KIEW (dpa-AFX) - Vor der geplanten Großoffensive gegen die russische Invasion hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Moskau eine Niederlage in dem Kampf vorhergesagt. "Russland wird diesen Krieg verlieren", sagte Selenskyj. "Der Feind weiß, dass die Ukraine gewinnen wird. Sie sehen das. Sie fühlen das dank unserer Schläge, Soldaten und vor allem in der Donbass-Region", sagte der Staatschef in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft am Montag.
Dennoch gab es auch in der Nacht zum Dienstag Berichten zufolge erneut landesweit Luftalarm in der Ukraine. In den frühen Morgenstunden waren in verschiedenen Bezirken der Hauptstadt Kiew heftige Explosionen zu hören, wie "Ukrajinska Prawda" berichtete. Laut Militärverwaltung und Bürgermeister Vitali Klitschko sei die Luftabwehr aktiviert worden, so das Internetportal. Im russischen Angriffskrieg verteidigt sich die Ukraine seit der Invasion vom 24. Februar 2022 gegen das Nachbarland.
Vorstöße der ukrainischen Truppen im Gebiet Donezk
Selenskyj lobte in seiner abendlichen Ansprache insbesondere Vorstöße der ukrainischen Truppen im Gebiet Donezk in Richtung der Stadt Bachmut, die Russland schon für erobert erklärt hatte. Die Erfolge dort seien die Nachrichten, auf die die Ukraine gewartet habe, sagte er. "Wir sehen, wie hysterisch Russland jeden unserer Schritte, jede Position, die wir einnehmen, beobachtet."
Dennoch weigere sich der Machtapparat in Moskau weiter, die Realität anzuerkennen. Russland versuche vielmehr, die Welt zu täuschen, Sanktionen zu umgehen und mehr Waffen zu produzieren.
Die Ukraine werde hingegen weitere Schritt unternehmen, um Russlands militärisches Potenzial zu schmälern, kündigte der Staatschef an. "Jeder in der Welt, der dem Terrorstaat hilft, Sanktionen auf die eine oder andere Weise zu umgehen; jeder in der Welt, der von Russland für die Lieferung von Waffen, Bauteilen und Ausrüstung benutzt wird, muss die ganze Wucht der freien Welt zu spüren bekommen", betonte er.
Selenskyj hatte am Montag auch den britischen Außenminister James Cleverly in Kiew getroffen und ihm für die militärische Unterstützung Londons gedankt. Vor allem die Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow, die eine große Reichweite haben, hätten sich als sehr effektiv an der Front erwiesen, meinte der Präsident.
Ukrainische Luftfahrtspezialisten nach Großbritannien aufgebrochen
Zudem bereitet sich Kiew auf die geplante Ausbildung ukrainischer Piloten in Großbritannien vor. Regierungschef Denys Schmyhal dankte London bei einem Treffen mit Cleverly "für die Bereitschaft, Piloten auszubilden". Die Männer dafür seien bereits ausgewählt. Der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Juri Ihnat, sagte "Ukrajinska Prawda", dass noch keine Piloten das Land verlassen hätten. "Die ersten Gruppen von Luftfahrtspezialisten sind aufgebrochen und prüfen die Möglichkeit einer weiteren Ausbildung ukrainischer Piloten."
Ihnat führte gegenüber "Ukrajinska Prawda" weiter aus, es gehe um eine Ausbildung in verschiedenen Stufen von Fachkräften, darunter Luftfahrtingenieure, die Flugzeuge täglich warten müssten, und Offiziere, die die Gefechtskontrolle hätten. Es gehe nicht nur um Piloten, sagte Ihnat. Präsident Selenskyj hatte zuletzt immer wieder von einer "Kampfjet-Koalition" gesprochen, an der sich mehrere Staaten beteiligen. Die Ukraine erhofft sich eine Lieferung von 48 Kampfjets des US-Typs F-16, um im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg die Hoheit über ihren Luftraum wiederzuerlangen.
Schmyhal lobte - wie zuvor auch Kiews Außenminister Dmytro Kuleba - bei dem Treffen mit Cleverly, dass London noch in diesem Monat eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine organisiere. Davon erhoffe man sich insbesondere Ressourcen für den Wiederaufbau. Cleverly, der im Kurznachrichtendienst Twitter auch ein Foto von seinem Treffen mit Selenskyj veröffentlichte, teilte mit: "Die Ukraine kann auf unsere Unterstützung zählen. So lange, wie es nötig sein wird".
Kremlfeindliche Kämpfer verkünden Einnahme russischer Ortschaft
Derweil kämpft Russland nicht nur in der Ukraine, sondern sieht sich auch mit massivem Beschuss und teilweisem Kontrollverlust in seiner Region Belgorod konfrontiert. Kremlfeindliche Rebellen brachten in der Region nach eigenen Angaben die Ortschaft Nowaja Tawolschanka komplett unter ihre Kontrolle.
Weil der russische Machtapparat sich nicht für das Schicksal der Region interessiere und die Lage nicht mehr im Griff habe, hätten sie nun das Handeln übernommen, teilte das Russische Freiwilligenkorps RDK am Montag mit. Nowaja Tawolschanka sei kein kleines Dorf, sondern ein Ort mit einst 5000 Einwohnern. "Jetzt ist er leer", sagte ein Bewaffneter auf einem Video. Der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, räumte nach tagelangem Beschuss des Gebiets indirekt ein, in dem Ort nicht mehr Herr der Lage zu sein.
In Nowaja Tawolschanka nahe der Stadt Schebekino könnten die noch verbliebenen 100 Menschen nicht gerettet werden, weil dort geschossen werde, sagte Gladkow in einem Video. Das Verteidigungsministerium in Moskau spricht von "Terroristen" und "Saboteuren", die von ukrainischer Seite mit Artillerie feuerten und teils auch in russisches Staatsgebiet eingedrungen seien. Das Ministerium hatte vorige Woche mitgeteilt, mehr als 120 Kämpfer und Militärtechnik "vernichtet" zu haben. Aus Moskau gab es zunächst keine Reaktion zur Lage in Nowaja Tawolschanka.
Die Kämpfer des Freiwilligenkorps, das aus russischen Nationalisten besteht, boten in dem bei Telegram veröffentlichten Video auch an, mit Vertretern des Machtapparats in Moskau zu sprechen, weil Gouverneur Gladkow selbst ohne Einfluss auf die Situation sei.
Das RDK kämpft nach eigenen Angaben für ein freies Russland. Die ukrainische Führung hatte zurückgewiesen, etwas direkt mit den Angriffen auf die russische Region zu tun zu haben. Im Gebiet Belgorod gab es durch das Feuer von ukrainischer Seite bereits mehrere Tote und Verletzte unter Zivilisten. Russland hatte seinen Krieg gegen die Ukraine 2022 auch vom Gebiet Belgorod aus begonnen.
Was am Dienstag wichtig wird
Im Osten der Ukraine wird erwartet, dass die Truppen Kiews dort ihre Offensivhandlungen in verschiedene Richtungen fortsetzen. Als Schwerpunkt gilt weiter die von russischen Truppen besetzte Stadt Bachmut. Die Ukraine will diese zurückerobern. In der russischen Region Belgorod ist indes die Lage wegen Beschusses von ukrainischer Seite gespannt.