Von Robert Zach
Investing.com - Mitte März war die Stimmung an den Märkten so schlecht wie selten zuvor. An eine Bodenbildung für die maßgeblichen Aktienindizes in den USA mochte man gar nicht erst denken. Mittlerweile hat sich die Stimmung aber wieder etwas aufgehellt und einige Investoren setzen daher auf eine unmittelbare oder baldige Talsohle, schließlich ist der S&P 500 ausgehend von seinen Tiefs am 23. März um mehr als 21 Prozent gestiegen. Allerdings gibt es an der Wall Street auch weiter viele mahnende Stimmen. Gestern hatten wir hierzu die Einschätzung von JP Morgan vorgestellt. Heute ist Goldman Sachs (NYSE:GS) dran, die zweitgrößte US-Investmentbank, die noch Mitte Februar vor einer Börsenkorrektur im Zuge der Coronavirus-Pandemie warnte. Und sie sollte recht behalten.
Gestern warnte David Kostin, Chef-Aktienstratege für den US-Markt bei Goldman Sachs, in einem Telefoninterview mit CNBC davor, dass "das Risiko (für die Aktienmärkte ausgehend vom aktuellen Stand) auf der Unterseite größer ist als die Chance auf der Oberseite".
Der wiederaufkeimende Optimismus der Anleger werde den von der Pandemie gebeutelten Aktienmarkt nicht zwangsläufig daran hindern, noch ein Stück weiter einbrechen zu lassen, warnte er.
"Es besteht eine gewisse Asymmetrie in Bezug auf das Abwärtsrisiko im S&P 500 auf ein Niveau von etwa 2.000 Punkte, das fast 25 Prozent unter dem aktuellen Kurs liegt, und ein Aufwärtspotenzial von etwa 10 Prozent auf ein Jahresendziel von 3.000", erklärte Kostin.
Der Aktienstratege verglich die Situation mit der Finanzkrise 2008. Anleger sollten sich an diese Phase zurückerinnern, schließlich zeigte sich der Markt vor 12 Jahren über mehrere Monate hinweg extrem volatil, mit brutalen Auf- und Abschwüngen, bevor er am 9. März 2009 nachhaltig seine Talsohle durchschritt.
"Ich erinnere nur daran, dass es 2008 im vierten Quartal zahlreiche Rallyes gab - ich nenne sie Bärenmarktrallyes - die den Markt ein paar Mal um fast 20 Prozent nach oben schießen ließen, aber die Talsohle wurde erst im März 2009 erreicht".
Allerdings hinken die Vergleiche mit der Finanzkrise von 2008 etwas. Schließlich haben die Zentralbanken und Regierungen diesmal so schnell und entschlossen reagiert, wie noch nie in der Vergangenheit. Peter Oppenheimer, globaler Chef-Aktienstratege bei Goldman Sachs, schrieb in einer täglichen Notiz, dass "die Federal Reserve innerhalb von rund drei Wochen mehr Maßnahmen beschlossen hat als während der gesamten Finanzkrise 2008". Auch erwerbe die Europäische Zentralbank (EZB) in einem "noch nie dagewesenen Tempo Staats- und Unternehmensanleihen", um die Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten, zumal auch die Banken rasch günstige Liquidität zur Verfügung gestellt bekommen, "und zwar in einer Weise, wie es sie während der GFC- oder Staatskrise nicht gab", so der Experte.
Hinzu kommt, dass der gegenwärtige Schock weder systemisch sei, wie während der Finanzkrise, noch so schlimm wie die Staatsschuldenkrise im Hinblick auf die existenziellen Risiken für das europäische Projekt, argumentierte er. "Es ist möglich, dass es, wenn die Lockdowns schließlich zurückgefahren werden, zu einer relativ V-förmigen Konjunkturerholung kommt", schrieb er in der Notiz.
Derweil betonten die Analysten der US-amerikanischen Großbank Citigroup (NYSE:C), dass die Rallye an der Wall Street nichts weiter als ein "Nachbeben" auf die massiven Kursverluste der letzten Wochen gewesen sei, zumal diese Bewegung ohne signifikanten Umsatzanstieg und irgendwelchen Garantien für ein Ende des Virus-Ausbruchs einherging.
Jimmy Conway, Leiter EMEA-Aktienstrategie bei Citigroup Global Markets, sagte am Dienstag in einem CNBC-Interview, dass es bei der Bekanntgabe der Unternehmensgewinne wahrscheinlich "ziemlich miese" Cashflow-Zahlen hageln werde, die der Markt derzeit noch nicht einmal berücksichtigt habe.
Bevor Conway wieder in den Bullenmodus schaltet, wolle er Aufwärtsrevisionen von Schätzungen für Unternehmensgewinne sehen. Sobald die Aktienmärkte an einem Tag um mehr als 7 Prozent in die Höhe springen, sollte man in den Markt hereinzoomen und sich genau anschauen, was jede einzelne Aktie derzeit bewegt, riet er den Zuschauern.
Neben Aufwärtsrevisionen von Schätzungen für Unternehmensgewinne sei auch die Entwicklung eines Coronavirus-Impfstoffes ein zentraler Aspekt, der eine nachhaltige Erholung an den Aktienmärkten triggern könnte, nach dem schlechtesten Quartal seit dem vierten Jahresviertel 1987 für den Dow Jones, der in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres 23 Prozent eingebüßt hatte.
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