- Die CRM-Aktie reflektiert die allgemeine Marktstimmung - die aber jetzt eindeutig getrübt ist
- Ein enttäuschender Bericht für das 2. Quartal zeigt eine Verlangsamung des Wachstums
- Auf den ersten Blick erscheint die CRM-Aktie nicht gerade preiswert - und bei näherer Betrachtung stehen einige Fragezeichen hinter der Bewertung
Vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie fungierte Salesforce.com (NYSE:CRM) lange Zeit als ein hervorragendes Stimmungsbarometer für Investoren. Tatsächlich schien es der Inbegriff des Bullenmarktes der 2010er Jahre zu sein.
Salesforce.com war gewiss ein exzellentes Unternehmen. CRM gelang es, den Umsatz jedes Jahr um mehr als 20 % steigern. Das Unternehmen leistete Pionierarbeit bei der Entwicklung von Software-as-a-Service (SaaS), auch bekannt als "Cloud"-Software. Salesforce selbst sagte Anfang 2019, dass es als schnellstes Unternehmen für Unternehmenssoftware einen Umsatz von 13 Mrd. USD erreicht hat.
Die Salesforce-Aktie hat das immer widergespiegelt - und noch mehr. Die Aktie notierte in der Regel weit über dem 50-fachen des Gewinns je Aktie. Wertorientierte Investoren (wozu auch ich mich zähle) schauten sich CRM an und dachten: "Ja, das ist ein tolles Unternehmen - aber die Bewertung ist einfach zu hoch." Und dann stieg die Aktie weiter. Zwischen Anfang 2010 und Anfang 2020 ist der Aktienkurs von Salesforce um 782 % in die Höhe geschossen.
Dieses Jahrzehnt ist bisher jedoch ganz anders gelaufen. Nachdem die CRM-Aktie am Mittwoch auf dem niedrigsten Stand seit 27 Monaten schloss, liegt sie nun seit Anfang 2020 um 10 % im Minus. Der NASDAQ 100, ein Index mit vielen anderen großen Technologieunternehmen, ist im gleichen Zeitraum um 41 % gestiegen.
Quelle: Investing.com
Auf den ersten Blick lässt sich das nur schwer nachvollziehen. Salesforce scheint mehr oder weniger das gleiche Unternehmen zu sein, das es immer war. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Salesforce mag immer noch so ziemlich das gleiche Unternehmen sein - aber es agiert eindeutig nicht mehr auf dem selben Markt.
Für Perfektion bepreist
Das Problem bei der Bewertung von CRM vor der Pandemie waren nicht nur der Multiplikator zum Gewinn oder der freie Cashflow. Es war die Tatsache, dass CRM bei näherem Hinsehen sogar noch teurer war als auf den ersten Blick.
Wie viele andere Technologieunternehmen berücksichtigt auch Salesforce bei der Berechnung des bereinigten Gewinns nicht zahlungswirksame Aufwendungen. In einigen Fällen, z. B. bei der Abschreibung immaterieller Vermögenswerte, lassen sich diese Auslassungen einigermaßen rechtfertigen.
Aber fast alle Tech-Unternehmen, Salesforce eingeschlossen, rechnen auch die aktienbasierte Vergütung nicht mit ein. Das ist schon problematischer. Diese Vergütung ist natürlich keine Barausgabe. Im Gegensatz zu Abschreibungen auf erworbene immaterielle Vermögenswerte sind die aktienbasierten Vergütungen jedoch ein direkter Aufwand, der sich aus dem Betrieb des Unternehmens in diesem bestimmten Zeitraum ergibt. Sie wird einfach in Aktien und nicht in bar bezahlt.
Und Salesforce gibt eine ganze Menge Aktien aus. Die Prognosen für das Geschäftsjahr 2023 (Ende Januar) deuten darauf hin, dass die aktienbasierte Vergütung mehr als 10 % vom Umsatz betragen wird. Salesforce prognostiziert eine operative Gewinnspanne von 20,4 %, doch die Hälfte dieses "Gewinns" wird allein durch die Nichtberücksichtigung von Aktienoptionen mit einem Barwert von rund 3 Mrd. USD erzielt.
