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Risikofreude weicht Risikoaversion - Nirgends Entspannungssignale

Veröffentlicht am 10.10.2022, 10:03
Aktualisiert 09.07.2023, 12:32
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Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 0,9737 (05:32 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 0,9726 im fernöstlichen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 145,41. In der Folge notiert EUR-JPY bei 141,68. EUR-CHF oszilliert bei 0,9678.

Risikofreude weicht Risikoaversion

Die in der letzten Woche zunächst dominierende erhöhte Risikobereitschaft an den Finanzmärkten stellte sich als nur eine kurzfristige Episode in Form einer überfälligen technischen Korrektur dar. Zum Wochenschluss wurden die größten Teile dieser Korrektur an den Aktienmärkten konterkariert. Auch heute morgen liefern die asiatischen Aktienmärkte Kursrückgänge und bestätigen damit das Thema erhöhter Risikoaversion.

An den Kapitalmärkten dominieren heute früh höhere Zinsen. Aktuell stellt sich die Renditen der 10-jährigen Bundesanleihe auf 2,19% nach 2,08% am Freitag. 10 jährige US-Staatsanleihen bringen es heute früh auf 3,89% (Freitag 3,84%). Höhere Zinsen generieren höhere Diskontierungsfaktoren für alle anderen Märkte. Das ist ein endogener Belastungsfaktor unter vielen anderen exogenen Belastungsfaktoren.

Bei zunehmender Risikoaversion erfreut sich der USD erhöhter Beliebtheit. Entsprechend gewann der USD an den Devisenmärkten an Boden. Der Euro hat den „Flirt“ mit der Parität als Folge konsequent beendet. Auch Gold und Silber verloren gegenüber dem USD an Boden.

Nirgends Entspannungssignale

Ein entscheidendes Problem, warum die technische Korrektur so kurzlebig war, liegt darin begründet, dass es nirgends belastbare Entspannungssignale gibt. Aus solchen Gründen „verhungern“ technische Korrekturen. Ganz im Gegenteil zeigen sich vermehrt Problem- und Krisenfelder.

In der Ukraine-Krise ist die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung des militärischen Konflikts im höchsten Maße wahrscheinlich. Der Angriff auf die Kertsch-Brücke eröffnet voraussichtlich ein neues Kapitel der Eskalation. Das verschärft tendenziell insbesondere für Europa das Problem der Versorgungslage. Alle europäischen Daten, die am Freitag veröffentlicht wurden weisen in nur eine Richtung, abwärts (siehe Datenpotpourri). Es werden Rekordwerte nahezu am laufenden Band verzeichnet, leider nur mit den falschen Vorzeichen. Die Lage der USA ist entspannter.

Die US Regierung forciert den Wirtschaftskrieg gegen China. Die US-Regierung will die technologischen Fortschritte Chinas mit einer Reihe von Exportbeschränkungen ausbremsen. Demnach dürfen die Chip-Zulieferer KLA, Lam Research and Applied Materials (NASDAQ:AMAT) keine Anlagen mehr an chinesische Werke liefern, die fortschrittliche Logikchips herstellen. Auch andere Länder sollten sich an den US-Vorschriften beteiligen, um die Wirkung der Maßnahmen zu verstärken.

Kommentar: Man gewöhnt sich so zügig an neue Parameter. Wird eigentlich noch die Frage gestellt, ob diese US-Maßnahmen überhaupt mit dem internationalen Regelwerk der WTO im Einklang stehen? Das Regelwerk der WTO und die Schiedsgerichtsbarkeit bilden das Skelett der globalen Wirtschaftswelt aus. Wie sieht ein Körper ohne Skelett aus? Oder sind rechtsstaatliche Strukturen im globalen Wirtschaftsverkehr für uns in Europa mittlerweile so irrelevant wie sie offensichtlich in den USA sind, obwohl unser export- und importseitiges Wirtschaftssystem von dieser Rechtsstruktur elementar abhängig ist? Gibt es in Brüssel, Berlin oder in Paris noch konsequentes Denken, das eigenen Interessen Rechnung trägt?

Seitdem die USA die Struktur der Schiedsgerichtsbarkeit der WTO zerstörten (gesetzesbasierte Ordnung), verfügen sie Sanktionen bar aller Grundlagen im Rahmen der jetzt angewandten US regelbasierten Ordnung („America first“) und führen immer offener Wirtschafts- und Finanzkriege. Wann ist Europa dran? Ist der US-Versuch, jetzt im Rahmen der europäischen Versorgungskrise deutsche Unternehmen zu Produktionsstättenverlagerungen zu animieren, nicht auch Teil dieser Politik?

Sich seitens der USA dabei dann gleichzeitig auf westliche Werte in seinem unilateralen Anspruch zu berufen, erscheint ambitioniert zu sein. Das Schweigen Europas zu den hybriden Kriegen der USA in den Sektoren Finanzen und Wirtschaft, das eigenen Interessen zuwider läuft, ist recht ohrenbetäubend.


