- Der Energiesektor konnte 2022 die S&P-Gewinnschätzungen stützen
- Nach dem drastischen Ölpreis-Rückgang kann der Energiesektor die Unternehmensgewinne jedoch nicht länger oben halten
- Ergo müssen die Gewinnschätzungen wohl noch einmal nach unten korrigiert werden
Mit der Abkühlung der Wirtschaft dürften die S&P 500-Gewinne 2023 aller Voraussicht nach unter Druck geraten, ganz gleich, ob es zu einer Rezession kommt oder nicht. Eine Verlangsamung des nominalen Wachstums und eine geringere Inflation reichen aus, um die Unternehmensgewinne im Jahr 2023 schrumpfen zu lassen.
Hinzu kommt, dass der einzige Sektor, der die S&P 500-Gewinne im Jahr 2022 rettete, der Energiesektor (NYSE:XLE) war. Das wird 2023 wahrscheinlich in dieser Form nicht noch einmal möglich sein, es sei denn, die Entwicklung der Ölpreise erfährt eine erhebliche Kehrtwende. Im Laufe der Zeit folgen die Umsatz- und Gewinnschätzungen des Energiesektors immer den Veränderungen der Ölpreise, die von den Höchstständen des Jahres 2022 stark gesunken sind.
Der Energiesektor hat das Jahr 2022 gerettet
Im Jahr 2022 stieg die 12-Monats-Gewinnschätzung für den Energiesektor drastisch an. Dieser erhebliche Anstieg der Gewinnerwartungen für den Energiesektor war ein wichtiger Grund dafür, dass die Gewinne des S&P 500 insgesamt robust blieben und auch in den nächsten zwölf Monaten ein gewisses Wachstum zu erwarten ist.
Das Umsatz- und Gewinnwachstum im Energiesektor ist jedoch erheblich von den Veränderungen des Ölpreises abhängig, der seit seinem Höchststand von über 120 USD im Juni deutlich gesunken ist. Die Gewinn- und Umsatzschätzungen für den Energiesektor erreichten Mitte September ihren Höhepunkt und folgen nun dem Ölpreis auf seinem Weg nach unten. Wenn die Preise also nicht bald wieder steigen, sieht es für den Energiesektor im Jahr 2023 nicht besonders gut aus.
Ohne einen Energiesektor, der die S&P 500-Gewinne im nächsten Jahr ankurbelt, stellt sich die Frage, welche Sektoren den Gesamtmarkt im Jahr 2023 stützen könnten. Da gibt es im Moment nicht viele, die in Frage kommen. Ganz vorne stehen derzeit die Versorger (NYSE:XLU), doch wenn ein solch defensiver Sektor die Unternehmensgewinne anführt, verheißt das in der Regel nichts Gutes für den Gesamtmarkt.
Führungswechsel bei den Sektoren
Dies deutet darauf hin, dass die Marktführerschaft im Jahr 2023 eher in einem fallenden als in einem steigenden Sektor zu finden sein wird. Das größte negative EPS weisen derzeit die zyklischen Konsumgüter (NYSE:XLY) auf, gefolgt vom Gesundheitswesen. Im Technologiesektor gab es bisher keinen größeren Washout.
Auf dem Weg ins Jahr 2023 wird dies von großer Bedeutung sein, immerhin stellt Technologie mit fast 26 % den größten Sektor im S&P 500 dar. Der Gesundheitssektor macht 16 %, Finanzen 11,5 % und zyklische Konsumgüter etwa 10 % des Index aus. Wenn diese Schätzungen also weiter nach unten gehen, dürfte sich die negative Tendenz der Indexgewinne insgesamt noch verstärken.
Folglich zahlen Investoren bereits heute zu viel für den S&P 500, der derzeit mit dem 16,6-fachen der geschätzten 12-Monats-Gewinne gehandelt wird. Seit 1990 lag das durchschnittliche KGV des S&P bei etwa 16,4. Angesichts der Ungewissheit, dass sich das Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 abkühlen und die US-Notenbank ihre extrem restriktive Geldpolitik beibehalten könnte, erscheint das Preisschild eines durchschnittlichen KGV zu hoch, wenn man alles andere außer Acht lässt, was bei der Bestimmung des KGV eine Rolle spielt.
Wenn 2023 nicht noch schlimmer werden soll als 2022, müssen andere Sektoren eine führende Rolle übernehmen, damit die Gewinnschätzungen für den S&P 500 bestätigt werden können. Zum jetzigen Zeitpunkt sind aber noch keine Kandidaten dafür in Sicht, was wahrscheinlich bedeutet, dass wir die Tiefststände am Aktienmarkt noch nicht gesehen haben und das Schlimmste wohl noch bevorsteht.
Offenlegung: Der Verfasser hält keine Positionen an den in diesem Artikel besprochenen Wertpapieren und Anlagen.