Vor Covid-19 waren die Anleger relativ willig, dieses potenzielle Problem zu ignorieren. CRM schloss beispielsweise das Jahr 2019 bei 162,64 USD. Im Geschäftsjahr 2020 verdiente das Unternehmen auf bereinigter Basis 2,99 USD pro Aktie, was einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 54x entspricht.
Von diesen 2,99 USD stammten jedoch immerhin 2,10 USD aus der Nicht-Berücksichtigung der aktienbasierten Vergütung. Weitere 39 Cent stammten aus der Mark-to-Market-Bewertung der Investitionen des Unternehmens. Wenn man die Ausgabe von Aktien einbezieht, war das operative Geschäft von Salesforce kaum profitabel.
Die Zahlen zum freien Cashflow (FCF) sahen zwar besser aus, aber auch hier war die aktienbasierte Vergütung von Nutzen. Sie machte fast die Hälfte des FCF des Unternehmens aus. Bereinigt um diese Vergütung zahlten die Anleger insgesamt mehr als das 300-fache des Gewinns und etwa das 100-fache des freien Cashflows.
Kein Raum für Fehler
Im aktuellen Marktumfeld achten die Anleger eindeutig stärker auf die Bewertung. Und Salesforce ist nicht mehr ganz das Unternehmen, das es noch vor ein paar Jahren war.
Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Bericht zum 2. Quartal unterstreicht diese Tatsache. Auf den ersten Blick wirkt der Bericht solide: Sowohl Umsatz als auch Gewinn übertrafen die Schätzungen der Wall Street.
Aber Salesforce übertrifft die Schätzungen der Börse immer. Nach meinen Informationen ist es mindestens ein Jahrzehnt her, dass das Unternehmen hinter seiner Prognose zurückgeblieben ist. Noch wichtiger ist jedoch, dass CRM seine Prognose für das Gesamtjahr senkte und ein enttäuschendes Wachstum von 11 % bei den Fakturierungen (die den tatsächlich im Quartal erzielten Umsatz widerspiegeln, im Gegensatz zu den zuvor gebuchten, aber abgegrenzten Umsätzen) verzeichnete.
Die Geschäftsleitung machte längere Geschäftszyklen für die schwache Entwicklung des Transaktionsvolumens verantwortlich. Viele andere Cloud-Anbieter äußerten sich ähnlich. Das Problem für Salesforce ist jedoch, dass das nachlassende Wachstum im aktuellen Kurs nicht einkalkuliert ist.
Selbst wenn die Aktie um 50 % gegenüber den letztjährigen Höchstständen und wie erwähnt um 10 % gegenüber Ende 2019 gefallen ist, bleibt die Aktie von CRM unter Berücksichtigung der aktienbasierten Vergütung teuer. Das Unternehmen rechnet in diesem Jahr mit einem bereinigten Gewinn je Aktie von 4,71 bis 4,73 USD, was einem angemessenen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 33 entspricht. Dieser Ausblick wird jedoch durch aktienbasierte Vergütungen um 3,23 USD geschönt (laut Unternehmen selbst); wenn man das herausrechnet, wird CRM mit dem 100-fachen des Gewinns gehandelt. Das Verhältnis zwischen Kurs und freiem Cashflow dürfte auf derselben Basis bei über 50 liegen.
Es ist gut möglich, dass Salesforce.com als Unternehmen immer noch gut genug ist, um diese Multiples zu stützen. Zumindest gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Unternehmen Marktanteile verliert und/oder dass die Kunden von dem Produkt enttäuscht sind.
Aber selbst die besten Unternehmen müssen sich irgendwann Bewertungsfragen stellen. Für mich ist klar, dass Salesforce.com an diesem Punkt angekommen ist.
Disclaimer: Vince Martin ist derzeit in keinen der hier besprochenen Wertpapiere investiert.