Dieser neuerliche Schritt der USA steht im Kontext mit der massiven Subventionspolitik (52 Mrd. USD-Programm), um Produktionsstätten im Halbleitersektor in die USA zu holen. Das gilt insbesondere für Produktionen aus Taiwan (u.a. TSMC). Taiwan stellt noch 64% des weltweiten Halbleitermarktes. Mit dieser US-Politik wird die Wirtschaft Taiwans in Teilen perspektivisch entkernt, denn die starke Position am Halbleitermarkt macht Taiwan für den Westen "noch" so interessant.

Sieht man in Taipeh die Risiken der Produktionsstättenverlagerung klar und eindeutig oder schaut man durch eine vom Westen gefärbte rosarote Brille, was die Zukunftsfähigkeit der eigenen Ökonomie, die Bedeutung des Standorts für den Westen (USA) als auch die aus diesem Aspekt gegebene westliche Loyalität anbetrifft, die derzeit noch einen unverkennbaren deutlichen "Halbleitergeschmack" aufweist. Westliche Loyalitäten haben unter Umständen kurze Halbwertzeiten und binden sich bisweilen an Nutzen und nicht Werten.


Exkurs: Neues EU/USA Datenschutzabkommen

Der US-Präsident unterzeichnete am Freitag ein Dekret, das die Rechte der Europäer gegenüber den US-Geheimdiensten verbessert. Mit dem Schritt soll den Bedenken des Europäischen Gerichtshofs Rechnung getragen werden. Dieser hatte in zwei Beschlüssen Übereinkommen für die Übermittlung von Daten aus Europa in die USA für ungültig erklärt. Das neue Datenschutzabkommen soll Handelsbarrieren zwischen den USA und Europa abbauen.

Kommentar: Wir dürfen uns freuen, wenn etwas verbessert wird. Die Frage ist nur, ob die Verbesserung den rechtlichen Standards, die wir in Europa haben, vollständig Rechnung trägt. Wäre das nicht der Fall, käme das Datenschutzabkommen einem Ausverkauf der Rechte der Bürger der EU an die USA gleich. Wir sind auf die Details gespannt.

Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

Eurozone: Daten aus Eurozone ernüchtern

Deutschland: Die Industrieproduktion sank per August im Monatsvergleich um 0,8% (Prognose -0,5%) nach zuvor 0,0% (revidiert von -0,3%) Im Jahresvergleich kam es zu einem Anstieg um 2,52% nach -0,71% (revidiert von -1,11%).

Deutschland: Die Einzelhandelsumsätze fielen real per August um 1,3% (Prognose -1,1%) nach zuvor +0,7% (revidiert von 1,9%). Im Jahresvergleich ergab sich ein Rückgang um 4,3% (Prognose -4,3%) nach zuvor -2,3% (revidiert von -2,6%).

Deutschland: Die Importpreise legten per August im Monatsvergleich um 4,3% (Prognose 2,0%) nach zuvor 1,4% zu. Im Jahresvergleich stiegen sie um 32,7% (Prognose 29,9%) nach zuvor 28,9%). Nur 1974 kam es zu höheren Zunahmen bei 35% (Historie bis 1963).

Frankreich: Die Handelsbilanz wies per August in der saisonal bereinigten Fassung ein historisch hohes Handelsbilanzdefizit in Höhe von 15,30 Mrd. EUR (Prognose 14,83 Mrd. EUR) nach zuvor -14,79 Mrd. EUR (revidiert von -14,54 Mrd. EUR) aus (Historie bis 1970).

USA: Arbeitsmarktdaten okay - Konsumverschuldung kritisch

Arbeitsmarktbericht per Berichtsmonat September:

Lagerbestände nahmen im Großhandel per August im Monatsvergleich um 1,3% (Prognose 1,3%) nach zuvor 1,3% zu. Der Absatz stieg im Großhandel um 0,1% (Prognose 0,4%) nach zuvor -1,5% (revidiert von -1,4%).

US-Verbraucherkredite verzeichneten per August einen Anstieg um 32,24 Mrd. USD (Prognose 24,50 Mrd. USD) nach zuvor 26,10 Mrd. USD (revidiert von 23,81 Mrd. USD).

China: Caixin PMI des Dienstleistungssektors bricht ein

Der von Caixin PMI des Dienstleistungssektors sank per September von 55,0 auf 49,3 Punkte. Die Devisenreserven stellten sich per September auf 3.029 Mrd. USD (Prognose 3.000 Mrd. USD) nach 3.055 Mrd. USD.

Russland: Verbraucherpreise (J) rückläufig

Die Verbraucherpreise stiegen per September im Monatsvergleich um 0,1% (Prognose -0,1%) nach zuvor -0,5%. Im Jahresvergleich ergab sich eine Zunahme um 13,7% (Prognose 13,6%) nach 14,3%.

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den USD gegenüber dem EUR favorisiert. Ein Überschreiten des Widerstandsniveaus bei 1.0300 – 1.0330 neutralisiert den positiven Bias des USD.

Viel Erfolg

© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe

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