Die Märkte liefern aktuell wieder sehr widersprüchliche Informationen. Und es wechseln sich bullishe und bearishe Signale erneut oder immer noch sehr schnell ab. Das gilt sowohl für die Charttechnik als auch für die fundamentalen Daten.
Schrumpft die US-Wirtschaft noch oder wächst sie schon wieder?
So wurde zu Wochenbeginn zum Beispiel in den Medien hervorgehoben, dass der Einkaufsmanagerindex vom Institute for Supply Management (ISM) für den Dienstleistungssektor der USA um stolze 11,7 auf 57,1 Punkte angestiegen und damit wieder klar über die Wachstumsschwelle von 50 Punkten angesprungen ist. Die Konsensschätzung lag „nur“ bei 50,1 Punkten.
Es handelte sich sogar um den größten Monatsanstieg seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1997, nachdem es im April zu einem Rekord-Rückgang gekommen war (-10,7 Punkte). Und der Frühindikator bestätigte damit die bereits sehr positiven Umfragewerte aus der Industrie.
Völlig ausgeblendet wurden dabei die negativen oder zumindest nicht ganz so positiven Nachrichten. Denn nur eine Viertelstunde vor den ISM-Daten wurden die von IHS Markit veröffentlicht. Und deren „Services Business Activity Index“ legte zwar ebenfalls deutlich zu, von 37,5 Punkten für Mai auf 47,9 Zähler für Juni, doch dieser Einkaufsmanagerindex blieb damit noch unterhalb der Wachstumsschwelle. Das gilt auch für den Gesamt-Einkaufsmanagerindex, der Industrie und Dienstleistungen zusammenfasst. Er notiert für die US-Wirtschaft laut IHS Markit im Juni bei 47,9 Punkten, nach 37,9 im Mai.
Schrumpft die Wirtschaft der USA also aktuell noch (IHS Markit) oder expandiert sie bereits wieder deutlich (ISM)? Hier haben wir es doch mit weit auseinanderliegenden Daten und somit widersprüchlichen Informationen zum Zustand der US-Wirtschaft zu tun. Die Einkaufsmanagerdaten sind zwar durch die starken Anstiege bei beiden Erhebungen positiv, es ist aber schon ein großer Unterschied, ob die US-Wirtschaft noch schrumpft oder schon wieder deutlich wächst.
Lässt die Nachfrage nach der anfänglichen Erholung schon wieder nach?
Die Experten von IHS Markit zeigen sich jedenfalls bedingt optimistisch: Eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum sei im 3. Quartal 2020 zwar wahrscheinlich, es besteht aber auch die Möglichkeit, dass das Wachstum nach der anfänglichen Erholung aufgrund einer schwachen Nachfrage und anhaltenden oder neuen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nachlasse. Im schlimmsten Falle, zum Beispiel bei einer zweiten Infektions-Welle, könnte es sogar zu einer Rückkehr der Rezession kommen.
In das gleiche Horn bläst der Präsident des Fed-Ablegers von Atlanta, Raphael Bostic. Seiner Analyse nach verlangsamt sich die wirtschaftliche Erholung in den USA möglicherweise nach der jüngsten Zunahme von Corona-Fällen bereits. Es gebe eine „Abflachung“ der wirtschaftlichen Aktivität in Bezug auf die Neueröffnung von Geschäften und der Mobilität, erklärte er in einem aktuellen Interview der „Financial Times“. Einige Entwicklungen seien beunruhigend und könnten darauf hindeuten, dass „die Erholung etwas holpriger verlaufen wird als sonst möglich gewesen wäre“, so Bostic.
Deutsche Industrie noch deutlich unterausgelastet
Dass die Erholung längere Zeit benötigen wird, zeigen auch aktuelle Produktionsdaten der deutschen Industrie. So fahren die Firmen zwar ihre Betriebe wieder hoch, allerdings weniger stark als erwartet. Und die Kapazitäten blieben dabei noch deutlich unterausgelastet.
Die Unternehmen des produzierenden Gewerbes stellten im Mai 7,8 % mehr her als im Vormonat, teilte das das Statische Bundesamt heute mit. Ökonomen hatten dagegen mit einem Anstieg von 10 % gerechnet. Und nachdem es im April mit 17,5 % das größte Minus seit Beginn der Datenerhebung 1991 gegeben hatte, ist die Produktion mit dem aktuellen Anstieg noch längst nicht wieder auf dem Vorkrisenniveau. Stattdessen liegt sie noch satte 19 % niedriger.
Auf bullishe Signale folgen schnell wieder bearishe
Doch die Anleger haben vorgestern, wie so oft jüngst, erst einmal wieder nur das Positive gesehen und bei Aktien zugegriffen. Die Aktienindizes konnten dadurch weiter zulegen und dabei bullishe Signale senden. Dem DAX gelang zum Beispiel der klare Sprung über das Hoch vom 23. Juni (siehe grüner Pfeil im folgenden Chart), so dass die Seitwärtsbewegung, mit ihren diversen Fehlsignalen an der Kern-Range (gelbes Rechteck, rote Bögen), nach oben verlassen wurde.
Doch gestern fiel der DAX unter das Ausbruchsniveau (dicke rote Linie) zurück (roter Pfeil). Auf ein klar bullishes Signal folgte also wieder ein bearishes. Und damit stellte sich auch der vorgestrige Ausbruch bislang als Fehlsignal heraus.
Aus Sicht der Target-Trend-Methode kann man für diesen Fehlausbruch die rot gestrichelte Konsolidierungslinie verantwortlich machen, die dem Index oberhalb der Rechteckgrenze bei 12.590 Punkten entgegen kommt und an der die Kurse vorgestern exakt abgeprallt sind (siehe roter Pfeil im folgenden Chart).
Dabei zeigt sich in diesem Chart auch, dass die vorgestrige Tageskerze schon keine klar bullishe war. Denn unter anderem lag der Schlusskurs unterhalb des Eröffnungskurses. Und mit der gestrigen Tageskerze droht auch noch der Rückfall in das hellblaue Rechteck.
Das riecht nach einer zweiten Abwärtswelle!
Sicherlich, noch ist die Aufwärtstendenz des DAX durchaus intakt. Doch die vielen Fehlsignale mahnen zur Vorsicht. Und durch den gestrigen Kursrückgang sieht der gesamte Anstieg seit dem Zwischentief vom 15. Juni nicht mehr sonderlich bullish aus. In der vorbörslichen Analyse des Target-Trend-Spezial hatten wir gestern Morgen die Leser auch schon auf die Möglichkeit eines Bear-Keils im DAX (und im Euro STOXX 50) hingewiesen (siehe blaue Linien im folgenden Chart).
Diese Chart-Formation ist durch die gestrigen Kursverluste deutlich wahrscheinlicher geworden. Für mich riecht es daher im DAX derzeit nach einer zweiten Abwärtswelle, wie wir sie auch vom 8. bis zum 15. Juni gesehen haben.
Um diese abzuwenden, muss sich der DAX schleunigst aufmachen, das vorgestrige Tageshoch und das Hoch vom 15. Juni zu überwinden. Nimmt aber der Druck auf die Aufwärtstrend(kanal)linie jetzt wieder zu, sollte man mit einem Bruch rechnen – und dann eben auch mit der zweiten Abwärtswelle.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus