Vorgestern Abend gegen 18:45 Uhr (MESZ) verbreitete sich die Meldung, dass es bei dem potentiellen Medikament Remdesivir zu enttäuschenden Testergebnissen bei der Behandlung von Covid-19-Patienten gekommen sei. Die Aktienmärkte brachen kurzzeitig deutlich ein. Der Dow Jones verlor zum Beispiel binnen 2 Minuten rund 330 Punkte (siehe rote Ellipse im folgenden Chart).
Zur Einordnung: Vor genau einer Woche hatte es zu diesem Mittel der US-amerikanischen Pharmafirma Gilead (NASDAQ:GILD) geheißen, ermutigende Testergebnisse hätten den Aktienmarkt befeuert. Doch ich hatte in der Börse-Intern (siehe „Was hat die Aktienkurse getrieben?“) darauf hingewiesen, dass das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Mittel bzw. dessen vermeintliche Wirkung bei Covid-19-Patienten kaum ausreicht, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie erheblich abzumildern.
Und genau so, wie die positive Meldung aus meiner Sicht „bei genauerer Untersuchung kaum geeignet für eine allgemeine Marktstärke“ war, eignete sich die gegenteilige Meldung nun nicht, den Aktienmarkt nachhaltig zu belasten. Und das zeigt auch die letztliche Seitwärtstendenz nach dem anfänglichen Kursrutsch, der im Vergleich zu den vorangegangenen Kursbewegungen des Dow Jones der vergangenen Tage vernachlässigbar ist. Denn in der übergeordneten Seitwärtskonsolidierung der vergangenen Tage geht die Meldung völlig unter.
Das Medikament war und ist eben mit Blick auf die Gesamtwirtschaft eher unbedeutend – und damit auch für den Aktienmarkt als Ganzes. Da die Anleger nach positiven Nachrichten lechzen, die nur irgendwie zum aktuellen Krisenthema passen, kommt es lediglich zu kurzzeitigen Marktreaktionen.
ifo-Geschäftsklima stürzt auf historisches Tief
Für nachhaltige Kursverluste geeignet war wohl auch nicht die Meldung, dass der ifo-Geschäftsklimaindex auf ein historisches Tief abgestürzt ist. Warum nicht? Weil er damit auf den ersten Blick lediglich die vorgestrigen Einkaufsmanagerdaten bestätigte. Doch es lohnt ein zweiter, etwas genauerer Blick, der sich auf die Details richtet. Denn diese sind aus meiner Sicht durchaus geeignet für fallende Aktienkurse.
Zunächst einmal ist der ifo-Geschäftsklimaindex im April auf 74,3 Punkte abgestürzt, nach 85,9 Punkten im März. Er erreichte damit den niedrigsten jemals gemessenen Wert. Die folgende Grafik zeigt den dramatischen Einbruch, der im März bereits mit dem stärksten Rückgang seit 1991 begonnen hatte und sich nun „lediglich“ auf ein historisches Tief fortgesetzt hat.
Das ist für die Aktienmärkte aber wohl noch nicht dramatisch genug, obwohl von Reuters befragte Volkswirte „nur“ mit einem Rückgang auf 80,0 Punkte gerechnet hatten. Dass die Corona-Krise die Stimmung in den deutschen Chefetagen auf ein historisches Tief drücken würde, war wohl dennoch gestern keine Überraschung mehr. Aber das verwundert auch nicht, nachdem die Aktienmärkte schon auf die vorgestrigen Einkaufsmanagerdaten nicht (negativ) reagiert hatten. Die Stimmung unter den Anlegern ist derzeit einfach so, dass negative Nachrichten ignoriert werden.
Wird die Zukunft noch schlechter als die aktuelle Lage?
