Eine der bekanntesten Bewertungskennzahlen ist das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis (CAPE) von Dr. Robert Shiller. Bewertungen waren und bleiben ein entscheidender Faktor für langfristige Anlageerträge. Oder, wie Warren Buffett es treffend formulierte:
„Der Preis ist das, was man bezahlt. Wert ist das, was man bekommt.“
Ein typisches Merkmal der späten Phase eines Bullenmarktes ist die wachsende Skepsis gegenüber langfristigen Bewertungsmaßstäben. In den späten 90er-Jahren galt der Kauf von Berkshire Hathaway-Aktien als altmodisch – fast so, als würde man "Dads alten Pontiac" fahren. 2007 wurden Bewertungsmetriken weitgehend ignoriert, weil Märkte mit Liquidität überflutet wurden, die Zinsen niedrig waren und das "Subprime-Problem unter Kontrolle" schien.
Auch heute finden sich immer neue Argumente, warum "dieses Mal alles anders" sei – nicht zuletzt, weil viele Anleger darauf vertrauen, dass die Fed im Ernstfall wieder eingreift, um die Märkte zu stabilisieren. Und man kann es ihnen nicht verübeln: Seit der Finanzkrise hat sich dieses Muster immer wieder bestätigt.
Fakt ist jedoch, dass die aktuellen Bewertungen deutlich überhöht sind – ein Aspekt, den man nicht einfach ausblenden kann.
Es gibt jedoch zwei zentrale Punkte, die wir in Bezug auf Bewertungen verstehen müssen:
- Bewertungen sind kein unmittelbarer Auslöser für eine Rückkehr zum Mittelwert.
- Bewertungen sind ein schlechter Indikator für Markt-Timing.
Trotzdem übersehen viele Anleger die entscheidenden Aspekte von Bewertungen.
Langfristig sind sie ein verlässlicher Indikator für die Rendite über Zeiträume von 10 bis 20 Jahren. Gleichzeitig liefern sie den „Treibstoff“ für Ereignisse, die letztlich zur Rückkehr zum Mittelwert führen.
Kritiker weisen darauf hin, dass die Bewertungen bereits seit längerer Zeit hoch sind, ohne dass es zu einer Marktumkehr gekommen ist. Doch wie bereits erwähnt: Bewertungsmodelle sind keine zuverlässigen Instrumente für Markt-Timing.
Viele Analysten neigen dazu, zu glauben, dass ein bestimmtes Bewertungsniveau – sei es beim Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Umsatz-Verhältnis (K/U) oder Kurs-Buchwert-Verhältnis (KB) – automatisch zwei Dinge bedeutet:
- Der Markt steht kurz vor einem Absturz.
- Anleger sollten ihr gesamtes Kapital in Bargeld umschichten.
Beides ist jedoch ein Trugschluss.
Bewertungen spiegeln die Stimmung wider
Bewertungskennzahlen sind genau das, was ihr Name sagt – eine Momentaufnahme der aktuellen Bewertung. Vielmehr sind sie jedoch auch ein Spiegel der Anlegerpsychologie und ein Ausdruck der "Bigger Fool Theory" (Theorie des größten Trottels).
Genau deshalb gibt es eine enge Korrelation zwischen den zurückliegenden Einjahres-Bewertungen und dem Vertrauen der Anleger in weiter steigende Aktienkurse. Je optimistischer die Marktstimmung, desto höher die Bewertungen – und umgekehrt.
Was Bewertungen ausdrücken, sollte eigentlich offensichtlich sein: Wer heute zu viel bezahlt, muss sich auf niedrigere zukünftige Erträge einstellen, als wenn er zu einem günstigeren Preis eingestiegen wäre.
Cliff Asness von AQR hat diesen Zusammenhang treffend beschrieben:
„Der Zehnjahresdurchschnitt der Renditen sinkt nahezu monoton, wenn das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis steigt. Und je höher dieses Verhältnis ist, desto schlechter werden die ungünstigsten Fälle und desto schwächer fallen die besten aus.
Liegt das Shiller-KGV heute bei 22,2 und erfordert Ihr langfristiger Finanzplan eine nominale Rendite von 10 % (oder inflationsbereinigt etwa 7–8 %), dann setzen Sie darauf, dass sich der historisch beste Fall wiederholt – und hoffen auf ein Szenario, das bei diesen Bewertungen weit über dem Durchschnitt liegt.“
Diesen Zusammenhang können wir anhand historischer Daten überprüfen – indem wir die erwarteten 10-Jahres-Gesamtrenditen mit verschiedenen Bewertungsniveaus in der Vergangenheit vergleichen.
