- von Anika Ross
Frankfurt (Reuters) - Nach den herben Wechselkurs- und Aktienmarktverlusten in Schwellenländern sehen Investoren Chancen für eine Erholung im kommenden Jahr.
Grund zur Hoffnung könnte die sich abkühlende Konjunktur in den Industrieländern liefern. "Relativ gesehen könnte das Wachstum der Schwellenländer, das stark von China abhängig ist, also für Anleger attraktiver werden", sagen die Experten des asiatischen Vermögensverwalters Nikko Asset Management voraus. Außerdem dürfte es in den USA im neuen Jahr weniger Zinserhöhungen geben als erwartet.
Die US-Notenbank (Fed) signalisierte jüngst für 2019 nur noch zwei Anhebungen. Das wären halb so viele wie 2018 und eine weniger als im September angedeutet. Das behutsamere Vorgehen der Fed könnte dem Dollar den Wind aus den Segeln nehmen und den in der US-Devise stark verschuldeten Schwellenländern die nötige Luft für eine Erholung verschaffen. Zudem stehen manche Problemstaaten dank Reformen mittlerweile wieder ökonomisch besser da.
Trotzdem raten Volkswirte zur Vorsicht. "Ein gewichtiger Risikofaktor für das neue Jahr ist die Serie von US-Strafzöllen gegen China", erläutert DZ-Bank-Ökonom Rütger Teuscher. Eine geringere Nachfrage Chinas nach Rohstoffen und Vorprodukten für den chinesischen Exportsektor schaffe auch in anderen Schwellenländern Probleme. Schon im ablaufenden Jahr sorgte der Handelsstreit zwischen den USA und China vor allem in den aufstrebenden Volkswirtschaften für Unruhe. Der Schwellenland-Aktienindex MSCI Emerging Markets fiel seit Jahresbeginn um rund 18 Prozent. 2017 hatte es noch ein Plus von fast 35 Prozent gegeben.
Der Dollar-Anstieg infolge der Fed-Zinsanhebungen setzte vor allem die in der US-Devise hoch verschuldeten Staaten unter Druck. So wertete der argentinische Peso um rund 50 Prozent ab, die türkische Lira um 30 Prozent, beim russischen Rubel, dem brasilianischen Real und dem südafrikanischen Rand ging es bis zu 15 Prozent abwärts.
Doch seit den Turbulenzen im Sommer hat sich die Lage beruhigt. In den von der Währungskrise am härtesten betroffenen Ländern wie Argentinien und der Türkei konnten die Zentralbanken mit massiven Zinsanhebungen Vertrauen der Anleger zurückgewinnen und ihr Währungen stützen. "Bei vielen Schwellenland-Währungen sind mittlerweile schon eine Menge schlechter Nachrichten eingepreist", sagt Fondsmanager Tony Finding vom Anlagehaus M&G Investments. Einige Währungen gelten sogar als unterbewertet. Das könnte in den kommenden zwölf Monaten zu Kurssteigerungen von fünf bis acht Prozent führen, sagt Stratege Ben Jones von State Street Global Advisors.
CHINA SPIELT SCHLÜSSELROLLE
Regierungen in betroffenen Staaten dürften angesichts der Wachstumsschwäche versuchen, mit Konjunkturprogrammen gegenzuhalten, sagt Deutsche-Bank-Anlagestratege Ulrich Stephan. Gerade in den asiatischen Schwellenländern bestehe dafür fiskalpolitischer Spielraum. "Dieser könnte beispielsweise in China genutzt werden, um Gegenwind vom Außenhandel abzuwehren." Auch die 2015 eingeläutete technologische Aufholjagd könnte die Volksrepublik Analysten zufolge voranbringen. Mit der Initiative "Made in China 2025" will sich das Land modernisieren und in die Lage versetzen, bislang importierte Hightech-Produkte künftig selbst zu produzieren.
Jean-Jacques Durand, der bei der Privatbank Edmond de Rothschild für Schwellenländer-Investments zuständig ist, äußert allerdings Bedenken, was das neue Wachstumsmodell der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft angeht. "China wird es nicht schaffen sich zu wandeln, ohne Schockwellen auszulösen. Dies wird mit größerer Unruhe verbunden sein, als die Investoren annehmen." Durand sieht in einem Scheitern Chinas die größte Gefahr für Schwellenländer insgesamt. "Eine weitere Kapitalflucht kann dann nicht ausgeschlossen werden." Es sei möglich, dass den Schwellenländern erneut ein negatives Börsenjahr droht.
GELINGT ARGENTINIEN UND DER TÜRKEI EIN COMEBACK?
Im Falle Argentiniens stimmt die Aussicht auf Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) Anlagestrategen wieder hoffnungsvoller. "Fundamental gesehen steht Argentinien gut da. Die neue Politiker-Generation ist am Zug, und das macht einen reformwilligen Kurs wahrscheinlich", sagt Durand.
Was die Türkei betrifft, bereiteten die politische Unsicherheit und eine prozentual zweistellige Inflation zwar weiter Unbehagen, konstatieren die Analysten von Nikko Asset Management. "Doch wir glauben, dass das Land die Auswirkungen der schwächelnden Wirtschaft auf den Unternehmens- und Bankensektor bewältigen kann." Durand setzt ebenfalls auf die Selbstheilungskräfte der türkischen Wirtschaft und ein Einlenken von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. "Erdogan wird keine roten Linien überschreiten, er weiß um die Exportabhängigkeit der Türkei." Der Präsident hat massiven Druck auf die unabhängige Zentralbank ausgeübt und damit die Lira auf Talfahrt geschickt. Die Notenbanker hoben aber die Zinsen stark an und stoppten damit die Kapitalflucht.