Es ist schon interessant. Wenn ich, wie vorgestern, in einem Newsletter schreibe, dass aktuell alles offen ist, dass es keine klaren Prognosen gibt, dass man zurzeit nichts Genaues weiß, häufen sich kritische Mails. Der Grund dafür ist simpel: Die meisten Anleger suchen nach starken Meinungen, deswegen bezieht man doch einen Börsennewsletter, oder?
Die große Unsicherheit
Hintergrund ist, dass jeder – wirklich jeder – der sein Geld an den Börsen anlegt, tief in seinem Inneren über jede Investmententscheidung verunsichert ist. Diese Unsicherheit entsteht, weil weder Trader noch Anleger genau wissen, was heute geschehen wird. Es gibt keine Sicherheit, ob eine Entscheidung die gestern getroffen wurde, sich nicht schon heute als falsch herausstellt. Schließlich kann immer etwas Unvorhersehbares geschehen. Anfang des Jahres war es zum Beispiel die Ukraine, jetzt ist es auch noch der Irak, oder die Lehmann Brothers Pleite – wer soll vorhersehen, was heute ist?
Und diese Unsicherheit quält – täglich, ja sogar stündlich. Es ist tatsächlich einer der größten Stressfaktoren bei der Beschäftigung mit den Börsen.
Nur gesteht sich das kaum einer ein, noch nicht einmal vor sich selber. Vielmehr werden alle möglichen Strategien entwickelt, um diese Unsicherheit zu bekämpfen. Ich will nur einige exemplarisch nennen, es gibt unzählige:
Strategie zur Vermeidung von Unsicherheit
- Ignorantes Festhalten an eigenen Überzeugungen gegen den Markt
- Übertriebene Beschäftigung mit Nachrichten, Kommentatoren, Informationen
- Fast manische Suche nach der perfekten Methode, dem perfekten Computerprogramm, der perfekten Chartformation, dem perfekten Indikator.
- Paranoide Vorstellungen: Es tradet jemand gegen einen oder Börse sei ein abgekartetes Spiel, um speziell diesen „kleinen“ Trader zu schröpfen.
etc.
Auf eine besondere Auswirkung der Unsicherheit will ich aber gestern eingehen: Die intensive Suche nach starken Meinungen.
Die krampfhafte Suche nach starken Meinungen
Wenn ein Anleger nach einigen Misserfolgen bemerkt, dass er selbst dem Börsenchaos nicht gewachsen ist, versucht er Menschen zu finden, die ihm das Gefühl vermitteln, dass sie wüssten, wo es lang geht. Das macht ja auch eigentlich Sinn. Die Sache hat nur zwei große Haken:
- Diese Menschen gibt es nicht.
- Dafür gibt es viele Menschen, die genau diese Unsicherheit ausnutzen und über Werbung mit starken Meinungen für Börsenprodukte diesen verunsicherten Anlegern das Geld aus der Tasche ziehen wollen.
Wir kennen die bekannten Permabären und Dauerbullen, die zu jeder Zeit zu wissen glauben, was die Märkte machen werden: entweder dramatisch einbrechen oder unaufhaltsam steigen. Die konkreten Gründen, warum das so sein muss, mögen wechseln, aber beide Gruppen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie keine Gegenargumente gelten lassen oder solche für ihre Sichtweise uminterpretieren. Je nach Börsensituation schwankt ihre Anzahl. Aber diese Permabären und Dauerbullen gibt es zu jeder Zeit. Das ist so, bereits seitdem die erste Aktie verkauft wurde!
Mit einer derart unnachgiebigen Haltung kann jemand in einer guten Phase, die zufällig zu seiner starken Meinung passt, durchaus hohe Gewinne machen. Oft sogar höhere Gewinne, als die wirklich erfahrenen Trader. Das liegt einfach daran, dass sie mit dieser starken Meinung im Rücken größere Risiken eingehen werden.
