konkurrieren, wer den Alltag der Unternehmen stärker einschränkt und erschwert. Es gibt auch keinen Ansatz, dass die direkten Belastungen in Form von Steuern reduziert werden. Auch bei den indirekten Lasten gibt es keine Erleichterungen. Ganz im Gegenteil: Ab dem 01. Januar steigt der Preis für CO2 um 22 % von 45 Euro auf 55 Euro pro Tonne, womit automatisch die Grundkosten für Benzin, Diesel und Heizöl erhöht werden. Kosten, die omnipräsent in alle Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft einfließen und damit die Wettbewerbsfähigkeit verringern, während die Wirtschaftsleistung im Jahr 2025 im dritten Jahr in Folge zu schrumpfen droht.
Gleichzeitig steigt der DAX auf 20.000 Punkte. Ein Allzeitrekord und eine beachtenswerte Performance von knapp 20 % seit Jahresbeginn. Wie kommt es jedoch zustande, dass der wichtigste deutsche Aktienindex eine ausgesprochen starke Performance hinlegt, während die deutsche Wirtschaft dahinsiecht?
Der DAX ist in Frankfurt die Anomalie, nicht die Normalität. Der Blue Chip Index spiegelt die Entwicklung der deutschen Wirtschaft nur am Rande wider und lebt im Kern davon, dass die meisten Index-Mitglieder den Löwenanteil ihres Geschäfts außerhalb Deutschlands machen. Und dem Rest der Welt geht es nicht schlecht. Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist eine Ausnahmeerscheinung, insbesondere im Vergleich zu den USA, die regelrecht boomen. Auch die anderen großen europäischen Volkswirtschaften wachsen. Nicht so stark wie die USA, aber sie sind weit entfernt von der anämischen Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Entsprechend ist die Performance des DAX gerechtfertigt, denn sie spiegelt die Stärke der anderen Volkswirtschaften wider.
MDAX und SDAX hingegen beinhalten vorwiegend Unternehmen, die stark an die deutsche Volkswirtschaft gebunden sind. Das sieht man auch in der Jahresperformance. Der MDAX hat Anfang Dezember eine „0“ vor dem Komma bei der Performancemessung und der SDAX erreicht ein kleines Plus von 3,50 % seit Januar. Eine Entwicklung, die deutlich näher an dem liegt, was gelebte Wirklichkeit in der Realwirtschaft ist.
Trump geht mit hohem politischen Momentum ins Amt
Merz und Trump werden nahezu zeitgleich ins Amt kommen, aber das politische Momentum ist nicht zu vergleichen. Während die CDU schon Schwierigkeiten hat, ihre eigenen Parteimitglieder mit den hohlen Phrasen für die Bundestagswahl zu begeistern, legt Trump die Finger in alle wichtigen Wunden, die die amerikanischen Wähler fühlen.
In einem klaren 20 Punkteplan legt Trump da, was er umsetzen will. Und im Gegensatz zu Merz kann er es auch, denn die Amerikaner haben Trump zum mächtigsten US-Präsidenten der modernen Geschichte gewählt. Die Republikaner haben nicht nur alle drei Häuser in Washington gewonnen, sondern neben dem Electoral College auch die Popular Vote, was Trump einen enorm starken Rückhalt in der Bevölkerung gibt. Noch wichtiger: Trump muss in den ersten zwei Amtsjahren keine Diskussionen führen, sondern kann alles umsetzen, was er will.
Für die Wall Street gibt es in dem 20 Punkteplan ganz konkrete Highlights, die jetzt in die Kurse eingepreist werden. Für den Aktienmarkt ist entscheidend, dass die bestehenden Restriktionen für die Erdöl- und Erdgasproduktion aufgehoben und beendet werden. Die USA sind unter der ersten Trump-Administration bereits zum größten Energieproduzenten der Welt aufgestiegen und sind insbesondere durch die Fracking-Techniken zum Netto-Energieexporteur geworden. Das Weiße Haus wird die Energiebranche bevorzugt behandeln, da eine Deregulierung die Kosten für Energie senkt, was die Inflationsrate senken wird, während gleichzeitig die Margen der Energiekonzerne weiter steigen. Deregulierungen sollen aber nicht nur für die Energiebranche gelten, sondern auf der gesamten Breite der Wirtschaft vorgenommen werden. Alles, was das Wachstum von Arbeitsplätzen, die Freiheit der Bürger und Unternehmen und Innovationen behindert, soll gestrichen werden.