Asness führt weiter aus:
„Das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis (CAPE) von Professor Robert Shiller ist für Markt-Timing nur bedingt geeignet (zumindest für sich allein betrachtet), und selbst über Jahrzehnte hinweg bleiben seine Prognosen von erheblichen Schwankungen betroffen. Doch wenn man seine Erwartungen nicht anpasst, obwohl das Shiller-KGV ohne stichhaltigen Grund auf einem hohen Niveau steht – und meiner Meinung nach haben die Kritiker dieses Mal keinen überzeugenden Grund geliefert – dann begeht man einen Fehler.“
Wenn das Shiller-CAPE also langfristige Renditen mit erheblicher Verzögerung prognostiziert – gibt es möglicherweise eine präzisere Kennzahl?
Die Fliege in der CAPE-Suppe
Wie bereits erwähnt, sind Bewertungen ein wichtiger Indikator für langfristige Renditen. Allerdings hat die zunehmend kürzere Haltedauer von Aktien zu einer Diskrepanz zwischen Bewertungen und Erwartungen geführt. Zudem haben die tiefgreifenden Veränderungen im Finanzsystem seit 2008 die Frage aufgeworfen, ob ein 10-Jahres-Durchschnitt zur Glättung der Ertragsvolatilität möglicherweise zu lang ist.
Diese Veränderungen umfassen unter anderem:
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Lockerung der Bilanzierungsregeln: Anfang 2009 wurde die FASB-Regel 157 vorübergehend aufgehoben, um Banken zu ermöglichen, illiquide Vermögenswerte – etwa Immobilien oder hypothekenbesicherte Wertpapiere – nicht mehr zwingend zum zuletzt erzielten Marktpreis, sondern zu einem von ihnen als angemessen erachteten Wert zu bilanzieren. Diese Maßnahme sollte die Zahlungsfähigkeit der Banken stützen, die andernfalls Milliarden an Vermögenswerten hätten abschreiben müssen. Das führte zu optisch verbesserten Erträgen, die in einer strengeren Bilanzierung möglicherweise geringer ausgefallen wären. Die „vorübergehende“ Aufhebung dieser Regel ist bis heute in Kraft und trägt weiterhin zu einer verzerrten Ertragsdarstellung bei.
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Außerbilanzielle Zweckgesellschaften: Der massive Einsatz solcher Strukturen hilft Unternehmen, ihre tatsächliche Verschuldung zu verschleiern und den Verschuldungsgrad künstlich niedrig zu halten – was wiederum die Ertragslage geschönter erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit ist.
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Kosmetische Ertragssteigerungen: Unternehmen setzen verstärkt auf Kostensenkungen, Produktivitätssteigerungen, Offshoring von Arbeitskräften und andere Maßnahmen, um ihre Erträge zu optimieren – oft ohne ein signifikantes Umsatzwachstum.
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Aktienrückkäufe: Unternehmen haben in großem Stil eigene Aktien zurückgekauft, um die Anzahl der ausstehenden Anteile zu reduzieren. Dadurch steigt der Gewinn pro Aktie (EPS), selbst wenn das Umsatzwachstum moderat bleibt.
Besonders der letzte Punkt hat in den vergangenen 15 Jahren eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung hoher Bewertungen gespielt. Wie bereits in „Gewinnschätzungen sind zu optimistisch“ erläutert, haben Aktienrückkäufe die Ertragskennzahlen verbessert, obwohl das tatsächliche Umsatzwachstum vergleichsweise schwach war.
Ein Blick auf die Auswirkungen von Rückkäufen
Seit 2009 ist der Gewinn pro Aktie (EPS) von Unternehmen um 676 % gestiegen – der stärkste Anstieg des ausgewiesenen EPS nach einer Rezession in der Geschichte. Allerdings liegt dieser Zuwachs nicht an einem entsprechend starken Umsatzwachstum.
Tatsächlich sind die Umsätze aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen im gleichen Zeitraum lediglich um 129 % gestiegen. (Da die Umsätze in der Erfolgsrechnung ganz oben stehen, wären sie normalerweise der Haupttreiber für Gewinnwachstum.)
Wie bereits erwähnt, lassen sich rund 75 % dieses Gewinnanstiegs jedoch nicht auf organisches Wachstum zurückführen, sondern auf Aktienrückkäufe, bilanzielle Anpassungen und Kostensenkungen.
