In Stein gemeißelte Tatsachen gibt es in der Wirtschaftsanalyse nicht. Feste Erwartungen können trügerisch sein und zu unerwünschten Ergebnissen führen. Ein Beispiel hierfür ist die Rezessionswarnung, die vor fast zwei Jahren durch eine inverse Renditekurve bei Staatsanleihen ausgelöst wurde. Viele Analysten hielten dies für ein nahezu sicheres Zeichen einer bevorstehenden Rezession, doch die Realität sah anders aus.
Der Spread zwischen den 10-jährigen und 3-monatigen Treasury-Renditen rutschte damals in den negativen Bereich, was die Warnungen vor einer nahenden US-Rezession verstärkte. Zahlreiche Marktbeobachter betrachteten dies als ein quasi unfehlbares Signal.
Trotz einiger konjunktureller Schwächen hat sich die US-Wirtschaft laut dem National Bureau of Economic Research, dem offiziellen Hüter der Konjunkturdaten, bis heute weiter erholt und das Rezessionsszenario blieb aus.
Auch andere Wirtschaftsindikatoren bestätigen dieses Bild. Der jüngste S&P Global US Composite PMI-Bericht vom September, der als Indikator für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gilt, zeigt weiterhin eine solide monatliche Verbesserung der Geschäftsaktivitäten zum Ende des dritten Quartals, wie von S&P Global Market Intelligence berichtet.
Zudem deuten mehrere BIP-Prognosen auf ein solides Wachstum im dritten Quartal hin. Die aktuelle Schätzung der Atlanta Fed für das Produktionswachstum bis Ende September liegt bei 2,5 % (Stand: 1. Oktober). Sollte diese Zahl auch nur annähernd korrekt sein, würde das dritte Quartal mit deutlichem Abstand rezessionsfrei bleiben.
Die wichtigste Lektion aus diesen Entwicklungen: Die Prognose einer Rezession auf Grundlage der Zinskurve erwies sich als Fehleinschätzung. Dass einzelne Indikatoren falsche Signale liefern, ist keine Seltenheit, und im Nachhinein ist es klar, dass Rezessionsprognosen keine Gewissheiten bieten können.
Einige Analysten glaubten, dass eine abweichende Gestaltung der Renditekurve genauere Signale liefern würde. Andere schlugen vor, mehrere Renditekurven zu nutzen, um eine breitere Datengrundlage und damit robustere Vorhersagen zu schaffen. Doch dieser Ansatz blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Im Juli 2022 untersuchte CapitalSpectator.com einen Indikator, der auf mehreren Renditekurven basiert. Zu diesem Zeitpunkt stieg das implizite Rezessionsrisiko an und schien die 50 %-Marke zu überschreiten, was als Wendepunkt gilt.
Aktuelle Daten zeigen jedoch, dass der Indikator eine Rezessionswarnung für Ende 2022 ausgegeben hat, die bis zum 3. Oktober Bestand haben sollte. Trotz dieser Warnung hat in den USA bislang keine Rezession begonnen und es deutet auch nichts darauf hin, dass sie unmittelbar bevorsteht.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Analyse der Renditekurven wertlos ist. Der Fehler lag in der Annahme, dass ein einzelner Indikator ausreicht, um eine Rezession zuverlässig vorherzusagen.
Ein umfassenderer Ansatz, der eine Vielzahl diversifizierter Indikatoren einbezieht, filtert einen Großteil des „Rauschens“ heraus und maximiert die Genauigkeit des Signals. Auch dieser Ansatz ist nicht perfekt, vermeidet aber viele der Fehler, die bei der Fokussierung auf einzelne Indikatoren entstehen.
Beispielsweise haben die wöchentlichen Updates des US Business Cycle Risk Report, die auf zusammengesetzten Konjunkturindikatoren basieren, die falschen Rezessionswarnungen der letzten zwei Jahre erfolgreich umgangen.
Warum? Weil man nicht alles auf eine Karte setzt. Der aktuelle Composite Recession Probability Index (CRPI) bewertet das Rezessionsrisiko derzeit als gering (etwa 11 % per 27. September).
Die Renditekurve ist nur eine von vielen Komponenten des CRPI. Allein auf sie zu setzen, ist riskant. Zwar wird kein Prognosemodell jemals vollkommen fehlerfrei sein, aber durch die Verwendung eines breiten Spektrums an Indikatoren lässt sich das „Rauschen“ erheblich reduzieren – eine Lektion, die uns das Versagen der Renditekurve in den letzten zwei Jahren gelehrt hat.