Eine alte Börsianer-Weisheit empfiehlt, im Mai Aktien zu verkaufen und dann erst einmal nichts zu tun.
Historische Betrachtungen belegen, dass die Sommermonate des Marktes die schwächsten des Jahres sind. So lässt sich statistisch nachweisen, dass 10.000 Dollar, die von November bis April in den Markt investiert werden, viel mehr bringen als von Mai bis Oktober.
Interessanterweise sind die maximalen Drawdowns während der „Sell In May“-Phase deutlich größer. Heftige Marktrücksetzer in dieser Periode fanden bisher im Oktober 1929, 1987 und 2008 statt.
Aber nicht jeder Sommer verläuft so schlecht. In der Vergangenheit gab es auch viele Zeiträume, in denen „Sell in May" nicht funktionierte und die Märkte anzogen. Die Jahre 2020 und 2021 sind Paradebeispiele dafür, wie die massiven Interventionen der Fed die Kurse im April und in den folgenden Sommermonaten in die Höhe getrieben haben. 2022 war jedoch das Gegenteil der Fall, denn der April war stark rückläufig, da die Fed im Vormonat mit ihrem aggressiven Zinserhöhungszyklus begonnen hatte.
Wird 2023 wieder ein Jahr sein, in dem das so genannte „Sell In May“ funktioniert? Natürlich kennt niemand die Antwort darauf - jedoch legen die statistischen Daten der Vergangenheit, die aktuellen Konjunkturindikatoren und die technischen Indikatoren eine gewisse Vorsicht nahe.
Umkehr der Liquidität
Bevor wir erörtern, wo wir derzeit stehen, ist ein kurzer Rückblick auf unserer vorangegangene Analyse erforderlich, um den Kontext zu verstehen.
Wir haben bereits erörtert, dass die Korrektur nach der starken Januar-Rallye wahrscheinlich im Februar begonnen hatte.
„In den nächsten Wochen wird der "Pain-Trade" wahrscheinlich gen Süden laufen, da die Korrektur anhält. Gelingt es den Bullen, diesen Kampf zu gewinnen, dann werden diese kritischen Unterstützungsniveaus halten. Wenn nicht, werden wir aller Voraussicht nach einen noch tieferen Rückgang erleben, da die bärischen Fundamentaldaten die Oberhand gewinnen.“
Die Bären übernahmen tatsächlich die Kontrolle, und die Märkte rutschten bis Mitte März ab. Wir haben dann diesen Beitrag veröffentlicht.
„Nach diesen Kaufsignalen sollten die Anleger ihr Aktienengagement jedoch leicht erhöhen. In den nächsten zwei Wochen bis zwei Monaten dürften die Aktienkurse weiter zulegen. Wie man sieht, liegt das wahrscheinlichste Ziel für den S&P 500 bei 4200, bevor er auf größeren Widerstand stößt und ein angemessenes Niveau erreicht, um Gewinne mitzunehmen und das Risiko wieder zu reduzieren.“
Obwohl der Markt die Marke von 4200 Punkten nicht erreicht hat, kam er ihr nahe und wurde in der Spitze mit einem Intraday-Hoch von 4168 Punkten gehandelt.
Eine weitere Stütze für diese Rallye war die Rettungsaktion der Fed für die Banken nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (OTC:SIVBQ). Wie schon in diesem Beitrag dargelegt, waren diese Kredite an die Banken technisch gesehen kein QE. Aus der Sicht des Marktes wirkte die Bilanzausweitung der Fed jedoch wie „das Läuten der Pawlowschen Glocke.“
„Eine andere Betrachtungsweise ist die Liquiditätsmessung der Fed-Bilanz, abzüglich des Treasury General Account TGA (das allgemeine Kontos des Schatzamtes) und abzüglich des Reserveprogramms der Fed. Diese kombinierte Maßnahme ist mit den Veränderungen auf dem Markt positiv korreliert.“
Wir haben das nachstehende Schaubild seit diesem Bericht mit Anmerkungen versehen und aktualisiert. Angesichts der historischen Korrelation zwischen dem Liquiditätsindex und dem S&P 500 überrascht es nicht, dass der Markt auf den Liquiditätsanstieg reagierte. Wir nähern uns dem „Sell-May“-Zeitraum und dieser Liquiditätsindex ist nun rückläufig. Er wird wahrscheinlich auch weiter fallen, während das Finanzministerium und die Regierung um die bevorstehende Schuldenobergrenze ringen.
