Notenbanken haben vor allem seit der Finanzkrise im Jahr 2008 die Entwicklungen der Finanzmärkte entscheidend geprägt. In Finanz-, Euro- und Coronakrise hat die außerordentlich unterstützende Rolle der EZB auch für die Entwicklung des zunehmend an Bedeutung gewonnen. Eine Blase oder irrationales Verhalten am Aktienmarkt sind dennoch nicht zu erkennen, da die EZB-Politik vorhersehbar geworden ist und sich auf Jahre nicht wesentlich ändern wird. Wir stellen die Analyse von Dr. Klaus Bauknecht, IKB für die Südseiten der Börse München vor.
Der Einfluss von klassischen Fundamentaldaten wie Gewinne pro Aktie und 10-jährige Bundrenditen auf den DAX rutscht hingegen ins Bedeutungslose – vor allem für eine kurz- aber auch mittelfristige Einschätzung. Steigt er weiter stark an, wird die Luft für den DAX jedoch dünner, und der Auftrieb lässt nach. Anders ausgedrückt: Auch Notenbanken können Bewertungen am Aktienmarkt nicht unendlich nach oben treiben. Beim derzeitigen Niveau des DAX ist die Auftriebskraft der aktuellen geldpolitischen Rahmenbedingungen jedoch weiterhin gegeben, auch wenn diese nicht vor Volatilität oder kurzfristigen Korrekturen schützt.
Bewegungen der Finanzmärkte: Fundamental oder irrational?
Der DAX peilt die Marke von 13.000 an. Für die Einen nachvollziehbar, schließlich stabilisiert sich die lokale wie globale Wirtschaft. Außerdem gibt es als Folge der expansiven Geldpolitik kaum Alternativen zum Investieren in die Aktienmärkte. Für die Pessimisten ist die Entwicklung des Index hingegen ein Zeichen anhaltender bzw. zunehmender Irrationalität. Denn weder hat der DAX in Folge der Coronakrise eine bedeutende Korrektur nach unten erlebt. Noch ist die aktuelle Erholung fundamental nachvollziehbar, da die Risiken für den konjunkturellen Ausblick weiterhin außerordentlich hoch sind. Die pumpt Geld in die Finanzmärkte, flutet sie mit Liquidität und sorgt dafür, dass Investoren Anlagemöglichkeiten suchen. Dies wiederum führt zu Preisverzerrungen auf Aktien- und Anleihemärkten, so die Pessimisten
Ist der DAX noch fundamental getrieben, oder entfernt er sich zunehmend von fundierten Werten infolge einer nicht endenden Liquiditätsschwemme? Die starke Volatilität des Index könnte vermuten lassen, dass Fundamentalentwicklungen nur bedingt eine Rolle spielen; schließlich entwickelt sich die Realwirtschaft deutlich konstanter. Allerdings ergibt sich aufgrund der anhaltend großen konjunkturellen Unsicherheit ein ständiger Anpassungsbedarf selbst beim langfristigen Ausblick, der zunehmend von der kurzfristigen Datenlage getrieben wird. Hohe Volatilität kann somit auch ein Zeichen von Unsicherheit und fehlendem grundsätzlichen Vertrauen sein und ist nicht zwangsläufig ein Beweis für irrationales Handeln in Folge von zu viel Liquidität.
Märkte waren schon immer durch Herdenverhalten bzw. technische sowie fundamentale Entwicklungen gekennzeichnet. Herdenverhalten wird allerdings eher als kurzfristiges und damit oftmals als überzogenes Handeln interpretiert, während Fundamentalentwicklungen langfristige Erwartungen bestimmen. Somit wird der fundamentale Verlauf von Konjunktur und Unternehmensgewinnen als nachhaltige und damit sinnvolle Referenz für den Aktienindex gesehen. „Fair Value“-Schätzungen beruhen auf solchen Fundamentaldaten, während Herdenverhalten eher dem Einfluss von Liquiditätsschüben zugeschrieben wird. Was treibt also nun den DAX? In welchem Maße spielen klassische fundamentale Entwicklungen von Konjunktur, Zinsen und Unternehmensgewinnen hierbei eine entscheidende Rolle? Beeinflusst die EZB durch ihre anhaltende Krisenpolitik die DAX-Bewertungen nicht nur kurz- sondern auch langfristig und damit fundamental?
