FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Viele sehen eine gefährliche Melange an den Märkten zusammenbrauen: hohe Bewertungen am US-Aktienmarkt, die destabilisierende Wirkung der kommenden Trump-Administration und die Überschätzung der Wirkung der KI-Revolution. Die Risiken sollten nicht übersehen, die Chancen aber nicht kleingeredet werden, argumentiert Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
13. Januar 2025. FRANKFURT (envestor).Die Pessimisten haben derzeit Auftrieb, und ihre Argumente sind nicht schlecht. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 23 für den S&P 500 liegen die Bewertungen von US-Aktien deutlich über dem historischen Durchschnitt. Gleichzeitig sorgt der bevorstehende Amtsantritt Donald Trumps für zusätzliche Nervosität. Zölle bremsen das Wachstum, heizen die Inflation an, die Abschiebung von Millionen Immigranten würde die Teuerung weiter anheizen und der US-Wirtschaft wichtige Arbeitskräfte und damit viel Potenzial entziehen. Das ist das Zeug, aus dem Abwärtsspiralen gemacht sind!
Angesichts von so viel Gravitas ist man geneigt, den Optimismus der Sunny Boys am Aktienmarkt als blauäugig zu belächeln. Viele Investoren bauen unverändert auf die Innovationskraft der US-Unternehmen, insbesondere im Technologiesektor. Die KI-Revolution verspricht enorme Produktivitätsgewinne. Unternehmen wie Nvidia (NASDAQ:NVDA), Microsoft (NASDAQ:MSFT) und Alphabet (NASDAQ:GOOGL) investieren Milliarden in KI-Infrastruktur, was das Potenzial hat, ganze Branchen zu transformieren.
Die Bullen heben auch die Chancen einer zweiten Amtszeit Donald Trumps hervor. Sie sehen seine hemdsärmeligen Auftritte und Ankündigungen als "Eröffnungsschachzüge", mit denen er den besten Deal für die USA gegenüber Partnern (Europa) und Wettbewerbern (China) herausholen will. Mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress sind Steuersenkungen problemlos umsetzbar. Der Rückgang der Unternehmenssteuern von 21 auf bis zu 15 Prozent werde eine ähnliche Hausse herbeiführen wie in Trumps erster Amtszeit, so die Optimisten. Angesichts der Aussicht auf steigende Unternehmensgewinne sei der S&P 500 längst nicht so teuer, wie er aktuell erscheine.
Die KI-Revolution als Wachstumstreiber
Investoren sollten die beiden Pole als Extrem-Szenarien ansehen und die Wahrheit in der Mitte suchen. Die aktuelle KI-Revolution könnte tatsächlich ähnlich transformativ sein wie frühere technologische Umwälzungen, auch wenn Experten wie Jim Covello von Goldman Sachs (NYSE:GS) warnen, dass die hohen Investitionen in KI sich möglicherweise nicht so schnell auszahlen, wie viele hoffen. Doch das spricht eher für eine Diversifikation weg von der hohen Gewichtung der Hyperscaler bzw. der Magnificent 7 und weniger für ein Fernbleiben vom Aktienmarkt.
Wohin aber mit dem Geld? Konservative Aktienanleger, die zwischen kurzfristiger Euphorie und langfristigem Potenzial unterscheiden, orientieren sich in Richtung Europa und Japan, deren Märkte deutlich günstiger bewertet sind als der US-amerikanische. Allerdings weisen diese Regionen auch ein schwächeres Wirtschaftswachstum und eine viel geringere technologische Dynamik auf als die USA. Für die Eurozone wird 2025 nur ein Wachstum von 0,9 Prozent prognostiziert, für Japan 1,2 Prozent. Mutige Anleger könnten sich in Richtung Tech-Werte aus der zweiten Reihe orientieren, die sich anschicken, die Anwendungen in einem großen AI-Rollout zu schaffen, jetzt, nachdem sich die Hyperscaler mit Nvidia-Chips vollgeladen haben.
Warum hohe Bewertungen relativiert werden sollten
Anlegerinnen und Anleger in Deutschland neigen besonders dazu, den Pessimisten mehr Glauben zu schenken als den Optimisten. Eine gesunde Portion Skepsis gegenüber zu viel Markteuphorie sollte zum Rüstzeug jedes Anlegers gehören. Allerdings ist die Angst vor einem "Jahrhundert-Crash", der immer wieder heraufbeschworen wird, fehl am Platz. Hohe Vergangenheits-Renditen sind eine Indikation für künftige unterdurchschnittliche Renditen und kein Tool zur Kursvorhersage.
Was das bedeutet? Weniger Geld in die großen Tech-Plattformen allokieren und die schlecht gelaufenen Märkte bedenken. Wer sein Portfolio breit diversifiziert und mehr oder weniger regelmäßig auf die Ausgangslage zurückführt (Rebalancing), stellt sicher, dass er oder sie sich keine Klumpenrisiken einfängt. Europa, Japan, Nebenwerte, der S&P 493, Emerging Markets und Digitalwerte aus der zweiten Reihe sind eine sinnvolle Allokation auf der Aktienseite. Risikostreuung ist der beste Grund, mit Zuversicht und Gelassenheit ins neue Börsenjahr zu starten.
Von Ali Masarwah, 13. Januar 2025, © envestor.de
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse (ETR:DB1Gn) AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.