Seit vielen Jahrzehnten waren die deutsche Autoindustrie und der Automobilstandort Deutschland weltweit führend. Doch der Strukturwandel hin zur Elektromobilität hat das Spiel verändert, und die Auswirkungen könnten erheblich sein.
Die Berichte könnten nicht unterschiedlicher sein: Bei Volkswagen (ETR:VOWG) in Zwickau, Dresden und anderswo werden aufgrund mangelnder Nachfrage nach Elektroautos Tausende Arbeitsplätze in der Produktion abgebaut. Bei BMW (ETR:BMWG) in Leipzig hingegen werden dringend neue Arbeitskräfte für die Produktion von Elektrofahrzeugen gesucht, und BMW errichtet sogar ein brandneues Batteriewerk für seine Elektroautos in Niederbayern.
Opel (NYSE:GM) in Rüsselsheim kämpft wiederholt um seine Existenz unter dem Dach von Stellantis (NYSE:STLA), seinem französischen Mutterkonzern. Die Belegschaft schrumpft stetig, und die Standortsicherung bleibt unsicher. Ford (NYSE:F) in Köln hat einen massiven Stellenabbau von über 15.000 Arbeitsplätzen in Deutschland angekündigt, und das Werk in Saarlouis soll 2025 geschlossen werden, es sei denn, ein chinesischer Hersteller, BYD (F:1211), tritt als Retter auf. BYD ist ein weltweit führender Akteur in der Elektrofahrzeugbranche und hat VW bereits 2022 als Branchenprimus in China abgelöst.
Der Aufstieg Chinas zur Nummer eins in der Elektroautoindustrie und der Verlust der deutschen Vormachtstellung sind weitere Schlüsselfaktoren, die den deutschen Automobilstandort beeinflussen. Die Präsenz chinesischer Automarken auf der IAA 2023 in München und regelmäßige Schlagzeilen über Markteintrittspläne chinesischer Autobauer haben die Debatte in die Öffentlichkeit gerückt.
Es stellt sich die Frage, ob Deutschland seine Zukunft als Automobilstandort gefährdet hat. Die deutsche Klimapolitik, die den Schwerpunkt auf klimafreundliche Technologien legt, die jedoch nur einen begrenzten Anteil des globalen Automobilmarktes ausmachen, wird in Frage gestellt.
Bert Rürup, ein ehemaliger Wirtschaftsweiser, ist pessimistisch und empfiehlt einen Rückzug aus der Autoindustrie. Die Forderung nach einer Strategie zur Abkoppelung von China, insbesondere beim Autoexport, bei Rohstoffen und Lieferketten, wird laut. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan, da die Branche äußerst heterogen ist, mit Premiumherstellern wie BMW, Daimler, Audi und Tesla (NASDAQ:TSLA) sowie Massenherstellern wie Volkswagen, Ford und Opel sowie zahlreichen Zulieferunternehmen und Weltmarktführern wie Bosch, Conti und ZF.
Die Beispiele von VW und BMW zeigen, dass jedes Unternehmen je nach seiner technologischen Antriebs- und Modellstrategie eine unterschiedliche Zukunftsperspektive hat. Einige sind gut aufgestellt, trotz des Wettbewerbs aus China, während andere aufgrund strategischer Fehlentscheidungen straucheln.
Die Stärken des deutschen Automobilstandorts lagen in der Vergangenheit in der innovativen Veredelungswirtschaft und dem Weltmarkt. Deutschland kaufte günstig im Ausland Ressourcen wie Energie, Rohstoffe und Vorprodukte ein, veredelte sie intelligent und mit Hightech-Know-how und verkaufte sie teuer ins Ausland zurück.
Diese Zeit scheint vorbei zu sein, da sich die Wirtschaftslandschaft verändert. Deutschland als Ganzes muss sein Geschäftsmodell anpassen, und das betrifft auch die Autoindustrie. Der einzige Unterschied ist, dass die Autoindustrie mobil ist und abwandern kann, während der Standort nicht mobil ist. Dennoch verfügen sowohl der Wirtschaftsstandort als auch die Autoindustrie über bedeutende globale Vorteile.
Deutschland ist ein herausragendes Zentrum für Know-how auf globaler Ebene, trotz veralteter Infrastruktur im Straßen- und Schienenverkehr. Es verfügt über eine erstklassige Wissenschaftslandschaft und ein dichtes Netzwerk inmitten Europas. Allerdings fehlen wichtige industrielle Rohstoffe und Energiequellen. Wenn aus politischen Gründen die Importe aus dem Ausland ausbleiben, kann die Wirtschaft darunter leiden. Die Autoindustrie könnte dorthin abwandern, wo sowohl der Markt als auch die Ressourcen vorhanden sind, und das sind derzeit China und die USA.
Und wie steht es um die Aktien der deutschen Automobilhersteller?
Wir sehen BMW, Mercedes (ETR:MBGn) Benz, Daimler Truck (ETR:DTGGe) und auch Porsche (ETR:P911_p) noch in korrektiven Mustern feststecken, die bei allen zu noch tieferen Kursen führen werden. Einzig ausgerechnet Volkswagen hat jetzt die Chance, die Korrektur hinter sich zu lassen und den Weg gen Norden anzutreten. Hier ist aber Fingerspitzengefühl angezeigt. Die Korrektur belastet übergeordnet schon seit 2015. Insofern werden wir hier zunächst abwarten, ob die Aktie ihr Tief bestätigen und entsprechend verteidigen kann. Es kann nämlich sehr schnell zu einem finalen Abverkauf bis auf 56€ oder gegebenenfalls sogar tiefer kommen.
Das Problem ist überdies, dass das bisherige tiefste Tief der übergeordneten Korrektur bei 79,38€ gewesen ist. Normalerweise bauen die finalen Tiefs tiefere Tiefs aus. Wir sind gespannt, ob Volkswagen als erstem deutschen Autobauer die Trendwende am Aktienmarkt gelingt.