In den letzten zwei Wochen wurden zwei sehr unterschiedliche Prognosen für den Ölmarkt veröffentlicht.
Die erste stammt von der OPEC und bietet einen vorsichtigen Ausblick auf Angebot und Nachfrage im Jahr 2022. Bei der zweiten, die von Morgan Stanley kommt, wird eine positivere Sicht auf die globale Nachfrage und das begrenzte Angebot gezeichnet, die jedoch auf vielen fragwürdigen Annahmen beruht.
Im Folgenden finden Sie eine Analyse der beiden Szenarien und ihrer möglichen Auswirkungen auf die Rohölpreise.
1. OPEC: vorsichtige Prognose zu Angebot und Nachfrage
Die OPEC+ hielt in der letzten Woche ein virtuelles Treffen ab und beschloss nach weniger als einer Stunde der Diskussion an ihrem bestehenden Plan festzuhalten, der darauf hinausläuft, die Ölproduktion im Oktober um 400.000 bpd zu erhöhen. Im Juli einigte sich die Gruppe auf ein langfristiges Produktionsprogramm, bei dem die OPEC+ die Produktion bis September 2022 jeden Monat um 400.000 bpd ausbauen wird.
Da die Gruppe sich jedoch auch weiterhin jeden Monat treffen möchte, kann sie die Marktbedingungen jedes Mal neu bewerten und möglicherweise beschließen, ihre Pläne aufgrund der aktuellen Bedingungen oder neuer Prognosen zu revidieren.
Auf ihrem Treffen im September schauten sich die OPEC+-Minister neue Prognosen für den Ölmarkt an. Die Prognose für 2021 wurde nicht veröffentlicht, aber Personen, die auf dem Treffen waren, berichteten, dass die kommerziellen Ölvorräte in der OECD (dem Klub der entwickelten Industrienationen) voraussichtlich bis Mai 2022 unter dem Durchschnitt von 2015-2019 bleiben werden.
Für die Zeit danach wird jedoch erwartet, dass die Ölreserven der OECD anwachsen und bis Ende 2022 Spitzenwerte erreichen könnten. Diese Prognose geht davon aus, dass die weltweite Ölnachfrage auf das Niveau vor der Pandemie von etwa 100 Millionen bpd zurückkehrt.
Die OPEC präsentierte auch ein zweites Szenario, das davon ausgeht, dass die weltweite Ölnachfrage 2022 nicht auf das Vorkrisenniveau zurückkehrt und stattdessen um 2 Millionen bpd darunter bleibt. In diesem Szenario wird erwartet, dass die kommerziellen Ölvorräte noch stärker steigen und früher ihren Höchststand erreichen werden.
Die Botschaft für Händler ist: Wenn die Nachfrage aus irgendeinem Grund (Pandemie, Inflation, wirtschaftliche Rezession) unter das Niveau vor der Pandemie fällt und die OPEC+ die Produktion wie geplant weiter erhöht, könnten wir in 2022 einen steilen Anstieg der kommerziellen Öllagerbestände zu sehen bekommen.
Dies würde auch zu fallenden Ölpreisen führen. Die OPEC+ ist möglicherweise in der Lage, ihre Angebotssteigerungen anzupassen und zurückzufahren, aber wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, kann es leicht zu Streit unter ihren Mitgliedern kommen, sodass einige die Produktion unabhängig von globalen Nachfragesignalen erhöhen könnten.
2. Morgan Stanley: Szenario mit optimistischer Nachfrage und geringerem Angebot
Im Gegensatz zur OPEC+ hat Morgan Stanley kürzlich eine sehr optimistische Prognose der erwarteten Ölmarktbedingungen abgegeben. Die Bank macht sich viel weniger Sorgen über die Zunahme der Ölvorräte im Jahr 2022. Ihre Analysten gehen davon aus, dass Explorations- und Produktionsunternehmen (E&P) in den Vereinigten Staaten weiterhin „Kapitaldisziplin“ üben und die Produktion nicht nennenswert erhöhen werden.
Sie glauben auch, dass die OPEC+ ihre Produktionspläne anpassen wird, um zu verhindern, dass die kommerziellen Ölvorräte zu hoch steigen. Aufgrund von Analysen der Biotech-Sparte von Morgan Stanley (NYSE:MS) gehen die Ölanalysten zudem davon aus, dass die aktuelle Welle von Coronavirus-Infektionen, die sie auf die Delta-Variante zurückführen, im September nachlassen und die US-Benzinnachfrage steigen wird.
Die Analysten von Morgan Stanley rechnen außerdem damit, dass sich die Nachfrage in China ähnlich entwickeln wird. Daher sehen sie keinen Grund, warum die Ölnachfrage nicht das Niveau vor der Pandemie erreichen sollte.
Diese Analyse beruht auf vielen Annahmen, von denen jede wie prognostiziert eintreten muss, damit das Angebot nicht schneller als die Nachfrage wächst. Händler sollten sich hüten, sich auf eine Prognose zu verlassen, die auf zu vielen Annahmen beruht, die leicht in die andere Richtung gehen könnten.
Beispielsweise könnte die OPEC+ leicht in eine Situation geraten, in der einige Mitglieder die Angebotserhöhungen (z. B. Saudi-Arabien) verringern möchten, während andere dies nicht tun (z. B. die Vereinigten Arabischen Emirate und der Irak). Dies könnte zu einer Pattsituation führen, wie wir sie Anfang des Sommers gesehen haben.
In den Vereinigten Staaten expandieren die Ölgesellschaften nicht mehr wie früher, aber die Ölproduktion steigt. Bis Ende August war die Produktion auf bis zu 11,5 Mio. bpd zurückgekehrt. Dies entspricht einem Anstieg von 500.000 bpd seit Anfang Juni.
Da die Regierung von Biden ihr Moratorium für Bohrpachtverträge auf Bundesland lockert, ist es möglich, dass wieder mehr E&P-Unternehmen an Bohrungen interessiert sind.
Vor allem in Bezug auf das Coronavirus erscheint die Prognose von Morgan Stanley suspekt, insbesondere was die Benzinnachfrage betrifft. Ja, die Coronavirus-Welle im Süden der USA scheint nachzulassen, aber es ist unklar, warum Morgan Stanley nicht glaubt, dass der Nordosten und der Mittlere Westen im Herbst und Winter keinen ähnlichen Anstieg erleben werden (wie letztes Jahr nach der Sommerwelle im Süden).
Laut GasBuddy haben Florida und Texas keinen bemerkbaren Nachfragerückgang während der Corona-Welle in diesem Sommer verzeichnet. In den nordöstlichen Teilen der Vereinigten Staaten ist es jedoch wahrscheinlicher, dass Eingriffe von Seiten der Verwaltungen oder Unternehmen selbst im Falle einer lokalen Infektionswelle wieder zu Bewegungseinschränkungen führen könnten.