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Börse Frankfurt-News: 'Lehren aus der Italienkrise' (Hüfner)

Veröffentlicht am 08.03.2013, 14:35
Aktualisiert 08.03.2013, 14:36
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 8. März. 2013. Martin Hüfner diskutiert die Situation und Perspektive Italiens, auch inwieweit Investitionen in Aktien und Anleihen des Lands im Moment interessant sind.

Was wenige erwartet hatten: Der Ausgang der italieni­schen Wahlen wurde nicht zum Gau der Eurokrise. Es gab zwar ein paar Blessuren: Die italienischen Zinsen sind um 50 Basispunkte gestiegen, die Aktienkurse an der Mailänder Börse um 10 Prozent gefallen, der Euro hat sich gegen den US-Dollar um 5 Prozent abgeschwächt. Ins­gesamt aber hielten sich die Rückschläge in Grenzen. Die internationalen Finanzmärkte gingen schnell wieder zur Tagesordnung über. Die Aktien haussierten rund um den Globus. Die Notenbanken diskutieren über weitere Lockerungen, um die Konjunktur anzukurbeln.

Was ist der Grund, dass sich der Ausgang der italieni­schen Wahlen nicht stärker auf die Finanzmärkte ausge­wirkt hat? Das Wichtigste war sicher, dass Politiker in Rom wieder einmal Geschick und Ideenreichtum bei der Lösung schwieriger Konstellationen zeigten. Der Chef der Partito Democratico, Pier Luigi Bersani, lamentierte nicht lange. Er machte sich daran, einen pragmatischen Ausweg zu finden, vielleicht durch die Bildung einer Übergangsregierung zur Durchsetzung einer Wahl­rechtsreform. Offenbar ist auch Beppe Grillo, der Be­gründer der MoVimento 5 Stelle, nicht nur der Clown, den viele in ihm sehen wollen. Er scheint zu Kompromis­sen bereit. In jedem Fall sieht es so aus, als ob die Poli­tiker den für Euroland schlimmsten Fall verhindern wer­den, nämlich eine Rückkehr des früheren Ministerpräsi­denten Berlusconi und eine Rückgängigmachung der Monti'schen Reformen.

Hinzu kommt, dass sich Italien inzwischen in einer weit besseren Situation befindet als vor einem oder zwei Jahren. Das wird oft übersehen. Das öffentliche Defizit ist deutlich reduziert worden. Es dürfte in diesem Jahr unter der Maastricht-Grenze von 3 Prozent liegen. Die Ver­schuldung des Privatsektors beträgt 133 Prozent des Brutto­inlandsprodukts und gehört damit zu den niedrigsten

des Euroraums (Deutschland 130 Prozent). Der Fehlbetrag der Leistungsbilanz beläuft sich auf nur noch 1,5 Prozent des BIP. Die Reformen am Arbeitsmarkt und an den Pro­dukt­märkten sind auf den Weg gebracht.

Schließlich war positiv, dass die Partner Italiens nicht gepanikt haben. Sie hielten sich mit verbalen Interventio­nen zurück. Sie konnten die Situation allerdings nicht durch Interventionen auf den Kapitalmärkten entspan­nen helfen. Sowohl für das OMT der Europäischen Zen­tralbank als auch für Interventionen des ESM ist ein Kommittment des Schuldnerlandes zu Reformmaß­nah­men erforderlich. Das konnte es nach den Wahlen aber nicht geben, da keine handlungsfähige Regierung da war, die das unterschreiben konnte.

Dass Euroland bei den italienischen Wahlen bisher mit einem blauen Auge davongekommen ist, ist jedoch kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Die Situation auf dem Apennin ist immer noch instabil.

Politisch gibt es noch keine handlungsfähige Regie­rung. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Auste­ritätspolitik. Eine neue Regierung kann das nicht ne­gieren. Die Mehrheitsverhältnisse sind so unsicher, dass man mit Neuwahlen vor Ablauf der Legislatur­periode rechnen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass in Kürze ein neuer Staatspräsident bestimmt werden muss.

Monetär sind die Zinsen für italienische Staatsanlei­hen höher als das die fundamentalen Gegebenheiten rechtfertigen. Das zeigt die Unsicherheit der Inves­to­ren. Sie kann jederzeit wieder eskalieren.

Wirtschaftlich steckt Italien tief in Rezession und Ar­beitslosigkeit. Im vierten Quartal 2012 lag die reale Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent unter dem Vorjahr. Die Arbeitslosigkeit betrug zuletzt 11,7 Prozent. Das sind Be­lastungen, die eine demokratische Gesellschaft auf Dauer kaum aushalten kann. Die Eurokrise mutiert zunehmend von einer Strukturkrise mit hoher Ver­schuldung und mangelnden Reformen zu einer Kon­junkturkrise.

Zwei Lehren sind aus der Situation zu ziehen. Erstens muss alles getan werden, dass das Wachstum wieder anspringt. Sonst kann sich der 'Fall Italien' in anderen Ländern wiederholen, in denen es dann vielleicht nicht so kreative Politiker gibt. Wenn das nicht durch eine Be­le­bung des Weltkonjunktur (und eine Zunahme der Nach­frage aus den Partnerländern) gelingt, dann muss es durch Zinssenkungen und eine vorsichtige Lockerung der Sparpolitik geschehen. Das wird eine schwierige Gratwanderung. Einerseits dürfen die bisherigen Erfolge bei der Konsolidierung nicht gefährdet werden. Anderer­seits muss die Nachfrage aber so zunehmen, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht.

Zweitens muss man über eine Anpassung des institu­tio­nellen Rahmens der Währungsunion nachdenken. Man kann man nicht davon ausgehen, dass Politiker auch in anderen Staaten so geschickt mit der Situation umge­hen, dass es zu keiner Eskalation an den Finanzmärkten kommt. Man sollte daher überlegen, ob man beim Ret­tungsschirm ESM (nicht bei der Europäischen Zentral­bank) nicht eine zusätzliche Fazilität für den Fall schafft, dass Wahlen in einem Land nicht so schnell zu einer handlungsfähigen Regierung führen. Mit ihr sollte an den Kapitalmärkten für begrenzte Zeit auch ohne ein Stabili­tätsprogramm interveniert werden können. Der ESM würde sich dann weiter in Richtung auf einen Europäi­schen Währungsfonds bewegen.

Für den Anleger

Auch wenn die Situation in Italien noch unübersichtlich ist und zu Rückschlägen führen kann, setze ich darauf, dass sich die Lage normalisieren wird. Es wird nur etwas länger dauern. Ich halte daher Investitionen in italieni­sche Staatsanleihen und in Aktien guter Unternehmen auf dem derzeitigen niedrigeren Niveau für vertretbar. Man muss dabei aber gute Nerven haben, denn es kann Rückschläge geben.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 8. März 2013 /Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem 'Europa - Die Macht von Morgen' (2006), 'Comeback für Deutschland' (2007), 'Achtung: Geld in Gefahr' (2008) und 'Rettet den Euro!' (2011).

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