Investing.com - Trotz der Zusicherung der Federal Reserve (Fed), die Zinsen wohl noch sehr lange tief halten zu wollen, schoss die Rendite der US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren am Donnerstag auf bis zu 1,74 Prozent.
Die richtungweisenden zehnjährigen US-Staatspapiere rentierten gegen 11.35 Uhr MEZ gut 8 Basispunkte höher auf 1,722 Prozent. Über vier Basispunkte nach oben ging es auch für die Rendite der Longbonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Wenn die Rendite einer Staatsanleihe steigt, sinkt der Kurs dieser Anleihe.
Nach Abschluss der zweitägigen Fed-Sitzung am Mittwoch erhöhte die Zentralbank ihr Wachstumsprognosen für das Jahr 2021 auf 6,5 Prozent. Dies liegt über dem im Dezember prognostizierten BIP-Anstieg von 4,2 Prozent.
Zusammen mit dem BIP-Anstieg prognostizieren die Ausschussmitglieder einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf 4,5 Prozent von derzeit 6,2 Prozent. Zum Vergleich: Im Dezember hatten die FOMC-Mitglieder noch mit 5 Prozent gerechnet.
Die Fed erwartet außerdem, dass die Kerninflation in diesem Jahr auf 2,2 Prozent anzieht, aber sich auf lange Sicht im Bereich von 2 Prozent einpendeln wird.
Gleichzeitig deutete die US-Notenbank an, dass sie bis mindestens Ende 2023 mit keiner Zinserhöhung plane und ihr Anleihekaufprogramm im Volumen von mindestens 120 Milliarden Dollar monatlich unverändert fortsetzen werde.
"Die Botschaft bleibt: die Fed wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um einen reibungslosen Aufschwung zu gewährleisten", schrieb die ING (AS:INGA) in einer Notiz am Donnerstagabend. "Sie [die Fed] ist der Meinung, dass sie sich in Geduld üben kann, bevor sie den Stimulus zurückfährt."
Angesichts der positiven Wirtschaftsprognosen und dem seit Dezember gut laufenden Impfprogramm in den USA, was die Aussichten am Arbeitsmarkt aufhellt, erwartet die ING auf der Juni-Sitzung des FOMC - wo auch ein neues Set an Projektionen veröffentlicht wird - eine "bedeutendere Änderung in der Fed-Rhetorik".
"Zu diesem Zeitpunkt erwarten wir, dass die Mehrheit der Fed-Vertreter eine Zinserhöhung im Jahr 2023 signalisieren wird, was die Tür für ein Tapering der Anleihekäufe ab Dezember öffnen könnte."
"Solche Überlegungen würden wahrscheinlich den Aufwärtsdruck auf die Treasury-Renditen verstärken und könnten ein weiteres 'Taper Tantrum' nach sich ziehen, aber die Wirtschaft sollte bis dahin in einer viel besseren Verfassung sein, um ein solches Szenario zu bewältigen."
Fed-Chef Jerome Powell bekräftigte auf seiner Pressekonferenz, dass die Währungshüter erst Inflationsraten über dem Zielwert von 2 Prozent und eine signifikante Erholung am US-Arbeitsmarkt sehen wollen, bevor sie Änderungen beim Leitzinsniveau oder den monatlichen Anleihekäufen ins Auge fassen.
Markus Fugmann, Börsenkommentator bei finanzmarktwelt, interpretierte den Auftritt des Notenbankchefs als "dovishen Tsunami": "Die Fed, vor allem aber der ultradovisher Jerome Powell, versucht den Märkten zu sagen: macht euch keine Sorgen wegen der Inflation, wir haben alles im Griff. Aber die Märkte sagen der Fed bereits heute morgen: ihr habt nichts im Griff, die Inflation wird heftig werden, ihr seid hinter der Kurve!"
Dies spiegelt sich am Donnerstagmorgen in den steigenden Anleiherenditen in den USA wider, wo die Langläufer neue Zwischenhochs erreichen. Zudem liegt der Zinsspread zwischen zwei- und zehnjährigen Anleiherenditen der USA auf den höchsten Stand seit 2015.
Die Fondsmanager bei apano begründen den Renditeanstieg heute Morgen mit der Tatsache, dass "Powell keine Switch-Operationen von kurz- in langfristige Anleihen angekündigt hatte, was manche Marktteilnehmer für zumindest denkbar hielten."
Um den Renditeanstieg der Langläufer zu bremsen, gab es zuletzt Gerüchte über eine neue "Operation Twist", eine unkonventionelle Maßnahme, mit der die Notenbank die langfristigen Zinsen in den USA senken kann. So könnte sie aus ihren Beständen Staatsanleihen mit einer kurzen Laufzeit verkaufen. Im Gegenzug dazu könnte die Fed Staatsanleihen mit langer Laufzeit kaufen. Mit einem solchen Schritt würde die Notenbank die Kurse langlaufender Staatsanleihen nach oben treiben, was im Gegenzug dann deren Renditen sinken lässt.
Powell zufolge bestehe derzeit jedoch keine Notwendigkeit, auf die steigenden Renditen der US-Staatsanleihen zu reagieren.
Die ING glaubt, dass die Entscheidung der Federal Reserve, vorerst keine Maßnahmen zu ergreifen, das hintere Ende der Kurve größtenteils ungeschützt zurücklasse. Zwar bleibe die Geldpolitik der US-Notenbank sehr akkommodierend ausgerichtet, aber sie habe dem Renditeanstieg auch keine echten Steine in den Weg gelegt, weshalb höhere 10-jährige Renditen in den kommenden Wochen keine Überraschung darstellen würden, so die Experten.