Am Dienstag nach Börsenschluss beginnt in den USA „offiziell“ die Berichtssaison für das erste Quartal. Traditionell wird der Rohstoffkonzern Alcoa den Zahlenreigen eröffnen, der uns bis Ende Mai beschäftigen wird.
Ein Déjà-vu-Erlebnis für die Anleger
Bereits im Vorfeld der neuen Berichtssaison dürften viele Anleger ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben, denn wie in allen vorherigen Quartalen seit Ende 2011 wurden auch diesmal die Erwartungen sukzessive, aber kontinuierlich nach unten geschraubt, wobei auch die Schätzungen für das Gesamtjahr auf einen neuerlichen Tiefpunkt rutschten (siehe folgende Grafik).
Quelle: Standard & Poor‘s
Im vergangenen Jahrwurden diese Abwärtskorrekturen von den Anlegern relativ gelassen gesehen. Grund für diese Gelassenheit waren zunächst die erwarteten Auswirkungen der Fiskalklippe, die zum Jahreswechsel 2012/13 wirksam wurden und bis ins erste Halbjahr 2013 zu spüren waren. Das Mantra von Ökonomen und Analysten war in dieser Zeit stets: „Ab dem zweiten Halbjahr wird es besser!“
Das wurde es zwar tatsächlich, aber dennoch setzten sich die Abwärtskorrekturen fort, denn die Erwartungen der Analysten waren stets zu optimistisch und im Vergleich dazu die Prognosen der Unternehmen zu verhalten. Dennoch führten diese fundamentalen Rahmenbedingungen nicht zu spürbaren Rückschlägen an den Aktienmärkten.
Viel Optimismus trotz ernüchternder Fakten
Das mag auch daran gelegen haben, dass die Gewinnzuwächse ab dem zweiten Halbjahr 2013 – trotz der Abwärtskorrekturen – letztlich doch wieder komfortabel im zweistelligen Bereich lagen. Außerdem blieben die Analysten, wie gesagt, überaus optimistisch, so dass etwaige Zweifel rasch verflogen.
Das könnte sich nun jedoch ändern. Denn die Nachholeffekte in Folge der Fiskalklippe sind ausgelaufen. Und so wird der kumulierte Gewinn aller Unternehmen des S&P 500 im ersten Quartal 2014 voraussichtlich erstmals seit Ende 2012 gegenüber dem Vorquartal geschrumpft sein. Gegenüber dem Vorjahr dürfte sich dennoch ein Zuwachs ergeben, allerdings nur noch im mageren einstelligen Bereich.
Trotz dieser ernüchternden Fakten rechnen die Analysten in den kommenden Quartalen wieder mit kräftig steigenden Gewinnen. Bis Ende 2015 sollen die großen US-Konzerne Quartal für Quartal ziemlich genau 14 % mehr verdienen. Begründet wird dieser rasante Anstieg mit der guten Konjunkturlage (2015 soll die Wirtschaft laut den meisten Ökonomen um knapp 3 % wachsen, einige Optimisten rechnen sogar schon 2014 mit Werten bis zu 3,5 %). Verschärft sich das Margenproblem weiter?
Doch selbst wenn dieses Szenario eintrifft, dann bedeutet dies, dass die Gewinne der Unternehmen um elf Prozentpunkte stärker steigen als die Wirtschaft insgesamt wächst. Auch wenn man berücksichtigt, dass die meisten dieser Unternehmen international tätig sind: Die Weltwirtschaft dürfte bis 2015 bestenfalls kaum mehr als rund 4 % wachsen. Die Diskrepanz zwischen Wirtschafts- und Gewinnwachstum betrüge also immer noch nahe zehn Prozentpunkte.
Ein solches Ungleichgewicht hat jedoch nur Bestand, wenn die Margen der Unternehmen über einen längeren Zeitpunkt steigen können. Das tun aber bereits. Ende 2013 erreichten sie sogar fast exakt wieder den bisherigen Höchstwert von Ende 2011 bei knapp 10,3 % (siehe blaue Kurve in folgender Grafik).
Quelle: Federal Reserve Bank (* lager- und abschreibungskorrigierte Nachsteuergewinne der Unternehmen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)
Die angenommenen Gewinnsteigerungen im S&P 500 von 14 % für die kommenden sieben Quartalen bedeuten also nichts anderes, als dass die Analysten davon ausgehen, dass diese Kurve weiter deutlich steigt und sich damit noch mehr von ihrem historischen Durchschnittswert von gut 6,2 % entfernt (rote Linie).
Erster Warnschuss an den Aktienmärkten
Fazit: Ein weiterer Anstieg ist zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich, da wichtige Faktoren, die für den bisherigen Anstieg verantwortlich waren (z.B. die Ausnutzung von Steuervermeidungsstrategien), ausgereizt sind oder ihre Wirkung verlieren.
Mit der Normalisierung der Geldpolitik, die in den USA Ende 2013 eingeläutet wurde, dürften sich die Anleger daher wieder verstärkt auf die fundamentalen Rahmenbedingungen konzentrieren. Und dabei könnte ihnen auffallen, dass viele Aktienmärkte inzwischen zwar ambitioniert bewertet, aber diese Bewertungen möglicherweise nicht nachhaltig sind.
Vielleicht war der Kursrückgang an den US-Börsen am Freitag bereits ein Warnschuss in diese Richtung. Sie sollten also die nun beginnende Berichtssaison aufmerksam verfolgen. Die Antworten auf zwei Fragen sind dabei besonders wichtig: Wie optimistisch zeigen sich die Unternehmen für den weiteren Jahresverlauf? Und wie reagieren die Anleger auf diese Prognosen? Wenn trotz scheinbar guter Ausblicke die Kurse tendenziell fallen, ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Hoffnungen der Anleger enttäuscht werden. Das könnte die – lang erwartete – größere Konsolidierung nach fünf Jahren Bullenmarkt einläuten.
Torsten Ewert
Stockstreet GmbH