Notenbanken als fundamentale Stütze?
Bereits in den 80er Jahren und vor allem unter Alan Greenspan wurde die Fed mehr und mehr zur Stütze für die US-Aktienmärkte – es entstand der Begriff „Greenspan-Put“. Mit der Finanzkrise und der seitdem vorherrschenden Geldpolitik hat die Einflussnahme der Notenbanken auf die Finanzmärkte jedoch eine neue Dimension erreicht. Durch Geldschöpfung bzw. enorme Liquidität ist der Investitionsbedarf an den Finanzmärkten deutlich angestiegen. Gerade die EZB steht in der Kritik, ihre geldpolitische Lockerung in der Euro-Zone trotz einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren nicht zurückgenommen, sondern vielmehr ausgeweitet zu haben. Hat die EZB dadurch eine signifikante Überreaktion bzw. Blasenbildung am Aktienmarkt verursacht, oder stellt sie eine nachhaltige und damit fundamentale Entwicklung für den „Fair Value“ des DAX sicher? Da sich die Zinspolitik noch auf Jahre kaum ändern wird, ist der Gedanke, dass die Notenbankpolitik in eine fundamentale Bewertung einfließen sollte, nicht völlig abwegig.
Besteht nun aktuell eine Überreaktion des DAX und ist eine fundamentale Unterstützung durch die Notenbankpolitik erkenn- bzw. nachweisbar? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir in einer empirischen Analyse die DAX-Entwicklung in zwei Zeiträumen miteinander verglichen, nämlich für die Jahre von 2001 bis 2008 und von 2010 bis heute.
Seit 2010 ist alles anders, …
In der Periode von 2001 bis 2008 zeigte sich die klassische Entwicklung: Der DAX orientierte sich an fundamentalen Treibern wie Gewinne pro Aktie und 10-jährige Bundrenditen bzw. risikofreien Renditen. Die Abweichungen des DAX von dem auf Grundlage dieser fundamentalen Treiber bestimmten „Fair Value“ waren unbedeutend. Es waren keine systematischen und damit über eine längere Zeit anhaltenden Abweichungen festzustellen. Selbst diese wären allerdings bis zu einem gewissen Maße nicht überraschend gewesen, da Herdenverhalten durchaus über mehrere Quartale anhalten kann. Da dies nicht der Fall war, können für diese Periode die klassischen fundamentalen Treiber als relevante Bestimmungsfaktoren für eine Einschätzung des DAX angesehen werden – selbst für eine kurzfristige Einschätzung.
Statistisch gesehen kann festgehalten werden, dass zwischen 2001 und 2008 jegliche Abweichung des DAX von seinem Fundamentalwert statistisch bedeutungslos war. Dies gilt selbst, wenn nur die zwei fundamentalen Treiber Gewinne je Aktie und 10-jährige Bundrenditen in die Analyse einfließen. Ab 2010 zeigt die empirische Analyse jedoch, dass die Dynamik des DAX fundamental anders verläuft als vor der Finanzkrise. Die Abweichungen vom geschätzten „Fair Value“ sind bedeutend größer und statistisch signifikant. Sie sind zudem systematisch und somit im Gegensatz zu der Periode 2001 bis 2008 über einen längeren Zeitraum nachhaltig. Seit der Finanzkrise wird der Dax somit von nicht im klassischen Sinne fundamentalen Treibern bestimmt. Die Abweichungen des Dax von seinem geschätzten „Fair Value“ sind bedeutend höher, und die Standardabweichung in der Phase 2010 bis 2020 ist mehr als doppelt so hoch als in der vorherigen Phase. Seit 2010 ist die Ableitung eines fundamentalen „Fair Values“ – wenn überhaupt – nur für eine sehr lange Perspektive angebracht.
