- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Kurz vor dem Gipfeltreffen zur EU-Haushaltspolitik hat Kanzlerin Angela Merkel eine harte Position Deutschlands angekündigt.
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sei eine Chance, die EU-Finanzen insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Sie pochte mit Blick auf den mittelfristigen EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 auf die Finanzierung neuer Aufgaben wie den europäischen Grenzschutz. Zudem will sie Finanzhilfen etwa an osteuropäische Länder mit deren Mitarbeit bei der Flüchtlingspolitik verknüpfen. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland warf Merkel deshalb eine "Erpressung" der Osteuropäer vor. Laut einer Umfrage wächst die Zustimmung der Deutschen zu einer engeren Zusammenarbeit in der EU.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der nach dem Brexit verbleibenden EU-Staaten treffen sich am Freitag in Brüssel, um über die mittelfristige Verteilung von Geld in der EU zu sprechen. [nL8N1QB3BF] Fast ein Dutzend Regierungschefs, darunter Merkel, wollte bereits am Donnerstagabend in Brüssel auf Einladung des belgischen Ministerpräsidenten zu einem Abendessen zusammenkommen. Klar ist, dass nach dem Brexit Ende März 2019 mehrere Milliarden Euro im Jahr fehlen, weil Großbritannien wie Deutschland mehr Geld in den Haushalt einzahlt als es zurückbekommt. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass ein Teil der bisherigen Zahlungen im EU-Haushalt gekürzt werden sollen, die anderen EU-Staaten aber auch mehr zahlen. Union und SPD haben sich bereiterklärt, dass die Bundesrepublik mehr Geld nach Brüssel überweist. Andere Staaten wie die Niederlande und Österreich lehnen dies ab.
"Wir brauchen einen neuen Aufbruch für Europa", sagte Merkel. 2018 sei das Jahr, in dem die Weichen für die Zukunft gestellt werden müssten. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Merkel auf, mehr Leidenschaft und Anstrengung für Europa an den Tag zu legen. Merkel verwies darauf, dass Union und SPD im Koalitionsvertrag klargemacht hätten, dass Deutschland bereit sei, seine Verantwortung zu übernehmen. Vertreter der AfD und der Linkspartei forderten dagegen in der Debatte, dass der EU-Haushalt nach dem Brexit verringert werden sollte. FDP-Chef Christian Lindner sprach sich zumindest für eine Überprüfung der EU-Kohäsionsfonds aus.
Die Kanzlerin pochte darauf, dass diese milliardenschweren Töpfe weiter unterentwickelten Regionen in allen EU-Staaten zur Verfügung stehen müssten. Bei den Strukturfonds, von denen ärmere Staaten etwa beim Bau von Infrastrukturprojekten profitieren, forderte sie neue Kriterien. Dies dürfte zu Konflikten mit den betroffenen Regierungen führen.
"SOLIDARITÄT KANN KEINE EINBAHNSTRASSE SEIN"
Streit dürfte es auch bei der von Merkel verlangten Verknüpfung von Finanzhilfen mit der Asylpolitik geben. "Bei der Neuverteilung der Strukturfondsmittel müssen wir darauf achten, dass die Verteilungskriterien auch das Engagement vieler Region und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten widerspiegeln", sagte Merkel. "Solidarität kann in der EU keine Einbahnstraße sein." Hintergrund ist die Weigerung osteuropäischer Staaten, an der Umverteilung von Flüchtlingen aus anderen EU-Staaten teilzunehmen. Staaten wie Polen bekommen unter dem Strich mehr Geld von der EU als sie einzahlen. Deutschland ist dagegen Nettozahler. "Das ist politische Erpressung", kritisierte der AfD-Politiker Gauland. "Deutschland entwickelt sich vom Lehrmeister über den Zuchtmeister zum Zahlmeister." Es sei falsch, Zahlungen an die Osteuropäer von der Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU abhängig zu machen.
Merkel forderte zugleich einen effektiven Schutz der EU-Außengrenze mit einer Länge von 14.000 Kilometern. Die Personalausstattung der Grenzschutzbehörde Frontex müsse massiv verbessert werden. Sie pochte zudem darauf, dass bei der Reform der Euro-Zone Haftung und Kontrolle in einer Hand bleiben müssten. Vor allem müsse die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. Ohne einen digitalen Binnenmarkt werde es den EU-Staaten schwerfallen, international wettbewerbsfähig zu bleiben.
ZUSTIMMUNG ZU VERTIEFTER EU-ZUSAMMENARBEIT STEIGT
Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" steigt die Zustimmung der Bundesbürger zu einer vertieften EU-Integration. Dies finden 51 Prozent richtig. 14 Prozent der Wähler halten die EU für überflüssig - bei den AfD-Wählern sind dies aber 50 Prozent.
SPD und Linkspartei forderten in der EU-Debatte eine stärkere Konzentration auf soziale Themen. Hauptaufgabe müsse sein, die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten anzugehen, sagte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Ungleichheit der Lebensverhältnisse sei in der Union weitaus größer als in den USA. "Ich glaube, dass es diese Ungleichheiten sind, die den Zusammenhalt in Europa immer wieder neu gefährden."
DIHK-Präsident Eric Schweitzer empfahl Merkel, sich auf dem EU-Gipfel für eine "Strategie für mehr Wettbewerbsfähigkeit" und deren rasche Umsetzung einzusetzen. Er fürchtet nach eigenen Worten, dass das Thema Umverteilung die Debatte dominiert.