Die Internationale Energieagentur (IEA) hat kürzlich in einem neuen Bericht die internationale Expansion der erneuerbaren Energien modelliert. Darin prognostiziert sie das Wachstum der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2027 unter Berücksichtigung der aktuellen Politik und Marktbedingungen.
Die IEA wurde ursprünglich als Reaktion auf die Ölschocks 1973 gegründet, um den Verbraucherländern ein Gegengewicht zur OPEC zu bieten. Die Idee bestand darin, dass ölverbrauchende Länder strategische Erdölreserven anlegen sollten, die in Zusammenarbeit mit anderen Ländern eingesetzt werden könnten, um durch die OPEC oder auf andere Weise ausgelöste Versorgungsengpässe auszugleichen. Seitdem hat die IEA eine viel umfassendere Rolle bei der Energieanalyse übernommen und erstellt Prognosen zu Angebot und Nachfrage für Öl und andere Energieformen, wie z. B. erneuerbare Energien.
Für Rohstoffhändler stellt sich die Frage, ob die Prognosen über das Wachstum der erneuerbaren Energien bei der Beurteilung des Marktes und der künftigen Ölnachfrage berücksichtigt werden sollten.
Die meisten Befürworter erneuerbarer Energien glauben, dass diese Formen der Stromerzeugung die Nutzung fossiler Brennstoffe überflüssig machen werden. Folglich sollten Ölhändler grundsätzlich davon ausgehen, dass Analysen, die ein signifikantes Wachstum der erneuerbaren Energien prognostizieren, langfristig ein bärisches Signal für Öl darstellen.
Eine genauere Betrachtung der aktuellen Prognose zeigt jedoch, dass Händler sie nicht als Zeichen dafür werten sollten, dass die Ölnachfrage in den nächsten fünf Jahren stagnieren oder sogar zurückgehen könnte.
In der IEA-Analyse werden die erneuerbaren Energien sehr positiv und die fossilen Brennstoffe wie Öl, Erdgas und Kohle relativ negativ bewertet.
Glaubt man der IEA, machen erneuerbare Energien "bis Anfang 2025 den größten Anteil an der globalen Stromerzeugung aus und lösen damit die Kohle ab".
Weiter heißt es, dass die installierte Kapazität der Photovoltaik (d. h. die Energiemenge, die eine Photovoltaikanlage unter idealen Bedingungen erzeugen soll) "im Jahr 2027 die der Kohle übertreffen wird". Eine solche Behauptung lässt sich nur bedingt ernst nehmen, da der globale Kohleverbrauch im Jahr 2022 erheblich gestiegen ist und auch im Jahr 2023 weiter steigen wird.
Letzten Monat stellte die IEA in einem Bericht fest, dass der Kohleverbrauch im Jahr 2022 zugenommen hat. Europa verbrauchte im September 2022 8 % mehr Kohle als im September 2021. Tatsächlich nimmt der Kohleverbrauch überall zu, außer in den Vereinigten Staaten.
Im Übrigen wäre der globale Kohleverbrauch in diesem Jahr noch höher ausgefallen, wenn China sich wirtschaftlich stärker entwickelt hätte. Mit dem Ende der Null-Covid-Politik Chinas dürfte der Kohleverbrauch im Jahr 2023 sogar noch weiter ansteigen.
Ein Großteil dieser Zunahme ist auf die Sanktionen gegen den Kauf von russischem Erdgas durch europäische Länder zurückzuführen, die nun auf Kohle umsteigen, um einen Teil des Erdgases für die Stromerzeugung zu ersetzen.
Außerdem sind asiatische Länder wie China und Indien zur Deckung ihres Erdgasbedarfs auf importiertes Flüssigerdgas (LNG) angewiesen, dessen Preis gestiegen ist, da Europa jetzt mehr LNG kauft. Deshalb wird ein Teil des LNG, das die asiatischen Länder bislang importierten, durch Kohle ersetzt. Eine Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine zeichnet sich nicht ab, daher müssen Händler damit rechnen, dass diese Situation bis ins Jahr 2023 andauern wird.
Das bedeutet, dass sich die Länder der Welt trotz der offiziellen Politik Chinas, Indiens, der USA und Europas, die die Installation von mehr Windturbinen und Solaranlagen fördern, weiterhin auf fossile Brennstoffe verlassen.
Sie greifen alle auf Öl und Kohle zurück - und nicht auf Wind und Sonne -, wenn Erdgas nicht verfügbar oder zu teuer ist. Diese Realität macht die von der IEA in ihrem Bericht "Renewables 2022" beschriebene Zukunft noch unwahrscheinlicher.
Für Händler, die abschätzen wollen, wie sich das Wachstum der erneuerbaren Energien in den nächsten fünf Jahren auf die Ölnachfrage auswirken wird, ist die Prognose der IEA keine zuverlässige oder nützliche Informationsquelle.
Obwohl die Nachfrage nach Solar- und Windenergie in den nächsten fünf Jahren mit Unterstützung von Regierungen und NGOs voraussichtlich steigen wird, dürften die erneuerbaren Energien die traditionellen Energieträger nicht annähernd in dem von der IEA prognostizierten Maße ersetzen.