Berlin (Reuters) - Auf die deutsche Wirtschaft kommen nach Einschätzung von Investoren und der Arbeitsagentur schwierigere Zeit zu.
Anleger bewerteten die Konjunktur im Juni so negativ wie seit über neun Jahren nicht mehr. Das entsprechende Barometer fiel im Juni um 8,6 auf minus 0,7 Punkte, wie die Investment-Beratungsfirma Sentix am Dienstag unter Berufung auf ihre monatliche Umfrage unter mehr als 900 Anlegern mitteilte. Das ist der schlechteste Wert seit März 2010. "Eine Rezession steht damit unmittelbar vor der Tür", prognostizierte Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner.
So schwarz sieht das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) die Lage nicht. "Wir gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Rezession nur marginal gestiegen ist", sagte IMK-Ökonom Thomas Theobald mit Blick auf die Anfang nächster Woche zur Veröffentlichung anstehende hauseigene Analyse. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland in eine Rezession gerät, hatte das Institut zuletzt auf rund 28 Prozent taxiert. Der exakte aktuelle Wert soll erst zur Monatsmitte öffentlich gemacht werden. Der vom IMK erstellte Indikator bündelt jüngste Daten über die Wirtschaftslage. Trotz des leichten Anstiegs sehe das Institut "keinen Anlass, das Konjunkturbild über den Haufen zu werfen und Alarm zu geben".
Die Bundesagentur für Arbeit bereitet sich angesichts der abkühlenden Konjunktur auf einen Anstieg der Kurzarbeit in Industriebranchen vor. "Wir untersuchen in hausinternen Szenarien, ob wir in der Lage wären, bei Bedarf kurzfristig sehr viel Kurzarbeitergeld auszuzahlen", sagte Arbeitsagenturchef Detlef Scheele der "Augsburger Allgemeinen". Dies betreffe in erster Linie das verarbeitende Gewerbe. "Bei diesen Firmen steigt der Beratungsbedarf, was eine mögliche Kurzarbeit betrifft" sagte Scheele. "Auch die Zahl der Zeitarbeiter geht gerade im Autozulieferbereich zurück." Scheele betonte aber auch, dass der Arbeitsmarkt weiter sehr robust sei: "Wir sind weit entfernt von einer Rückkehr zu einer spürbaren Arbeitslosigkeit".
BELASTUNGSFAKTOR HANDELSSTREIT
Für die deutsche Wirtschaft kommt es derzeit knüppeldick. "Einerseits belastet der USA-China-Handelsstreit die stark exportlastige Wirtschaft in hohem Maße", sagte Sentix-Chef Hübner. "Andererseits wird nirgendwo in Europa mehr über den Klimawandel gesprochen und die eigene Industrie so sehr infrage gestellt." Zudem befinde sich mit der Autoindustrie eine Schlüsselbranche noch immer in einer selbstverschuldeten Krise.
Im ersten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt mit 0,4 Prozent noch spürbar gestiegen. Die Umsätze im Handwerk kletterten vor allem dank des Baubooms binnen Jahresfrist um 6,4 Prozent, während die Service-Branche einen Umsatz- und Beschäftigungsrekord aufstellte, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. "Für den Dienstleistungssektor in Deutschland geht es ungebrochen aufwärts", sagte Holger Bingmann, Präsident des Branchenverbands BGA. Er sei zuversichtlich, dass sich der Sektor auch künftig "entgegen dem verhaltenen Trend in anderen Bereichen" besser entwickeln werde.
Inzwischen aber hat sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China wieder verschärft. Beide Länder sind sehr wichtige Kunden deutscher Unternehmen: Die Amerikaner sind ihr wichtigstes Exportziel, während die Volksrepublik größter Handelspartner - Ein- und Ausfuhren zusammen - ist. Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr nur ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. 2018 hatte es noch zu 1,4 Prozent gereicht.