Frankfurt (Reuters) - An Europas Börsen macht sich nach der Impfstoff-Euphorie zunehmend Ernüchterung breit.
Die weiter steigenden Corona-Neuinfektionen dienten als Erinnerung daran, dass die Pandemie noch längst nicht ausgestanden sei, sagte Milan Cutkovic, Marktanalyst beim Brokerhaus AxiTrader. Der Dax gab am Donnerstagvormittag 0,5 Prozent nach auf 13.150 Punkte, der EuroStoxx50 verlor 0,4 Prozent auf 3452 Zähler.
Zwar konnten viele Unternehmen im dritten Quartal die Verluste aus dem von der ersten Corona-Welle geprägten Frühjahr wieder ein Stück weit aufholen. Dennoch dürften die Folgen der Kirse noch lange zu spüren sein - auch wenn das Virus irgendwann mit Impfstoffen und guten Behandlungsmöglichkeiten besiegt sein dürfte. Das Münchner Ifo-Institut macht die Zurückhaltung bei den Investitionen dafür verantwortlich. Während sich derzeit arg gebeutelte Branchen wie Tourismus oder Gastronomie relativ rasch wieder berappeln dürften, könnten in der Industrie Produktionskapazitäten auch dauerhaft wegfallen, schrieben die Experten.
Sichere Häfen waren in dem Zusammennhang gefragt: Die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihen sank im Gegenzug auf minus 0,525 Prozent von 0,504 Prozent am Vortag. Auch bei US-Papieren gaben sich Anleger mit niedrigeren Zinsen zufrieden, hier sank die Rendite auf 0,931 von 0,989 Prozent. Gold verteuerte sich um 0,4 Prozent auf 1872,46 Dollar je Feinunze (31 Gramm). Auf Wochensicht hat es dennoch mehr als vier Prozent nachgegeben. “Die Goldhändler versuchen, einen Ausgleich zu schaffen zwischen guten Impfstoff-Nachrichten und einer steigenden Zahl von Corona-Infektionen weltweit”, sagte Margaret Yang, Strategin bei DailyFX. “Ich denke nicht, dass Notenbanken und Reigerungen ihre Hilfsprogramme zurückfahren, bevor die Pandemie vollständig unter Kontrolle ist.”
Das britische Pfund litt unter den trüben Konjunkturaussichten. Es verlor 0,3 Prozent auf 1,1385 Dollar beziehungsweise 0,5 Prozent auf 1,1164 Euro. Die britische Wirtschaft schaffte im Sommer zwar ein Rekordwachstum von 15,5 Prozent. Die Aussichten sind allerdings trübe - zum einen wegen des erneuten Lockdowns, zum anderen durch den drohenden harten Brexit am Jahresende. “Die schwächeren Wachstumszahlen sind ein Realitätscheck für den Markt”, sagte Sam Coper, Experte bei der Silicon Valley Bank.
BANKAKTIEN UND REISEWERTE IM SINKFLUG
Abwärts ging es für Bankaktien oder Tourismuswerte, nachdem beide Sektoren zuletzt kräftige Gewinne nach der Erfolgsmeldung zu dem Corona-Impfstoff verbuchen konnten. “Die Märkte sortieren sich neu und ziehen in Betracht, dass es noch Monate dauern dürfte, bis ein Impfstoff massenhaft zur Verfügung steht”, schrieben die Mizuho-Analysten. Vor allem die Reisebranche hofft, dass mit der Einführung des Impfstoffs das Geschäft wieder anlaufen kann.
Die Aktien von Siemens (DE:SIEGn) waren das Schlusslicht im Dax und gaben bis zu 4,8 Prozent nach. Einige Anleger machten wegen eines zurückhaltenden Ausblicks Kasse. Der für das angelaufene Geschäftsjahr 2020/2021 angepeilte Gewinnanstieg im oberen einstelligen Prozentbereich liege zehn Prozent unter den Markterwartungen, erläuterte Analyst Simon Toennessen von der Investmentbank Jefferies. Dies könne jedoch teilweise durch Wechselkurs-Belastungen erklärt werden. Außerdem sei Siemens für konservative Ausblicke bekannt.