(neu: Studie)
GOSLAR (dpa-AFX) - Die Regelungen für Cannabis im Verkehr sollten nach Ansicht von Fachleuten nachgeschärft werden. Unter anderem mit Blick auf Mischkonsum mit Alkohol oder Menschen mit Missbrauchsproblemen seien sie zu locker. Vom 29. Januar an wollen Fachleute beim Verkehrsgerichtstag in Goslar über das Thema Cannabis im Verkehr sprechen.
"Das Thema Mischkonsum ist bisher unter dem Radar", sagte etwa die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer, Kirstin Zeidler. Der gemeinsame Konsum von Alkohol und Cannabis habe bereits in geringem Ausmaß Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit, warnte sie. Und: "2022 lag bei jedem zweiten tödlichen Unfall unter Drogeneinfluss Mischkonsum vor", sagte Zeidler.
Aktuell ist es erlaubt, mit weniger als 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blut sowie weniger als 0,5 Promille Alkohol im Blut Auto zu fahren. Die Erlaubnis für den begrenzten Mischkonsum müsse gestrichen werden, forderte Zeidler. Zudem brauche es genauere Schnelltests, die den genauen THC-Wert im Blut bestimmen sowie mehr Aufklärung zum Thema Cannabis im Verkehr.
Laut einer repräsentativen Studie im Auftrag des Automobil-Clubs Verkehr halten rund 68 Prozent der Befragten die bisherige Aufklärungsarbeit für schlecht. Mehr als 60 Prozent gaben zudem an, den Cannabis-Grenzwert sowie die möglichen Strafen nicht zu kennen.
Cannabis im Verkehr: derzeitige Regelungen
Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar wollen die Experten auch eine erste Bilanz der neuen Regelungen ziehen. "Erstmals seit der Teillegalisierung kommen verschiedene Fachleute in größerer Runde zusammen", sagte der ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand. Der dreitägige Kongress zählt jedes Jahr zu den wichtigsten Treffen von Verkehrssicherheits- und Verkehrsrechtsexperten in Deutschland und endet mit Empfehlungen an den Gesetzgeber.
Nach der begrenzten Freigabe von Cannabis für Volljährige am 1. April wurden im Sommer auch die Verkehrsregeln angepasst. Seitdem gilt: Wer mit 3,5 Nanogramm THC oder mehr je Milliliter Blut unterwegs ist, riskiert in der Regel 500 Euro Bußgeld und einen Monat Fahrverbot. Wer zusätzlich Alkohol getrunken hat, muss mit einer höheren Geldstrafe rechnen. Für Fahranfängerinnen und Fahranfänger gilt wie beim Alkohol eine Null-Toleranz-Regelung. Bei Menschen, die Gefahrgut oder Menschen befördern, fehle eine solche Regelung, kritisierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Psychologin: Führerscheinentzug bei erstem Verstoß ermöglichen
Die Psychologin Yvonne Muffert von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie berichtete, dass der Führerschein in der Regel erst beim zweiten Verstoß entzogen und eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werde. Beim ersten Verstoß sei das nur bei anderweitigen Auffälligkeiten möglich. Weil die nicht ausreichend definiert seien, kämen Ersttäter für gewöhnlich mit der symbolischen Gelben Karte davon.
Menschen mit Missbrauchsproblemen oder gar Drogenabhängige seien damit weiterhin im Straßenverkehr unterwegs. Muffert fordert klare Handlungsanweisungen, um Menschen beim ersten Drogenverstoß aus dem Verkehr ziehen und eine MPU anordnen zu können. Neben dem THC-Wert müssten etwa auch Mischkonsum oder Begleitumstände berücksichtigt werden, sagte Unfallforscherin Zeidler.
Die MPU diene schließlich nicht nur der Verkehrssicherheit, sondern auch den Betroffenen. "Der Führerscheinentzug ist für viele ein Anstoß, sich mit den eigenen Problemen auseinanderzusetzen", so Zeidler. Für die MPU selbst brauche es zudem neue Beurteilungsvorgaben, fordert ADAC-Verkehrsrechtler Hillebrand, der auch für den Deutschen Anwaltverein aktiv ist. Die bisherigen Anweisungen seien mit Blick auf Cannabis-Konsumenten veraltet, kritisierten Hillebrand und Muffert.
Unfallforscher: Grenzwert komplett streichen
Noch weiter geht Siegfried Brockmann, Geschäftsführer für Verkehrssicherheit und Unfallforschung bei der Björn Steiger Stiftung. Er fordert, den 3,5-Nanogramm-Grenzwert bei THC komplett zu streichen. Da sich Cannabis im Körper deutlich weniger linear abbaue als etwa Alkohol, sei die Fahrtüchtigkeit viel schwieriger einzuschätzen.
Laut ADAC führt der THC-Konsum zu Konzentrations-Einschränkungen und einer verlängerten Reaktionszeit. Er habe auch Auswirkungen auf Sehvermögen und Bewegungskoordination.
Automobilclubs fordern bessere Schnelltests
Bessere THC-Schnelltests fordern der Automobilclub von Deutschland, die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die GdP. Aus Erhebungen vor der Teillegalisierung wisse man, dass in etwa 20 Prozent der Fälle der aktuelle THC-Grenzwert nicht überschritten werde, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Michael Mertens. Auch diese Menschen müssten derzeit aber wegen zu ungenauer Tests Blutproben abgeben. Beim Schnelltest kann nur nachgewiesen werden, ob Cannabis konsumiert wurde.
Der ADAC will zudem mehr Aufklärung für Fahranfänger, der Auto Club Europa mehr Schulungen für Polizeibeamte. Zudem müsse Fahren unter Cannabis-Einfluss in der Verkehrsunfallstatistik einzeln erfasst werden, forderte die DPolG. Bisher werden alle illegalen Drogen sowie Cannabis zusammengefasst. Auch Mischkonsum werde nicht erfasst.