Ausverkauf oder Korrektur? Zeit für kluge Investments – So gehst du vor!Raus aus dem Risiko

Der (Börsen-)Stein des Sisyphus

Veröffentlicht am 17.08.2022, 13:00
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Bislang zeigte sich der Börsen-Sommer von seiner sonnigen Seite. S&P 500, Nasdaq, DAX und Euro STOXX 50 haben den Bärenmarkt wieder verlassen. Ist das Gift der Zinsangst weniger toxisch? Hat der Optimismus sogar Steherqualitäten? Oder rollt - ähnlich wie beim armen Sisyphus - der mühsam auf den Börsen-Berg geschleppte Stein aufgrund konjunktureller und (energie-)politischer Probleme erneut ins Tal zurück?

Zinsangst als Fata Morgana

In den USA hat die Inflation offenbar ihren Zenit überschritten. Dies übt Druck auf die Anleiherenditen aus, die sich selbst von der Entwässerung der US-Notenbankbilanz nicht schrecken lassen. Trotz eines Abzugs von monatlich 95 Mrd. US-Dollar ab September wird sich die amerikanische Liquiditätsausstattung ohnehin erst im Frühjahr 2026 wieder auf Vor-Corona-Niveau befinden. Schon damals war Geld alles andere als knapp.

Zinsentspannung ist ebenso das Motto in Europa, wo die EZB anhaltend Renditekastration betreibt und Länder wie Italien weiter gegen alle Finanzrisiken vollkaskoversichert. Und zieht man von den Anleiherenditen die zunächst hoch bleibende Inflation ab, macht der Rentenmarkt so wenig Spaß wie im Hochsommer ein Schwimmbecken ohne Wasser.

Auch über das Ende der Minuszinsen kommt keine Freude auf. Nach Abzug der in Europa weiter hohen Inflation wird kurzfristiges Geldparken auch zukünftig mit teuren Knöllchen geahndet. Es gibt also keine Kompensation für eine deutsche Inflationsrate, die u.a. wegen Gasumlage sowie des Wegfalls des 9 Euro-Tickets und des Tankrabatts im Oktober und November auf über neun Prozent getrieben wird.

Vor diesem Hintergrund bleibt Zinssparen Vermögens-Selbstmord. Von dieser Seite aus betrachtet haben Aktien wenig zu befürchten.

Die US-Wirtschaft schrumpft zwar real, aber…

Aber wie gehen die Aktienmärkte mit der Konjunkturschwäche um? Die US-Wirtschaftsleistung ist in zwei Quartalen hintereinander gefallen. Darüber kann auch die verhältnismäßig robuste Berichtsaison nicht hinwegtäuschen. Ohne Energietitel sind die Gewinne der S&P 500-Unternehmen im zweiten Quartal um fast vier Prozent gefallen.

Doch haben wir es derzeit mit einer untypischen Rezession zu tun. Real schrumpft Amerika zwar, doch aufgrund der konjunkturuntypisch hohen Teuerung schlägt das nominale Herz so stark wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr: In den letzten fünf Quartalen sind die USA im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 17, 10, 12, gut 11 bzw. 10 gewachsen.

Reale Schrumpfung bedeutet natürlich auch Wohlstandseinbuße. Doch spielen in Amerika Psychologie, Stimmung und Gefühle eine viel größere Rolle als bei uns. Wenn sich Verbraucher - die für die US-Konjunktur zu zwei Dritteln entscheidend sind - vermögender fühlen, weil sie nominal mehr im Portemonnaie haben, nimmt der "gefühlte Wohlstand“, die Wohlstandsillusion, zu.

Ebenso ist für Wall Street eine real zwar rezessive Wirtschaft leichter auszuhalten als eine auch noch nominal schrumpfende mit sinkenden Unternehmensumsätzen.

Hinzu kommt the American Way of Killing Debt Softly: Liegt die Teuerung über den Zinsen sind Peter, Paul & Mary mit ihren alten Krediten schneller durch und können mit neuen zum Wohle des Wachstums wieder durchstarten. Die US-Wirtschaft war doch immer schon ein Durchlauferhitzer.