Wenn es anders läuft
Gefährlich wird es aber dann, wenn der Markt in eine Phase übergeht, die nicht mehr zu der starken Meinung passt. Dann wird ein Dauerbulle weiterhin mit gleich hohem Risiko auf steigende Märkte setzen, obwohl die Kurse fallen und fallen und ein Permabär wird auch in dem stärksten Trend mit Short-Position sein Geld verjubeln. Sehr oft sind die Verluste, die in dieser Situation auflaufen, deutlich höher, als es die Gewinne zuvor waren.
Es ist es schon schlimm genug, wenn das mit dem eigenen Geld des Betreffenden geschieht. Aber häufig ziehen solche Börsianer– unbewusst oder vorsätzlich – mit ihren Börsenbriefen oder durch andere Börsenmedien auch die Anleger in diesen Sog, die auf der Suche nach starken Meinungen sind. Und dann wird es wirklich kritisch!
Die einzig wirklich starke Meinung an den Börsen
Meiden Sie also Börsianer, die genau zu wissen meinen, was heute geschieht. Börsianer, die von einer Marktrichtung überzeugt sind oder so tun, werden langfristig zu den Verlieren gehören!
Die einzig wirklich starke Meinung ist, dazu zu stehen, dass man Börse nicht hundertprozentig voraussagen kann, dass immer ein Unsicherheitsfaktor bleiben wird, egal wie gut man auch sein mag. Das ist gerade in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nicht leicht. Es ist aber im höchsten Maße wichtig, um als Trader oder Spekulant zu überleben.
Denn es geht weniger darum zu wissen, wohin es geht, sondern darum zu begreifen, wann der Markt gute Signale liefert und wann schlechte.
In Phasen, in denen der Markt lediglich unmotiviert hin und herschwappt, wie aktuell, muss man seine Tradingaktivitäten zurückfahren. Man muss erkennen, dass es hier keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Das kann man aber nur, wenn man sich eingesteht, dass Prognosen in dieser Phase schwierig sind. Da hilft es überhaupt nicht, wenn man in so einer Situation krampfhaft starke Meinungen sucht.
Nur wenn Sie so vorgehen, werden Sie in starken Trendphasen, wenn die Signale eindeutiger sind, noch genügend Geld haben, um von den Trends zu profitieren.
Der wichtigste Punkt
Doch der wichtigste Punkt ist eigentlich folgender: Wenn Sie verunsichert sind, wie es mit den Börsen weitergeht, wenn Sie verunsichert sind, ob eine Aktie, die Sie gekauft haben, weiter steigen wird oder nicht, dann ist das nicht falsch. Sie sind dann auch nicht zu unerfahren oder haben zu wenig Ahnung. Diese Unsicherheit ist das einzig richtige, wahre Gefühl. Jeder gute Trader wird diese Unsicherheit in sich haben – das hört NIE auf.
Sie müssen sogar verunsichert sein, weil es eben, wie oben beschrieben, keine Sicherheit gibt. Verdrängen Sie dieses Gefühl also nicht. Denn nur diese Unsicherheit wird Sie davor bewahren, zu große Risiken einzugehen – Risiken, die Ihr Vermögen massiv beeinträchtigen können.
Die Unsicherheit ist demnach an den Börsen ihr Freund, nicht der Feind. Wenn Sie das verinnerlichen und die Unsicherheit nicht mehr verflucht, sondern begrüßen, werden Sie einen großen Schritt in Richtung Erfolg machen.
Wenn mir also Leser vorwerfen, dass ich manchmal keine starken Meinungen habe, muss ich sie lassen– in dem Wissen, dass sie wahrscheinlich ihr Lehrgeld erst noch bezahlen werden. Es freut mich umso mehr, dass ich zwar selten aber hin und wieder Mails von eben solchen Lesern erhalte, die nach einiger Zeit ihre Kritik widerrufen.
So, genug der philosophisch, psychologischen Themen, nun geht es nur noch um eins: Klinsi oder Löw.
Und das ist doch für gestern zumindest eindeutig wichtiger, als die Börse und all die Dinge, die damit zusammenhängen.
Jochen Steffens
Stockstreet GmbH