Eben erst untersagte US-Präsident Joe Biden die Ausfuhr von Technologien rund um die Entwicklung Künstlicher Intelligenz nach China, da wird bekannt, dass Peking trotzdem an die militärisch hochrelevante Technologie kommt. Wie öffentlichen Dokumenten chinesischer Marktteilnehmer zu entnehmen ist, gelangten im vergangenen Jahr beträchtliche Mengen der sanktionierten KI-Chips über inoffizielle Lieferketten an chinesische Militärbehörden, staatliche KI-Forschungsinstitute und Universitäten. Dass Handelsbeschränkungen durch unbekannte chinesische Zwischenhändler trotz aller Restriktionen der nordamerikanischen Regierung in die Hände des größten wirtschaftlichen und militärischen Konkurrenten gelangen, zeigt die Schwierigkeiten in der Durchsetzung solcher Embargos. Die USA kündigten an, die Beschränkungen kontinuierlich zu verschärfen.
Chips aus den USA für Chinas Militär
Die Vereinigten Staaten versprachen sich von den Ausfuhrbeschränkungen für KI-Chips eine Verlangsamung des chinesischen Fortschritts bei der Entwicklung autonomer Militärtechnologie. Diese Rechnung war aber offenbar zu einfach. Nicht nur bangen Tech-Giganten wie Nvidia (NASDAQ:NVDA) und AMD (NASDAQ:AMD) nun um das lukrative Geschäft mit Chips auf einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte, auch scheint China mithilfe heimischer Produzenten wie Huawei der technologischen Autarkie in Sachen KI nun gezwungenermaßen näher zu kommen. Die Abkopplung schreitet zwar voran, allzu dringend ist sie aber nicht, wenn man den aktuellen Meldungen über konstante Lieferungen von Chips aus den USA an staatliche chinesische Stellen Glauben schenkt. Laut Einschätzung von Experten könnte ausgerechnet die überlegene nordamerikanische Technologie dem Reich der Mitte zu Durchbrüchen in KI-Anwendungen und Hochleistungscomputern verhelfen, die militärischen Zwecken dienen.
Einige illegale Abnehmer sind sogar bekannt: Laut Medienberichten soll es sich dabei um mehrere Elite-Universitäten und mehrere Forschungseinrichtungen handeln. Zwei davon stehen explizit auf der schwarzen KI-Liste der USA, nämlich das Harbin Institute of Technology und die Universität für Elektronische Wissenschaft und Technologie in der reichen Provinz Sichuan. Beide werden von nordamerikanischen Behörden verdächtigt, mit chinesischen Militäreinrichtungen zusammenzuarbeiten. Die Universität für Elektronische Wissenschaft soll im Mai mehrere einschlägige Nvidia-Chips erworben haben, um ein Deep-Learning-Modell zu entwickeln, also einen Algorithmus, der selbstständig Wissen anhäufen und kombinieren kann. Wie die Nvidia-Chips an die Forschungsinstitute gelangt sind, ist derweil unklar, weder Nvidia selbst noch autorisierte Händler waren involviert.
Untergrundmarkt für KI-Chips floriert
Das ist aber auch gar nicht nötig. Denn seit den Restriktionen seitens der USA blüht in China ein Untergrundmarkt für KI-Chips. Chinesische Anbieter kaufen überschüssige Lagerbestände auf, die als Restposten und über Umwege auf den nationalen Markt gelangen, wenn Nvidia große Mengen an große nordamerikanische Firmen liefert. Ein anderer Weg führt über Unternehmen in Indien, Taiwan oder Singapur, die nicht auf den KI-Sanktionslisten der nordamerikanischen Regierung stehen. Nvidia selbst erklärte bereits mehrfach, sich den Handelsbeschränkungen zu beugen und ließ angesichts der neuesten Entwicklungen über einen Firmensprecher verlauten: „Wenn wir herausfinden, dass einer unserer Kunden gesetzeswidrige Geschäfte mit Dritten unterhält, werden wir sofort aktiv werden und angemessene Maßnahmen setzen“. Was das genau heißt, ließ der Software-Gigant indes offen.
Die ersten Handelsbeschränkungen verhängte Washington im September 2022, unter anderem für China und Hongkong. Betroffen waren davon insbesondere hochleistungsfähige Grafikkarten und Halbleitertechnologien in Computer-Chips, die für die Entwicklung autonomer Algorithmen und neuronaler Netze, also Künstliche Intelligenz, verwendet werden können. Im Herbst vergangenen Jahres wurden diese Restriktionen dann verschärft, woraufhin Nvidia gedrosselte Chips herstellte, um sie weiterhin nach China verkaufen zu dürfen. Die Strategie wurde kontrovers diskutiert, allerdings blieb Nvidia auch nichts anders übrig: Die globale Nachfrage nach verschiedenartigen Computerchips ließ das Kerngeschäft über die vergangenen Jahre boomen, die Aktie gehörte zu den Top-Performern des vergangenen Kalenderjahres. In China hatte man bis zum Erlass der Handelsbeschränkungen etwa 90 Prozent des KI-Chipmarktes inne, dieser Anteil dürfte nun signifikant zurückgehen.
„Sand ins Getriebe der chinesischen KI-Entwicklung“
Laut Experten ist die Vorstellung der Biden-Regierung, China konsequent vom Handel mit Chips für KI-Anwendungen auszuschließen, illusorisch. Vielmehr gehe es darum, „Sand ins Getriebe der chinesischen KI-Entwicklung zu schütten“, sagte der Wirtschaftshistoriker Chris Miller, Professor an der forschungsstarken Bostoner Tufts University und Autor des Buches Der Chip-Krieg: Wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen zur Nachrichtenagentur Reuters. Vorrangiges Ziel müsse aus Sicht der USA sein, die Bildung großer Netzwerke zum Training von KI-Systemen in China zu verhindern. So rechneten nordamerikanische Forscher vor, dass für ein Modell wie OpenAIs ChatGPT etwa 30 000 hochleistungsfähige Nvidia-Chips notwendig seien.
Einerseits kämen die Geräte derzeit trotz des florierenden Untergrundmarktes nicht in ausreichender Menge für die initiale Konstruktion solcher Systeme in China an. Andererseits reiche bereits eine Handvoll derartiger Chips aus, um bestehende KI-Modelle zu trainieren und damit maßgeblichen Fortschritt zu erzielen. Und dann sind da noch die chinesischen Mitbewerber von Nvidia und Co.: Besonders Huawei positioniert sich immer mehr als ernstzunehmender Konkurrent um den milliardenschweren chinesischen KI-Chipmarkt. Große Player wie Alibaba (NYSE:BABA) und Tencent (HK:0700) lehnen die schlechteren China-Modelle von Nvidia ab und setzen auf heimische Angebote, was einmal mehr für den Aufschwung der Wirtschaft im Reich der Mitte, einem der wohl dominantesten Wachstumsmärkte der kommenden Jahre, spricht. Zu verfolgen sind die (Kurs-)Entwicklungen des wichtigen Hang Seng-Index und von 20 vielversprechenden chinesischen Aktientiteln in unseren Analysen. Die Anteilsscheine der Chip-Riesen AMD und Nvidia analysieren wir derweil in unserem TECH33-Aktienpaket