(2. Absatz, 1. Satz: Schreibweise Nachname Dekabank-Chefvolkswirt korrigiert: Kater; ausgefallene "2" in Überschrift ergänzt))
WIESBADEN (dpa-AFX) - Die Inflation in Deutschland sinkt spürbar. Im Juni lagen die Verbraucherpreise um 2,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats - nach 2,4 Prozent im Mai, wie das Statistische Bundesamt auf Basis vorläufiger Zahlen in Wiesbaden mitteilt. Nach Einschätzung von Ökonomen dürfte sich der Trend zu stabilen Preisen im Sommer fortsetzen: Sie erwarten schon bald Raten unter zwei Prozent. Die Fußball-Europameisterschaft hat demnach nur einen geringen Einfluss auf die Verbraucherpreise.
"Die Inflation geht in die Sommerpause", kommentierte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Der Ökonom Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) nannte den Anstieg im Mai einen Ausreißer. "Der Abwärtstrend bei der Inflation ist intakt und hat sich im Juni nun wieder durchgesetzt."
Die viel umjubelte Fußball-EM hat nach Einschätzung der Volkswirtin Ulrike Kastens von der Fondsgesellschaft DWS (ETR:DWSG) nur einen sehr geringen Einfluss auf die Teuerung, etwa mit steigenden Preisen für Hotelübernachtungen.
Während sich vor allem Dienstleistungen den Statistikern zufolge im Juni kräftig verteuerten, wurde Energie binnen Jahresfrist um 2,1 Prozent günstiger. Bei den Nahrungsmitteln gab es nach kräftigen Preisaufschlägen nur noch moderate Zuwächse (plus 1,1 Prozent). Die Inflationsrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Nahrungsmittel und Energie - die Kerninflation - beträgt demnach 2,9 Prozent. Das war etwas weniger als im Vormonat Mai.
Ifo erwartet weiteres Abebben der Inflation
Das Münchner Ifo-Institut erwartet nach einer aktuellen Umfrage unter Unternehmen zu ihren Preisplänen, dass die Inflation weiter zurückgeht. Die Inflationsrate dürfte ihren Rückgang langsam fortsetzen und "im August erstmals seit März 2021 unter die Zwei-Prozent-Marke sinken", meint Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Deutsche Bank (ETR:DBKGn) angesichts sinkender Energiepreise und einer "Beruhigung bei der Nahrungsmittelinflation". Allerdings bleibe die Kerninflation mit 2,9 Prozent recht hoch, schreibt Volkswirt Sebastian Becker.
Zwar sind die extrem hohen Inflationsraten der vergangenen beiden Jahre Geschichte. Im Jahresschnitt erwarteten führende Wirtschaftsforschungsinstitute eine deutliche Abschwächung der Inflation in Deutschland auf 2,3 Prozent - nach 5,9 Prozent 2023. Doch zuletzt verlief der Rückgang zäh. Noch im Mai hatte die Inflation erstmals in diesem Jahr wieder an Tempo gewonnen - vor allem wegen teurerer Dienstleistungen. Bereits im April war der Rückgang der Inflation bei einer Rate von 2,2 Prozent ins Stocken geraten. Volkswirte verwiesen auf gestiegene Löhne, die zu Preiserhöhungen von Unternehmen führen können.
Auch spüren Verbraucher beim Einkaufen nach wie vor kräftig gestiegene Preise. Nahrungsmittel haben sich in den vergangenen Jahren im Schnitt um mehr als 30 Prozent verteuert, zeigt eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes für den Zeitraum von Januar 2020 bis Mai 2024. Sie lag der "Wirtschaftswoche" vor.
Hohe Tarifabschlüsse und steigende Renten stärken Kaufkraft
Sinkt die Inflation in Deutschland wie auch im Euroraum insgesamt, gäbe das der Europäischen Zentralbank im Jahresverlauf Spielraum für weitere Leitzinssenkungen. Sie hat im Juni erstmals seit der Inflationswelle im Währungsraum die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte gesenkt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde dämpfte zugleich die Erwartung an weitere Zinsschritte. "Das Inflationsproblem ist noch nicht gelöst, die EZB kann sich noch nicht entspannen", meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Höhere Teuerungsraten schwächen die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das bremst den privaten Konsum, der eine wichtige Stütze der Konjunktur in Deutschland ist. Gewerkschaften versuchen, die Preissprünge mit hohen Tarifabschlüssen auszugleichen. Auch steigen die Renten deutlich: Die Bezüge für mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland legen zum 1. Juli um 4,57 Prozent zu.
Inflationswelle nach Ukraine-Krieg belastet Haushalte
Auf längere Sicht aber ist die Kaufkraft der Verbraucher angesichts der enormen Inflation der vergangenen Jahre gesunken. Zwar wuchs das mittlere Haushaltseinkommen nach Angaben des Statistischen Bundesamts von 2022 auf 2023 um 5,1 Prozent - die Teuerungsrate lag aber bei 5,9 Prozent. Das zeigen jüngste Daten, die das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Behörde abgefragt hat. Vergleicht man die Jahre 2021 und 2023, ist die Lücke noch größer. "Die Deutschen sind deutlich ärmer geworden", sagt Wagenknecht.
Die Inflation hatte sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 rasant beschleunigt, weil Energie und in der Folge auch Produktion und importierte Waren viel teurer wurden. Die Europäische Union hatte Ölimporte aus Russland eingeschränkt und weitere Sanktionen verhängt. Moskau wiederum stoppte den Gasexport nach Deutschland über die Nord-Stream-Pipelines.