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Der verstärkte Einsatz von Aktienrückkäufen, um den Gewinn pro Aktie künstlich zu steigern, trägt erheblich zur Verzerrung langfristiger Bewertungskennzahlen bei. Bereits 2012 berichtete das Wall Street Journal über dieses Phänomen:
„Einer aktuellen wissenschaftlichen Studie zufolge hat jeder fünfte (20 %) US-Finanzchef an den Gewinnen seines Unternehmens manipulativ herumgeschraubt.“
Diese Erkenntnis dürfte kaum überraschen – schließlich ist es ein „offenes Geheimnis“, dass Unternehmen ihre Ergebnisse durch bilanzielle Anpassungen beeinflussen. Dabei kommen unter anderem Rückstellungen, Rechnungsabgrenzungen und andere buchhalterische Kniffe zum Einsatz, um Gewinne entweder künstlich zu steigern oder in bestimmten Quartalen zu dämpfen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass selbst CFOs den Einfluss dieser Praktiken auf die berichteten Unternehmensgewinne als erheblich einschätzen. Auf die Frage nach dem Ausmaß der Gewinnverzerrung gaben die Befragten an, dass diese im Schnitt etwa 10 % des Gewinns pro Aktie (EPS) ausmacht.
Es ist wenig überraschend, dass 93 % der befragten CFOs angaben, dass der Einfluss auf den Aktienkurs und externer Druck die Hauptgründe für die Manipulation von Ertragszahlen sind.
Diese bilanztechnischen Anpassungen haben jedoch weitreichende Folgen: Sie verzerren nicht nur das Bild der tatsächlichen Ertragskraft eines Unternehmens, sondern beeinflussen auch die Bewertungskennzahlen. Insbesondere das Shiller-KGV (CAPE) wird dadurch verfälscht, da der "E"-Faktor (Earnings/Gewinne) künstlich aufgebläht wird.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen den Laufzeiten.
Laufzeit-Inkongruenzen
Betrachten wir das einmal aus einer anderen Perspektive. Beim Aufbau eines Portfolios mit festverzinslichen Wertpapieren gehört eine Laufzeit-Inkongruenz zu den größten Risiken.
Angenommen, jemand kauft eine Anleihe mit einer Laufzeit von 20 Jahren, benötigt das investierte Kapital jedoch bereits nach 10 Jahren. Da festverzinsliche Wertpapiere primär dem Kapitalerhalt und der Erzielung von Erträgen dienen, ist eine Übereinstimmung der Laufzeit mit dem Anlagehorizont entscheidend. Steigen die Zinsen zwischen dem Kaufzeitpunkt und dem vorzeitigen Verkauf 10 Jahre vor Fälligkeit, führt dies zu einem Kapitalverlust.
Ein ähnliches Argument lässt sich auch auf die Finanzmärkte übertragen:
Angesichts der gestiegenen Marktgeschwindigkeit, kürzeren Konjunkturzyklen und der erhöhten Liquidität besteht eine potenzielle Laufzeit-Inkongruenz zwischen Shillers 10-Jahres-CAPE und den aktuellen Marktbedingungen.
Die folgende Grafik veranschaulicht diesen Zusammenhang, indem sie das jährliche Kurs-Gewinn-Verhältnis mit dem inflationsbereinigten (realen) S&P 500 Index vergleicht.
Wie in der Grafik zu erkennen ist, tendieren die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (P/E) während längerer Bärenmarktphasen (schattierte Bereiche) dazu, rückläufig zu sein. Diese "Bewertungskompression" ist ein natürlicher Bestandteil des Konjunkturzyklus, da sich überbewertete Märkte langfristig wieder ihrem Mittelwert annähern.
Ein weiteres Muster lässt sich erkennen: Während dieser Phasen bewegen sich die Marktpreise häufig seitwärts, begleitet von einer erhöhten Volatilität.
Seit der Jahrhundertwende haben die Schwankungen der Bewertungen jedoch deutlich zugenommen. Genau das ist eines der zentralen Argumente gegen die Nutzung des 10-Jahres-CAPE-Ratios von Dr. Shiller als Bewertungsmaßstab für die heutigen Märkte.
Doch gibt es eine bessere Alternative?
Einführung des CAPE-5-Verhältnisses
Um den zugrunde liegenden Bewertungstrend besser zu erfassen, ist eine Glättung der Ertragsvolatilität erforderlich. Historisch betrachtet war es vor allem in Phasen der Bewertungsexpansion, in denen Anleger in den letzten 125 Jahren die höchsten Gewinne an den Finanzmärkten erzielt haben.
Umgekehrt sind die Renditen während Phasen der Bewertungskompression deutlich volatiler und tendenziell gedämpfter.
Um die potenzielle Laufzeit-Inkongruenz eines immer dynamischeren Marktumfelds auszugleichen, habe ich das CAPE-Verhältnis mit einem 5-Jahres-Durchschnitt neu berechnet. Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse dieser Anpassung.