Doch ein Detail sollte man deutlich kritischer betrachten, als es die Märkte offenbar aktuell tun: So ist der Rückgang des ifo-Index nicht nur auf eine massive Verschlechterung der aktuellen Lage zurückzuführen – der Teilindex gab von 92,3 auf 79,5 Punkte nach – sondern auch die Geschäftserwartung hat sich massiv verschlechtert. Dieser Teilindex sank sogar auf 69,4 Punkte, von zuvor schon nur 79,5. Das heißt, die rund 9.000 befragten Unternehmer schätzen die Entwicklung der kommenden 3 bis 6 Monate noch schlechter ein als die bisherige Lage. Zudem blickten sie noch nie so pessimistisch auf die Zukunft. Das betrifft alle Branchen: das verarbeitende Gewerbe, den Dienstleistungssektor, den Handel und das Bauhauptgewerbe fast gleichermaßen.
Und das, obwohl aktuell allgemein erwartet wird, dass die beschlossenen Schutzmaßnahmen in den kommenden Wochen noch weiter gelockert werden. Dabei waren laut dem ifo-Institut immerhin etwa 20 % bis 25 % der Antworten der Befragung nach der Mitte des Monats erfolgten Ankündigung der Lockerung des Shutdowns eingegangen.
Wenn Unternehmen derart skeptisch in die Zukunft blicken, dann wird die Zukunft meist auch schlechter als die Lage. Denn die Unternehmen werden sich gemäß ihrer Erwartung verhalten. Investitionen werden zurückgestellt, Produktionsmengen reduziert, Mitarbeiter entlassen. Das alles führt dann dazu, dass die zukünftige Lage tatsächlich schlechter wird.
Gewinnerwartungen werden in rasantem Tempo reduziert
Erst am Dienstag hatte ich berichtet, dass die Gewinnerwartungen deutlich gesunken sind. „Hatte ich am Donnerstag vergangener Woche noch geschrieben, dass für das Jahr 2020 ein Rückgang der Gewinne im S&P 500 von durchschnittlich -8,5 % erwartet wird, so hat sich dieser Wert seitdem bereits auf -12,3 % verschlechtert“, hieß es dazu. Kaum drei Tage später erwarten Analysten für die S&P 500-Unternehmen nun sogar einen Gewinnrückgang von 18 % im Jahresvergleich. Beim STOXX 600 soll der Rückgang 22 % betragen und 19 % beim MSCI-Weltindex. Und trotzdem zeigen sich die Aktienmärkte davon völlig unbeeindruckt.
Dabei sind sie inzwischen, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), durch die sinkenden Gewinnerwartungen höher bewertet als zum Zeitpunkt des Allzeithochs. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Märkte sind inmitten einer Krise, die alles Bisherige übertrifft, teurer als zu dem Zeitpunkt, als die Welt noch einigermaßen in Ordnung schien und die Wirtschaft (langsam, aber stetig) weiter wuchs.
Sicherlich, die Börse nimmt die Zukunft vorweg. Aber das ifo-Geschäftsklima deutet eben aktuell darauf hin, dass die Zukunft in den kommenden drei bis sechs Monaten nicht besser, sondern noch schlechter wird. Erst vorgestern hatte ich geschrieben, dass ich kaum mehr von einem schnellen V-förmigen Verlauf der Wirtschaft ausgehe. Und mit den ifo-Daten sehe ich mich betätigt. Wir können froh sein, wenn es zu einem U-Verlauf kommt. Aber auch ein L ist inzwischen denkbar. Und diese beiden wahrscheinlicheren Szenarien bilden die Aktienmärkte derzeit einfach nicht ab.
Depot absichern!
Ich verrate Ihnen etwas: Im Premium-Trader haben wir vorgestern einen Short-Trade auf den S&P 500 als Absicherungsposition ins Depot geholt. Eine ähnliche Transaktion hat Torsten Ewert am Dienstag bereits für sein Geldanlage-Brief-Depot (vormals Investment-Strategie-Depot) vorgenommen. Und im Target-Trend-CFD sind wir mit ersten kleinen Positionen im S&P 500 und im Nasdaq 100 short gegangen. Mal sehen, was daraus in ein paar Tagen geworden ist…
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus