BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die Bundesregierung hält eine Einigung auf eine Asylreform trotz der Blockade des Europaparlaments noch vor der Europawahl für möglich. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) treibe die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem weiter voran, hieß es aus Regierungskreisen. Der Druck auf die Bundesregierung ist hoch, nachdem das Europaparlament am Mittwoch die Blockade von Verhandlungen über die geplante Asylreform angekündigt hatte.
Denn gerade Vorbehalte Deutschlands hatten im Sommer eine Positionierung der EU-Staaten zu einem Teil der geplanten Reform verhindert, der sogenannten Krisenverordnung. Die EU-Abgeordneten begründeten ihren Schritt nun auch damit, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten zu diesem Teilbereich bislang nicht positioniert haben. Bis dies nicht geschehen ist, sollen Verhandlungen zu zwei anderen Teilbereichen nicht fortgesetzt werden.
Brisant sind die Verzögerungen vor allem wegen der nahenden Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden und sich lange verzögern. Im Fall der geplanten Reform des Asylsystems wäre dies ein besonders großer Rückschlag. An dem Projekt wird seit Jahren gearbeitet. Es soll auch dazu beitragen, die illegale Migration zu begrenzen.
Innerhalb Deutschlands gehen die Meinungen weit auseinander, wie man mit der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen umgehen soll. Der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Johannes Winkel (CDU), will die Freizügigkeit abgelehnter Asylbewerber hierzulande massiv einschränken. "Abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden können, müssen nach dänischem Vorbild in Rückkehrzentren bleiben", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung (Donnerstag).
Dänemark wird in der Debatte aktuell häufiger als Modell genannt. Die Sozialdemokraten in Dänemark haben sich selbst einen strikten Einwanderungskurs auf die Fahnen geschrieben und damit der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) ihr Topthema genommen. Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen eroberte mit dieser Strategie 2019 die Regierungsmacht und verbannte die Rechtspopulisten in die politische Peripherie. Frederiksens Strategie ist im Land allerdings umstritten. Die Regierungschefin fährt eine für sozialdemokratische Verhältnisse äußerst strenge Migrationslinie, bei der Dänemark an der Bevölkerung gemessen weniger Asylbewerber aufnimmt als die meisten anderen EU-Staaten.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg nannte fehlenden politischen Willen als eine Erklärung für Defizite in Deutschland. Einige europäische Nachbarländer zeigten dies. "Zur überfälligen Zeitenwende in der Migrationspolitik gehört, die Begrenzung von Zuwanderung als legitimes politisches Ziel anzuerkennen, und zwar im politischen Tagesgeschäft von Montag bis Samstag, nicht nur als Baustein in sonntäglichen Reden und Interviews", sagte Teuteberg der Deutschen Presse-Agentur. Auch rechtliche Änderungen seien kein Tabu, betonte die Abgeordnete aus Brandenburg.
AfD-Chefin Alice Weidel forderte unterdessen eine "Mittelmeer-Blockade", um Schlepperboote an der Überfahrt nach Europa zu hindern. Diese müssten ausnahmslos "mithilfe von Flotteneinsätzen" zur Rückkehr in den jeweiligen Ausgangshafen gezwungen werden, sagte sie am Donnerstag. Damit äußerte sich Weidel ähnlich wie zuvor die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die Rechtspolitikerin hatte vergangene Woche eine europäische Mission gefordert, um Boote auf dem Weg nach Europa zu stoppen.
Wie es auf europäischer Ebene nun weitergeht, ist offen. Das EU-Parlament blockiert die Verhandlungen über die Eurodac- und die Screening-Verordnung. Die Eurodac-Verordnung soll es leichter machen, mithilfe einer Datenbank mit Fingerabdrücken nachzuvollziehen, wo in Europa sich ein Asylbewerber vorher aufgehalten hat. Bei der Screening-Verordnung geht es vor allem um die Identifizierung von irregulär eingereisten Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Ob das Parlament durch die Blockade erreicht, dass die EU-Staaten zu einer Einigung bei der Krisenverordnung kommen, ist unklar, denn die Positionen liegen hier noch weit auseinander.
Der Vorschlag für die neue Krisenverordnung sieht etwa längere Fristen für die Registrierung von Asylgesuchen an den Außengrenzen vor, außerdem die Möglichkeit, Standards bei der Unterbringung und Versorgung zu senken. Die Bundesregierung befürchtet, dass die Standards zu sehr abgesenkt werden. Polen und Ungarn gehen die vorgeschlagenen Ausnahmevorschriften dagegen nicht weit genug.
Nächste Woche könnte möglicherweise Bewegung in die Sache kommen. Die EU-Innenminister treffen sich in Brüssel. Auf der Tagesordnung steht auch die Migrationspolitik.