Es besteht eine starke Korrelation zwischen den Bewegungen des CAPE-5-Verhältnisses und dem S&P 500 Index. Vor 1950 verliefen die Bewertungsbewegungen weitgehend parallel zum Gesamtmarkt, da Preisveränderungen der Haupttreiber der Bewertungskennzahlen waren.
Nach 1950 änderte sich dieses Muster. Mit dem stärkeren Gewinnwachstum wurde die Entwicklung der Marktpreise weniger dominant. Dadurch begann das CAPE-5-Verhältnis, Veränderungen der Marktpreise vorwegzunehmen, anstatt ihnen nur zu folgen.
Seitdem gilt ein Rückgang des CAPE-5-Verhältnisses als ein wichtiges Warnsignal für Anleger, da er in der Vergangenheit häufig mit Marktrückgängen einherging. Der jüngste Rückgang des CAPE-5 steht in direktem Zusammenhang mit dem Zusammentreffen von Inflation und geldpolitischer Straffung infolge steigender Zinssätze.
Die weit verbreitete Annahme, dass „diesmal alles anders sein könnte“, wird sich jedoch vermutlich als trügerisch erweisen – insbesondere, wenn das CAPE-5-Verhältnis seine übliche Rückkehrbewegung einleitet.
Die Bedeutung der Abweichung
Um ein besseres Verständnis für das aktuelle Bewertungsniveau zu erhalten, kann es hilfreich sein, die Abweichung zwischen den aktuellen Bewertungen und ihrem langfristigen Durchschnitt zu analysieren.
Dabei ist es entscheidend, die Bedeutung dieser Abweichung zu verstehen: Ein Durchschnitt setzt voraus, dass die Bewertungen historisch sowohl über als auch unter diesem Durchschnitt gelegen haben. Über längere Zeiträume hinweg entfaltet dieser Durchschnitt eine schwerkraftähnliche Wirkung auf die Bewertungen – je größer die Abweichung, desto stärker die spätere Rückkehr zum Mittelwert.
Die folgende Abbildung zeigt die prozentuale Abweichung des CAPE-5-Verhältnisses vom langfristigen Durchschnitt, basierend auf Daten, die bis 1900 zurückreichen.
Derzeit liegt die Abweichung des CAPE-5-Verhältnisses 107,01 % über dem langfristigen Durchschnitt von 15,86-fachem Ertrag. Damit bewegen sich die Bewertungen auf einem Niveau, das in der gesamten Geschichte nur zwei Mal erreicht wurde.
Wie bereits erwähnt, hofft man oft, dass „diesmal alles anders sein wird“. Doch genau diese Worte fielen in den fünf vergleichbaren Phasen der Vergangenheit immer wieder – mit bekanntlich wenig optimalen Ergebnissen.
Allerdings haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg wesentliche wirtschaftliche Faktoren verändert – darunter Wohlstand, Produktionskapazitäten und Produktivität. Deshalb ist es sinnvoll, sich bei der Analyse auf den Zeitraum von 1944 bis heute zu konzentrieren.
Wie bereits in der langfristigen Betrachtung zu sehen war, liegt die aktuelle Abweichung des CAPE-5 90,15 % über dem durchschnittlichen Nachkriegsniveau von 17,27-fachem Ertrag. Eine derart starke Abweichung trat in den vergangenen 80 Jahren nur zweimal auf: 1996 und 2021. Und wie schon zuvor erwies sich die darauffolgende Marktumkehr für Anleger als wenig erfreulich.
Fazit
Ist das CAPE-5 eine bessere Bewertungskennzahl als das CAPE-10 von Shiller? Vielleicht – da es sich schneller an ein sich wandelndes Marktumfeld anpasst.
Allerdings ist es wichtig zu betonen: Weder das CAPE-10 noch das CAPE-5 wurden jemals als Indikatoren für Markt-Timing konzipiert.
Bewertungen bestimmen die zukünftigen Renditen. Ihr einziger Zweck besteht darin, Phasen mit außergewöhnlich hohem Investitionsrisiko zu identifizieren – Zeiträume, in denen die erwarteten Renditen deutlich unterdurchschnittlich ausfallen.
Aktuell zeigen die Bewertungskennzahlen eindeutig, dass die zukünftigen Marktrenditen voraussichtlich deutlich niedriger sein werden als in den vergangenen 15 Jahren. Wer also davon ausgeht, dass die Märkte in den kommenden zehn Jahren weiterhin jährliche Renditen von 12 % liefern werden, um beispielsweise die eigenen Ruhestandsziele zu erreichen, könnte vor einer bitteren Enttäuschung stehen.