Wie bereits erwähnt - es deutet nicht nur der Liquiditätsumschwung darauf hin, dass es ratsam sein könnte, den Mai zu verkaufen. Auch die technischen und wirtschaftlichen Signale erzählen eine ähnliche Geschichte.
Indikatoren mahnen zur Vorsicht
Im letzten Bull Bear-Bericht habe ich diskutiert, dass viele Indikatoren zweifellos besorgniserregend sind und eine offizielle Rezession wahrscheinlich ist. Die Inversion des Fed-Funds-Satzes gegenüber der 10-jährigen Treasury-Note ist so groß wie seit 1986 nicht mehr (etwa 10 Monate vor dem Börsencrash 1987.)
Darüber hinaus zeigte die jüngste Veröffentlichung des Philadelphia Federal Reserve Manufacturing Index einen drastischen Einbruch der Stimmung, der auf eine stärkere Korrektur hindeutet, als sich derzeit aus den Gewinnen ablesen lässt. In der Vergangenheit waren solch niedrige Werte des „Philly Fed“-Index mit härteren und nicht mit milderen Rezessionen verknüpft.
Kurzfristig ist es jedoch die technische Entwicklung der Preise, der wir die größte Aufmerksamkeit schenken, da die Kursentwicklung die Psychologie des Marktes widerspiegelt. Die technischen Indikatoren waren nämlich die Hauptgründe dafür, dass das Engagement an den Märkten im Februar reduziert und im März wieder erhöht wurde. Die vertikalen Linien stellen die einzelnen Kauf- und Verkaufssignale des letzten Jahres dar.
Diese Signale sind zwar keine Indikatoren für das Timing, um in den Markt einzusteigen oder auszusteigen, dennoch haben sie durchweg gute Signale geliefert, um das Aktienrisiko entsprechend zu erhöhen oder zu reduzieren. Genau diese Indikatoren deuten jetzt darauf hin, dass Anleger den Mai verkaufen sollten und irgendwann später zurückkehren sollten.
Zinsanhebung der Fed steht bevor
Wenn die technischen Indikatoren eigentlich schon Warnung genug sein sollten, um das Risiko für den Mai zu reduzieren, sollte man auch daran denken, dass die Fed die Zinsen am 5. Mai wahrscheinlich erneut anheben wird. Mit jeder Zinserhöhung nähern wir uns dem Punkt, an dem die Fed noch mehr konjunkturelles oder finanzielles Porzellan zerschlägt. Das ist in der Geschichte immer wieder der Fall gewesen, und angesichts der aggressiven Zinserhöhungskampagne des letzten Jahres würde ein negatives Ergebnis niemanden überraschen.
Bislang haben die Märkte die Zinserhöhung viel besser überstanden als erwartet. Die meisten dieser Zinserhöhungen haben jedoch noch nicht vollständig auf das Wirtschaftssystem durchgeschlagen. Darüber hinaus profitiert die Wirtschaft nach wie von der massiven Ausweitung der Geldmenge, die die Wirtschaftstätigkeit nach wie vor unterstützt. Aber auch dieser positive Effekt schwindet mit dem Auslaufen der letzten Reste der Konjukturspritzen aus der Pandemie-Zeit.
Zum Auftakt der traditionell schwachen Sommermonate lässt sich feststellen, dass der Aufwärtstrend des Marktes auch weiterhin intakt ist. Doch wie ich bereits am vergangenen Wochenende geschrieben habe:
„Eine Korrektur sollte erwartet werden. Ein Pullback um 10 % würde zu einem weiteren Rückgang bis zu den Lows des Aufwärtstrendkanals führen. Wenn diese Unterstützung hält, wäre dies aus rein technischer Sicht ein logischer Startpunkt für den Kauf von Risikoanlagen.“
Aus diesen Gründen haben wir zu Beginn der saisonal schwachen Sommermonate die Cash-Position erhöht und das Aktienrisiko in den Portfolios zurückgefahren. Könnte es ein Fehler sein, den Mai zu „verkaufen“ und erst später wieder einsteigen zu wollen? Das ist durchaus möglich. Und sollte das tatsächlich der Fall sein, werden wir die Aktiengewichtung bei Bedarf entsprechend erhöhen.
Allerdings kann sich Vorsicht auf dem Weg in den Sommer lohnen.