20 Punkteplan wird von der Wall Street eingepreist
Die von Trump in der ersten Amtszeit eingeführten Steuersenkungen sollen permanent gemacht werden. Der Tax Cuts and Jobs Act war die größte Steuerreform seit mehr als drei Dekaden, hatte aber den Haken, dass ab 2025 viele Steuersenkungen auszulaufen bzw. die Steuern sukzessive wieder zu steigen beginnen. Das wird nun verhindert und obendrein sollen weitere Steuersenkungen eingeführt werden, was das frei verfügbare Einkommen der privaten Haushalte steigert und die Margen der Unternehmen erhöht, womit mehr Kapital für Investitionen zur Verfügung steht.
Statt die heimische Industrie zu zerstören, soll der Ausbau der Industrie in den USA forciert und die Lieferketten wieder zurück aus dem Ausland in die Heimat geholt werden. Das ist eine alte und eiternde Wunde der amerikanischen Bevölkerung, die seit mehr als vier Dekaden unbehandelt ist. Die Auslagerung der Produktion seit den 80er-Jahren ins billigere Ausland wurde von der Bevölkerung als Verrat wahrgenommen, auch wenn im Gegenzug die Endprodukte in den Geschäften dadurch preiswerter wurden. Die Ankündigung Trumps, dass man die Unternehmen zu einer Rückkehr in den USA mit Strafzöllen zwingen wird, ist daher Balsam für die amerikanische Seele. Dass damit im Gegenzug mit hoher Wahrscheinlichkeit die Preise der Endprodukte steigen werden, interessiert daher (noch) niemanden. Es wird zunächst einmal dafür sorgen, dass mehr Arbeitsplätze in den USA geschaffen werden, und das wird man Trump hoch anrechnen.
America First führt zu Wall Street First
Wachstumstreiber sollen gezielt gefördert werden und von unnötigen Einschränkungen befreit werden. Themen wie Kryptowährungen und Künstliche Intelligenz stehen hier beispielhaft für den Bereich Innovationen, die es den USA ermöglichen werden, trotz der Reife und Größe der Volkswirtschaft weiterhin ganz vorne mitzuspielen. Ein nicht zu unterschätzender Vorstoß, der vor allem dann deutlich wird, wenn man sieht, was in der Europäischen Union passiert. Hier werden die Einschränkungen von Innovationen gefördert, was inzwischen dazu führt, dass private Unternehmen ihre innovativsten Produkte auf dem europäischen Markt nicht mehr einführen, da sie mit Repressalien und empfindlichen Geldstrafen rechnen müssen.
America First führt daher auch zu Wall Street First. Die Wall Street hatte im Vorfeld der US-Wahl damit gerechnet, dass es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen wird, im Zweifel im Anschluss juristische Streitigkeit entflammen und die Republikaner vielleicht ein oder zwei Häuser in Washington gewinnen werden. Der Erdrutschsieg von Trump war Anfang November nicht in den Kursen eingepreist, was die Wall Street nun nachholt und sich in der aktuellen „Buy-Everything-Rallye“ widerspiegelt.
Die Außenpolitik Trumps wird jedoch dazu führen, dass die Wall Street auch in den ersten zwei Jahren der Amtszeit zu einem globalen Kapitalmagnet wird. Denn die Unternehmen wissen genau, was Trump will, und werden den Forderungen sehr schnell nachkommen. Sie werden verstärkt in den USA investieren, um guten Willen zu beweisen und potenziellen Attacken des Weißen Hauses aus dem Weg zu gehen. Das wird zu einem bemerkenswerten Investitionsboom führen, der die Kurse der Aktien und die Phantasien der Anleger vorantreibt. Und diese Hausse wird sich selbst nähren, denn auch das Kapital aus dem Ausland wird verstärkt in die USA und den Dollar fließen, um an der Equity-Story teilzuhaben. Der Boom ist jetzt, denn die Anleger wissen, dass die Rallye nicht auf sie wartet.
Ein Artikel von
Mikey Fritz
Chefredakteur Zürcher Finanzbrief