Seit der Einführung der Schuldenbremse wird die Diskussion über ihre Abschaffung immer wieder geführt. Im Kern geht es darum, ob man sparen sollte oder Geld durch Kreditaufnahme ausgeben sollte. Welche Argumente werden dabei vorgebracht?
Die aktuelle Situation
Die Wirtschaft in Deutschland befindet sich in einer schwierigen Phase, und die Stimmung sowohl bei Unternehmen als auch bei Verbrauchern ist gedämpft. Im Gegensatz zu einigen europäischen Nachbarländern fehlt es hierzulande an wirtschaftlicher Dynamik. Es wird bereits vor der Möglichkeit gewarnt, dass Deutschland erneut zum "kranken Mann Europas" werden könnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck beschreibt die Lage als "untertrainiert", betont jedoch, dass Deutschland nicht "krank" sei.
Die Forderungen nach staatlichen Unterstützungsprogrammen durch die Bundesregierung werden lauter. Es wird nach einer neuen "Agenda" gerufen, die an die "Agenda 2010" des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder angelehnt ist. Die Grünen setzen sich für eine "Investitionsagenda" ein, die auch den Industriestrompreis umfasst. Die Union fordert ein "Sofortprogramm" für die Wirtschaft, während die FDP steuerpolitische Maßnahmen zur Ankurbelung vorschlägt und ihr Konzept als "Wachstumschancengesetz" bezeichnet. Die Frage, die bleibt, betrifft die Finanzierung. Soll die Regierung neue Schulden aufnehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln? Finanzminister Christian Lindner lehnt dies ab, aber nicht alle sind seiner Meinung. Die Debatte über die Schuldenbremse wird erneut entfacht.
Warum gibt es die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse ist im deutschen Grundgesetz verankert (Artikel 109 und 115) und hat daher Verfassungsrang. In einfachen Worten legt sie fest, dass die Bundesregierung nicht mehr Geld ausgeben darf, als sie durch Steuereinnahmen einnimmt. Der Bundeshaushalt muss grundsätzlich ohne Kredite ausgeglichen sein. Diese Regelung gilt auch für die Bundesländer. Ihr Zweck ist es, die Staatsverschuldung zu begrenzen.
Es gibt jedoch einen Spielraum, der für den Bund höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Es ist auch möglich, die konjunkturelle Lage symmetrisch zu berücksichtigen: In wirtschaftlich schlechten Zeiten kann die zulässige Nettokreditaufnahme aufgrund der Konjunktur erhöht werden, während sie in guten Zeiten entsprechend reduziert wird. Die Schuldenregel wurde erstmals im Haushalt für das Jahr 2011 angewendet und für den Bund ist sie seit 2016 verbindlich. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelkoalition dazu verpflichtet, an der Schuldenbremse festzuhalten.
Kann die Schuldenbremse in Notsituationen ausgesetzt werden?
Ja, in Fällen von Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Dies geschah 2020 und 2021 aufgrund der COVID-19-Pandemie und im darauffolgenden Jahr aufgrund der Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Eine Mehrheit im Deutschen Bundestag muss immer zustimmen. Gleichzeitig muss ein Tilgungsplan beschlossen werden, der vorsieht, dass die ausnahmsweise gewährten Kredite in angemessener Zeit zurückgezahlt werden.
Wie kann die Schuldenbremse umgangen werden?
Beispiele für die Umgehung der Schuldenbremse sind die zahlreichen milliardenschweren Sonderfonds wie der Corona-Wirtschaftsstabilitätsfonds (WSF), der Energie- und Klimafonds (EKF), der jetzt als Klima- und Transformationsfonds (KTF) bekannt ist, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds für die Gas- und Strompreisbremse oder das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Vorteil dabei ist, dass die in diesen Fonds verwendeten Gelder nicht im regulären Haushalt auftauchen und somit nicht den Vorgaben der Schuldenbremse unterliegen. Mit anderen Worten, die Ausgaben werden außerhalb des regulären Haushalts getätigt. Das Sondervermögen für die Bundeswehr wurde jedoch im Grundgesetz verankert. Es wird in einem neuen Absatz unter Artikel 87a aufgeführt.
Der Wortlaut des neuen Artikels 87a:
"Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."
Kann die Schuldenbremse abgeschafft werden?
Seit ihrer Einführung wird auch über die Abschaffung der Schuldenbremse gestritten. Um dies zu erreichen, wäre jedoch eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erfordert.
Wie argumentieren die Befürworter der Schuldenbremse?
Grundsätzlich macht es Sinn, nicht mehr Geld auszugeben, als man zur Verfügung hat. Dies gilt sowohl im kleinen als auch im großen Maßstab. In Bezug auf die Staatsverschuldung wird oft das Argument der Generationengerechtigkeit ins Spiel gebracht. Die Schuldenbremse wird als zentrales Instrument für die zukünftige Handlungsfähigkeit der jungen Generation betrachtet, wie es beispielsweise der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, betont.
Die FDP sieht die Schuldenbremse als nicht verhandelbar an. Finanzminister Lindner fordert von seinen Kabinettskollegen einen strikten Sparkurs. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2024 sieht erhebliche Ausgabenkürzungen vor. Lindners Botschaft lautet, dass der Staat nach den Ausgaben im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und der Energiekrise wieder lernen muss, mit den finanziellen Mitteln der Bürgerinnen und Bürger auszukommen. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist ein Gebot des Grundgesetzes, erinnerte auch Justizminister Marco Buschmann, ein Parteikollege von Lindner. Er betonte, dass die Schuldenbremse keine flexible Angelegenheit ist und sie eine rechtliche Leitplanke für die Politik darstellt, die ernsthaft den Rechtsstaat respektiert.