… und fundamentale Entwicklungen spielen kurzfristig eine immer geringere Rolle
Die hohe des DAX mag mit der anhaltend konjunkturellen Unsicherheit zu tun haben, die Finanz-, Euro- und Coronakrise mit sich gebracht haben. Erwartungen sind nicht klar verankert, sodass realisierte/aktuelle Fundamentaldaten wie Gewinne je Aktie oder aktuelle Renditen keinen Einfluss haben, da sich diese – so die Befürchtung – relativ schnell verschlechtern bzw. ändern könnten. Allerdings hat sich die Volatilität der Unternehmensgewinne nicht erhöht. Im Gegenteil, die Volatilität der Gewinne je Aktie hat seit 2010 sogar abgenommen. Auch ist die Geldpolitik seit der Finanzkrise und vor allem seit den Aussagen von Mario Draghi im Jahr 2012 relativ sicher vorherzusagen.
Während Gewinne und Renditen zwischen 2001 und 2008 die entscheidenden Bestimmungsfaktoren für die Entwicklung des DAX waren, haben sie seitdem nicht nur an Bedeutung verloren, sondern sind ins Bedeutungslose abgerutscht – zumindest auf kurz- bis mittelfristige Sicht. Dies zeigt sich an dem hohen systematischen Fehler, aber auch an der statistischen Nicht-Signifikanz dieser Variablen in der Erklärung der monatlichen oder vierteljährlichen Veränderungen des DAX. Zwar ist auch in der Phase 2010 bis 2020 ein langfristiges stabiles Verhältnis zwischen Gewinnen, Renditen und nicht auszuschließen. Deren Einfluss kommt allerdings nur über eine langfristige Periode zum Tragen. Ein einfacher positiver Trend wäre um einiges aussagekräftiger für die Erklärung der DAX-Entwicklung gewesen als fundamentale Überlegungen.
In der Phase 2010 bis 2020 ist ein statistisch signifikanter positiver Trend im KGV (Kurs-Gewinn Verhältnis) und damit in der Bewertung des DAX zu erkennen. In der vorigen Phase war dies nicht der Fall. Seit dem Jahr 2010 hat der DAX jedoch zunehmend Auftrieb erhalten, was auf eine anhaltende überschüssige Liquidität und damit auf eine außerordentlich expansive Geldpolitik zurückzuführen ist. Der positive Trend deutet auf eine zunehmende und grundsätzlich positive Bedeutung der Notenbankpolitik für die Bewertung des DAX hin. Doch auch wenn der Trend in den letzten zehn Jahren statistisch signifikant war, sollte er nicht als Versicherung gegenüber möglichen DAX-Rückschlägen gesehen werden. Denn zum einen zeigt das KGV in den letzten 10 Jahren bedeutende Abweichungen von seinem Trendwert. Zum anderen ist der Trend langfristig nicht haltbar. Wie dünnere Luft in größeren Höhen den Auftrieb reduziert, wird der Einfluss der aktuellen Geldpolitik auf die Bewertung des Dax ebenfalls nachlassen.
Ausblick DAX: Ein Heißluftballon auf Kurs
Die Coronakrise wird eine generelle Herabstufung von Kreditqualitäten mit sich bringen. Auch der DAX war oder wird hiervon betroffen sein. Die Realwirtschaft sollte aber ab dem dritten Quartal 2020 Aufholeffekte zeigen, was die Stimmung stützen und den Risikoappetit vergrößern sollte. Allerdings wird noch einige Zeit vergehen, bis das deutsche, europäische oder globale BIP das Vorkrisenniveau wieder erreichen wird.
Aktuelle Fundamentaldaten würden ein DAX-Niveau von 12.500 Punkte andeuten – wenn diese als relevant angesehen werden. Somit wäre der DAX aktuell nicht überbewertet. Allerdings könnte der Index infolge von Gewinneinbrüchen der Unternehmen erneut unter Druck geraten, auch weil die Renditen nicht viel weiter sinken sollten. Doch fallen die Gewinne, steigt das KGV und dämpft mögliche DAX-Korrekturen. Mit einer noch auf Jahre außerordentlich expansiven Geldpolitik erhält der DAX viel fundamentalen Auftrieb, der sich, wie beschrieben, empirisch durchaus bestätigen lässt. Somit bleibt trotz anhaltend hoher Volatilität und hohem Korrekturpotenzial der grundsätzliche perspektivische Ausblick für den DAX positiv, nicht nur in Folge der sich abzeichnenden Konjunkturerholung, sondern vor allem aufgrund der Geldpolitik der EZB. Noch scheint die Luft für den DAX nicht dünn genug zu sein, um den geldpolitischen Auftrieb entscheidend zu schwächen.