In Deutschland bestreitet die Politik, dass die Lage des Landes mit seiner schwächelnden Wirtschaft das Etikett “kranker Mann Europas” verdient. Eine neue Studie legt jedoch nahe, dass Krankheit tatsächlich eine zentrale Rolle für die schwache Wirtschaft des Landes spielt, wie Boomberg berichtet.
Deutschland ist tatsächlich der kranke Mann Europas
Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wäre laut einer Analyse des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) im vergangenen Jahr um 0,5% gestiegen, wenn es nicht zu überdurchschnittlichen Arbeitsausfällen aufgrund von Krankheit gekommen wäre. Der Krankenstand hat im Jahr 2023 das Pandemie-Niveau übertroffen und einen Rekordwert erreicht, so der VFA. In der Fünf-Länder-Gruppe Kanada, Schweden, USA, Australien und Deutschland war der Krankenstand in Deutschland am höchsten und in Schweden am niedrigsten.
“Wäre der Krankenstand nicht erneut so hoch gewesen, wären im Jahr 2023 etwa 26 Milliarden Euro zusätzlich erwirtschaftet worden”, schreiben die Ökonomen Claus Michelsen und Simon Junker in einem am Freitag veröffentlichten Bericht. Auf Basis der Arbeitsstunden entspricht das einer Differenz von 0,8 Prozentpunkten. Hohe Fehlzeiten im November und Dezember deuten auf einen anhaltenden Dämpfer bis ins laufende Quartal hinein hin.
Wirtschaft in Deutschland schrumpfte im vergangenen Jahr
Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im Jahr 2023 um 0,3% und verzeichnete damit die schlechteste Wirtschaftsleistung seit zwei Jahrzehnten, mit Ausnahme des Finanzkrisenjahres 2009 und des Jahres 2020, als die Pandemie ausbrach. Besserung scheint erst einmal nicht in Sicht, wie der schwache ifo Index sowie die deutschen Einkaufsmanagerindizes zeigen. Die unterdurchschnittliche Entwicklung im Vergleich zu anderen Ländern der Region war so ausgeprägt, dass sie an die Bezeichnung “kranker Mann Europas” erinnerte, die vor einem Vierteljahrhundert für Deutschland geprägt wurde.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat diesen Vergleich zurückgewiesen, und letzte Woche betonte Finanzminister Christian Lindner, das Land sei eher ein müder Mann, der nur einen Kaffee brauche.
“Deutschland ist zumindest im Jahr 2023 im wahrsten Sinne des Wortes der ‘kranke Mann’, dessen Wirtschaftsleistung durch die Krankheitswelle deutlich stärker belastet wird als in anderen Ländern”, schreiben Michelsen und Junker. “Dennoch gilt nach wie vor: Deutschlands Wirtschaft steht vor erheblichen strukturellen Problemen und sieht sich mit großen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb konfrontiert.“
Sollten die krankheitsbedingten Ausfälle der vergangenen zwei Jahre zum neuen Normalzustand werden, würde die Wirtschaft in Deutschland umgerechnet 350.000 Beschäftigte verlieren, so die Studie. Diese Zahl ist doppelt so hoch, wenn man Überstunden und Produktivitätssteigerungen mit einbezieht.
“Dies sollte ein Land, das bereits jetzt mit den Problemen des demografischen Wandels zu kämpfen hat, nicht dauerhaft zulassen“, so Michelsen und Junker.