Auch die CDU betrachtet die Schuldenbremse als unverrückbar und besteht darauf, sie einzuhalten. Generalsekretär Carsten Linnemann sagte: "Die Schuldenbremse ist unverrückbar, die CDU wird davon keinen Millimeter abweichen." Seine Partei hatte Finanzminister Lindner wiederholt vorgeworfen, die Schuldenbremse nur auf dem Papier einzuhalten, indem haushaltspolitische Tricks angewendet wurden.
Welche Kritik gibt es an der Schuldenbremse?
Kritiker argumentieren, dass die Schuldenbremse wichtige Investitionen behindert. Sie behaupten, dass der Staat an der falschen Stelle spart und Kredite für Investitionen in Bereiche wie Straßen, Schienen, Brücken, Bildung und Energieerzeugung vernachlässigt, was teure Konsequenzen für zukünftige Generationen haben könnte. Das Sparen heute könnte die Handlungsspielräume für die Zukunft einschränken. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche könnten Investitionsprogramme dazu beitragen, die Wirtschaft anzukurbeln.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält die Schuldenbremse für "schädlich". Er bezeichnet sie als ein Überbleibsel aus der Vergangenheit und fordert die Bundesregierung auf, ihre fixe Obsession mit der Schuldenbremse in Krisenzeiten aufzugeben. Stattdessen empfiehlt er eine Mindestgrenze für ökologische, wirtschaftliche und soziale Investitionen, um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft zu gewährleisten. Michael Hüther, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), betrachtet die Schuldenbremse als eine "Steuersenkungsbremse".
Auch Gewerkschaften sind gegen die Schuldenbremse. DGB-Chefin Yasmin Fahimi argumentiert, dass es falsch sei, während eines Umbruchs auf der Schuldenbremse zu bestehen. Ihrer Meinung nach sind Milliardeninvestitionen in die soziale Infrastruktur notwendig, da der Pflegenotstand vorherrscht und Deutschland auf eine Bildungskrise zusteuert. Dies gefährde den sozialen Zusammenhalt und somit auch die Demokratie.
Die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, äußert sich weniger eindeutig. Sie glaubt, dass es keine gute Idee wäre, die Schuldenbremse auszusetzen, um Konjunkturprogramme zu finanzieren. Stattdessen schlägt sie vor, die Schuldenbremse nur dann auszusetzen, wenn der Staat den Wohnungsbau und die energetische Gebäudesanierung vorantreibt.
Wo steht die Ampelkoalition in dieser Frage?
Die Meinungen in der Ampelkoalition sind gespalten. Der Bundeskanzler ist der Ansicht, dass die Regierung durch die Einhaltung der Schuldenbremse wieder auf dem richtigen Weg ist. Olaf Scholz, der vor seiner Kanzlerschaft als Bundeshaushalter in der Großen Koalition tätig war, verantwortete 2019 einen ausgeglichenen Haushalt und danach einen kreditfinanzierten Krisenhaushalt. Als Kanzler bekennt er sich dazu, die Schuldenbremse in der aktuellen und den kommenden Jahren einzuhalten, wie es auch im Koalitionsvertrag festgelegt ist.
Auch Vize-Kanzler Robert Habeck geht davon aus, dass die Schuldenbremse bis zum Ende der Legislaturperiode eingehalten wird, "vorausgesetzt, es passiert nichts Unvorhergesehenes". Die FDP ist jedoch die einzige Partei in der Koalition, die sich klar zur Schuldenbremse ohne Vorbehalt bekennt.
Warum wird die Debatte nun erneut geführt?
Der Hauptgrund dafür ist die anhaltende Krise und die damit verbundene Stimmung der Unsicherheit. Die Wirtschaft stagniert, und die Politik steht vor großen Herausforderungen, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Dies betrifft den Klimaschutz, die Energieerzeugung, die Landesverteidigung und die Digitalisierung. Das Schlagwort lautet Transformation. Daher liegt es nahe, die Schuldenbremse erneut auszusetzen oder sogar abzuschaffen.
Der Vorstoß dazu kam überraschenderweise von einem CDU-Politiker aus Berlin. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, forderte, die Schuldenbremse für fünf Jahre auszusetzen, um Investitionen in neue Schulen, die Förderung des Wohnungsbaus und Maßnahmen zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung zu ermöglichen. Dies sei die einzige Möglichkeit, den Industriestandort Deutschland zu sichern und zu stärken. Er erhielt Unterstützung von Franziska Giffey, einer SPD-Politikerin und seiner Stellvertreterin in Berlin. Auch einige SPD-Bundestagsabgeordnete begrüßten diesen Vorstoß. Die CDU nahm den Vorschlag jedoch schnell zurück. Bisher war er nicht mehr als ein Testballon. Dies reichte jedoch aus, um die Debatte erneut anzuheizen.
Es bleibt die Frage, wie eventuelle Konjunkturprogramme finanziert werden könnten. Neben der Aufnahme von Krediten bleibt auch die Möglichkeit einer Erhöhung der Einnahmenseite. Doch die FDP reagiert ähnlich allergisch auf Steuererhöhungen wie auf die Aussetzung der Schuldenbremse.