Europa im (wirtschafts-)politischen Schwitzkasten

Diese „Segnungen“ sind in Europa Mangelware. Wir haben keinen starken Binnenmarkt, wir sind abhängig von der Weltwirtschaft. So führen chinesische Wirtschaftsschließungen zur Eindämmung von Corona bei uns sofort zu konjunktureller Schnappatmung.

Daneben ist speziell Deutschland im Vergleich zu den USA dramatisch energieabhängig. Wir zahlen jetzt den Preis einer jahrzehntelang weltfremden Energiepolitik, die den Konsumenten über steigende Preise dramatische Kaufkraft- und energieintensiven Industrieunternehmen Margenverluste beschert.

Und immer noch denkt Deutschland wirtschafts- und energiepolitisch zu ideologisch. Staatliche Kompensationszahlungen mögen zwar zur Abfederung von hohen Gaspreisen vielen Verbrauchern buchstäblich über den Winter helfen. Ansonsten wird aber zu viel Bullerbü-Politik betrieben und nur an den Symptomen ohne vernünftigen Plan B herumgedoktert. Der Einsatz zusätzlicher Kohlekraftwerke wird verzögert. Und wirklich große Mengen an alternativem Flüssiggas stehen nicht vor 2027 zur Verfügung. So muss weiter zu viel Gas verstromt werden, das anderswo fehlt. Übrigens, wenn zu wenig geheizt wird, hat man ruckzuck Schimmel in der Bude.

Apropos Strom, es wird noch lange dauern, bis Deutschland mit alternativen Energien satisfaktionsfähig ist. Und wie soll die Überbrückung aussehen? Nur mit Gesundbetung und dem Hoffen auf einen milden Winter kommen wir nicht weiter. Um die Versorgung zu sichern, kommen wir ohne Atomkraft nicht aus. Wie will man denn die Grundlast sichern? Kommen dann auch noch die massenhaft gekauften Heizlüfter zum Einsatz, könnte Weihnachten ähnlich ablaufen wie damals in Bethlehems Stall: Kalt und Dunkel. Nicht zuletzt sorgen auch explodierende Strompreise für große Löcher in den Taschen der Konsumenten.

In einer (digitalisierten) Welt, die dramatisch mehr Strom zu akzeptablen Preisen benötigt, spielt ein sich selbstverzwergendes Deutschland unverantwortlich mit seiner Wettbewerbsfähigkeit und seinem Wohlstand und riskiert einen langen Wut-Winter.

Börsenplatz nicht mit Wirtschaftsstandort verwechseln

Auf den ersten Blick müsste diese Gemengelage auf europäische bzw. deutsche Aktien wirken wie Mundgeruch beim ersten Rendezvous. Tatsächlich verfügt Amerika über mehr frischen Atem. Doch sind die großen deutschen Börsenunternehmen weltweit sowohl umsatz- als auch energieseitig aktiv und machen sich daher von nationalen Handicaps und Strukturproblemen zunehmend frei. Mittelständische Unternehmen sind naturgemäß zwar heimatverbundener. Aber auch sie werden aufgrund des globalen Konkurrenzdrucks immer mobiler.

Alles zusammen genommen haben Aktien das Schlimmste überstanden, auch weil die Alternative sich nicht behaupten kann. Schwankungen müssen zwar nach wie vor einkalkuliert werden, aber die großen Schrecken sind ziemlich verarbeitet. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Bank of Amerika, die gemäß ihrer neuesten Umfrage unter internationalen Fondsmanagern feststellt, dass der Rekord-Pessimismus seinen Zenit erreicht hat.

Der Börsen-Stein des Sisyphus wird nicht mehr komplett ins Börsen-Tal zurückrollen.

Überhaupt sollte es weniger um nationale Indices, sondern mehr um attraktive Branchen gehen. High-Tech ist ein langfristig attraktives Geschäftsmodell und zudem relativ kriegs- und konjunkturunabhängig. Auch große Fondsmanager und selbst Warren Buffet interessieren sich wieder für diese Growth-Titel.

Grundsätzlich gilt aber auch hier: Augen auf beim Eierkauf. Eier mit beschädigter Schale - mit schwacher Substanz - gehören in die Pfanne, nicht ins Depot.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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